Preußen in unserer Zeit

Was macht eigentlich das Berliner Stadtschloss? Eine Stippvisite in der »Infobox« des Fördervereins. von jan süselbeck (text) und ivo bozic (fotos)

Ausstieg Hausvogteiplatz. Im 19. Jahrhundert befand sich hier ein großes Berliner Modezentrum, das seit dem Zweiten Weltkrieg spurlos verschwunden ist. Fast spurlos. Denn auf den Treppen, die aus dem U-Bahnhof der Linie 2 hinauf ins Freie führen, liest man die Namen renommierter jüdischer Textilhändler, die hier in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts ihre Niederlassungen hatten. Oben angekommen, steht man vor einem kleinen Mahnmal, das denjenigen Geschäftsleuten gewidmet ist, die von den Nationalsozialisten deportiert und ermordet wurden.

In unmittelbarer Nähe befindet sich zurzeit ein weiterer, ganz anderer Ort des Gedenkens. Der Förderverein Berliner Schloss e.V. hat sich am Hausvogteiplatz 3–4 niedergelassen. In der so genannten Infobox, einem lichten Atelier, wirbt er dafür, ein bisschen von Preußens Glanz und Gloria wiederherzustellen. Und zwar durch den Wiederaufbau des im Jahr 1950 gesprengten, historischen Berliner Stadtschlosses. So soll endlich das gute, alte »Spree-Athen« wiederauferstehen.

Gelbe Lettern prangen am Eingang der »Infobox« und beklagen ein »schmerzendes Vakuum« im Herzen der Hauptstadt. In der pathetischen Inschrift wird der Verleger Wolf Jobst Siedler mit den Worten zitiert: »Das Schloss lag nicht in Berlin – Berlin war das Schloss.« Ein »Freundeskreis engagierter Bürger«, liest man hier weiter, habe es sich »in den Kopf gesetzt«, den neuerlichen Schlossbau voranzutreiben, ganz so, als sei man ausdrücklich stolz auf etwas, das den unfreiwillig komischen Ruch einer fixen Idee nach wie vor nicht so ganz abzuschütteln vermag.

Drinnen verrichten an diesem sonnigen Vormittag zwei rüstige Frührentner ihren ehrenamtlichen Dienst für die alltägliche Beschaffung der zum Wiederaufbau dringend benötigten Geldspenden: Die ehemalige Finanzbuchhalterin Karla Timm und der pensionierte Farbstoffchemiker Dieter Rahn treten dem Besucher mit unerschütterlichem Optimismus entgegen.

»Der ›Ballast der Republik‹, wie der Volksmund Erich Honeckers hässliches Gebäude zu Recht nannte, muss endlich abgerissen werden«, fordert Timm entschlossen. »Am 17. Oktober kommt ja auch schon die Abrissbirne, das ist jetzt endlich sicher«, sagt sie freudig. Die Bild-Zeitung habe bekanntlich schon im März berichtet, das Moabiter Ingenieursbüro Manfred Specht habe den Job übernommen und plane auf diesen Termin hin. »Und wenn’s Anfang November wird, egal, Hauptsache, es passiert was.« Bei »Erichs Lampenladen« habe es sich schließlich um ein »von oben bis unten mit Stasi-Abhöranlagen verwanztes Haus« gehandelt, das schon die Leute in der DDR, »die nicht mal Orangen und Bananen zu essen hatten«, verständlicherweise abgelehnt hätten.

»Genau«, stimmt ein ein weißhaariger Rentner ein, der gerade begeistert das Schlossmodell fotografiert und offensichtlich das Gespräch mitverfolgt hat, »den hätte man sowieso schon längst, um nicht zu sagen: sofort abreißen sollen, diesen Schandfleck«. »Tja, leider geht das nicht so einfach«, beschwichtigt ihn der unauffällig hinzutretende Herr Rahn gemessen, »sonst wäre ja die gesamte Innenstadt mit Asbest verseucht.«

Seit gut 13 Jahren wird nun schon um den Abriss des Palastes der Republik und den Wiederaufbau des Schlosses gestritten. Doch sogar der Beschluss des Bundestags vom 13. November 2003 samt der weltläufigen Ettikettierung des zukünftigen Gebäudes als »Humboldt-Forum« reichte nicht aus, um die alten Zweifel an der Finanzierung des pompösen Projekts vollständig aus der Welt zu räumen.

Deutlich spürbar und bisweilen unterhaltsam ist der Widerspruch zwischen der offensichtlichen Preußen-Nostalgie, die ein massenhaftes und notwendiges Interesse von Spendern für einen Wiederaufbau wecken soll, und den ulkigen Verklausulierungen, mit denen man das wohl auch im Förderverein als historisch problematisch erkannte restaurative Moment des Projekts zu vertuschen sucht. So redet sich der betont seriöse Geschäftsführer des Fördervereins, Wilhelm von Boddien, bereits auf der Titelseite des aktuellen Berliner Extrablatts, wie die schlecht redigierte Hauspostille seines Interessenverbands heißt, um Kopf und Kragen: »Das Berliner Schloss wird wieder aufgebaut, nicht wie es war, sondern zu unserer Zeit passend.«

Na, was denn nun? Zwar soll das angebliche ehemalige Prunkstück der Stadt wieder hergestellt werden, aber doch lieber für etwas stehen, das mit der feudalen Militär- und Kolonialmacht, die den Ersten Weltkrieg auslöste, und mit Kaiser Wilhelm II., dem letzten Schlossbewohner, den die Revolution von 1918 ins niederländische Exil trieb, nichts zu tun hat. So kämpfen Boddiens Helfer derzeit zusammen mit der Stiftung Preußischer Kulturbesitz um die Baugenehmigung für eine größere, standesgemäße »Infobox« am Schlossplatz, die »die Verwandlung des Schlossareals in einen Weltort der außereuropäischen Kunst und Kulturen« propagieren soll, wie im Berliner Extrablatt zu lesen ist. Allen Ernstes wird hier von einem künftigen »universalen Forum der Weltneugier und des Weltwissens« gesprochen, dessen »magische Formel« laute: »Die Welt in der Mitte Berlins.«

Und wo bleibt da das Schloss? Die Frankfurter Allgemeine Zeitung winkte angesichts ähnlich nichtssagender »Gedankenhülsen« und »Floskeln« bereits vorigen Sommer ab: »Mit Schloss oder ohne Schloss, die Befindlichkeit, das geistige Wohlergehen Berlins scheint von ihm nicht abzuhängen. Aber ein Wiederbelebungsversuch von solchen Dimensionen bedarf einer umso stärkeren Teilnahme der Bevölkerung. Die Passanten, die vor den Schaufenstern des Fördervereins innehalten und die Schlossrekonstruktion betrachten, stehen dort meist staunend wie vor einem Mammut aus der Vorzeit.«

Der Vermutung, wonach der Wiederaufbau des preußischen Stadtschlosses, in dem schon der »Soldatenkönig« Friedrich Wilhelm I. von seinen »Langen Kerls« träumte, noch keineswegs eine sichere Sache sei, trotzt Boddien beharrlich. In einem Interview, das er kürzlich der Berliner Morgenpost gab, prophezeite er: »Es ist legitim für die Palast-Befürworter, sich für den Erhalt einzusetzen. Aber ich sage Ihnen, es wird wie bei der Frauenkirche laufen. Wenn der Bau beginnt, bricht der Widerstand zusammen.« Im Jahr 2007 oder 2008 werde der erste Spatenstich getan, behauptet Boddien unerschütterlich. Zum 25. Jahrestag der Wiedervereinigung, am 3. Oktober 2015, solle das Schloss dann bereits stehen und »mit einem einwöchigen Volksfest gefeiert« werden.

Ob aber die Preußen wirklich so schnell schießen? Schließlich müssen vom Förderverein immer noch Spender für schlappe 80 Millionen Euro gefunden werden. Und dafür, dass der geneigte Interessent nun gefälligst entschlossen spenden soll, klingt es reichlich unbestimmt, was ein aktuelles, von der Deutschen Bank finanziertes Werbefaltblatt verkündet: »Das Berliner Schloss, das einzigartige Berliner Kulturdenkmal, wird wieder aufgebaut. Der Deutsche Bundestag hat dies mit überwältigender Mehrheit beschlossen. Baubeginn ist schon in wenigen Jahren.« Hier dürfte manch einer der potenziellen Spender doch ins Zweifeln kommen. Wer gibt schon gern sein gutes Geld für derartig unbestimmt terminierte Himmelfahrtskommandos her? »Wenn der Bundeskanzler endlich mal richtig dahinter steht, dann ziehen auch die großen Geldgeber mit«, sagt Karla Timm. »Herr Boddien hat den jetzt schon am Wickel.«

Die resolute Zehlendorferin ist eine von 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Förderzentrums, die in der »Infobox« regelmäßig und freiwillig Rede und Antwort stehen. Sie ist seit 1993 Mitglied des Fördervereins und fest davon überzeugt, die Gegner des Schlosses, die sogar manchmal hier vorbeikämen, seien im Unrecht: »Hier ist mal einer reingepoltert, der fragte mich glatt, ob ich denn überhaupt wisse, dass Wilhelm II. ein ›Massenmörder‹ gewesen sei! Ich bitte Sie, wieso sollten wir uns heute anmaßen, über die damalige Zeit zu urteilen – und vor allem: Was kann denn das arme Schloss dafür?«

Ob denn auch bisweilen rabiatere Gegner des Vorhabens hereinschauen? Womöglich sogar Randalierer, die versuchen, das Schlossmodell kaputt zu machen, das Horst Dühring extra für die »Infobox« gebastelt hat, samt der historischen Mitte Berlins um 1900? »Nein«, sagt Timm, »das erstaunt uns auch, aber so etwas ist noch nie vorgekommen.« »Naja«, ergänzt Rahn ein wenig gönnerhaft, »offenbar gibt es bei unseren Gegnern doch noch so etwas wie Anstand und Intelligenz! Ich würde ja auch nicht, sagen wir, ein Wahlplakat zerstören oder so, sowas tut man einfach nicht!«

Auch Dieter Rahn ist gebürtiger Berliner, hat sein Berufsleben in der Schweiz verbracht und ist im Alter voller Überzeugung zu seinen preußischen Wurzeln zurückgekehrt: »Als ich 1993 mal wieder hier in Berlin zu Besuch war und die damalige Plastikimitation des Schlosses vor dem Palast der Republik sah, war ich einfach hin und weg. Ich musste sofort daran mitarbeiten, dass es wieder aufgebaut wird! Zumal man ja als Frührentner auch sehen muss, was man mit seiner ganzen Zeit so anfängt«, sagt der freundliche alte Herr verschmitzt und lacht.

Ist also die ganze Geschichte rund um den Wiederaufbau des Schlosses nichts weiter als ein netter Zeitvertreib für gelangweilte Westberliner Frontstadtrentner mit Preußenfimmel? »Nein, nein«, beschwichtigt Karla Timm. »Hier kommen Leute jeden nur erdenklichen Alters vorbei, neulich erst hatten wir eine interessierte französische Schulklasse da.«

Stolz präsentiert sie die Gipskopie des Adlers, der einst am Hauptgesims der Dachzone des historischen Schlosses hing und nun im Atelier der Infobox zu bewundern ist. »Neun Architekten und zwei Bildhauer arbeiten derzeit für uns, denn da muss ja viel vorbereitet werden für so einen Bau«, erklärt sie.

Schon der kriegerisch dreinblickende Raubvogel sollte Hinweis genug sein auf die Funktion des Schlosses als architektonisches Machtsymbol eines Militär- und Drillstaates. An seiner Fassade prangten keine Reliefs, die etwa den friedlichen Bürger beim Handwerk darstellten oder irgendetwas Vergleichbares, das möglicherweise mit den typischen Heldenbildern des »Arbeiter- und Bauernstaats« in Einklang zu bringen gewesen wäre. Ein Grund mehr, dass dieser sich entschied, die zerbombte und ausgebrannte Ruine des symbolträchtigen Schlosses einfach abzureißen.

»Hammer und eine Sichel sind doch wohl unleugbar ehrwürdigere Symbole, als ›Wilde Männer‹ oder rasende Tiere. (…) Schlagen wir getrost an unsre eigne Brust, und vergleichen wir die Wappen der beiden Staaten des geteilten Deutschland: im Osten Zirkel, Hammer, Ährenkranz; im Westen der uns zum Überdruss geläufige herbarienplatte Schwarzadler!«, erboste sich Arno Schmidt in den fünfziger Jahren über die preußische Wappensymbolik, die man in der restaurativen Bundesrepublik Deutschland weiter hochhielt.

Ein einsamer kritischer Diskutant auf der Mailingliste der Webseite des Fördervereins scheint ganz ähnlicher Meinung zu sein. Ohne Probleme brachte er seine virtuellen Gesprächspartner mit den spöttischen Worten über die Befürworter eines Abrisses des Palasts der Republik in Rage: »Dass solche Gesinnungsmenschen am liebsten 40 Jahre DDR austilgen wollen (die DDR ist bisher das Optimum, das auf dem deutschen Boden bisher existierte), ist ja hinlänglich Gewissheit.« Weiter heißt es: »Ansonsten weiterhin feuchte Schlossträume (mit König und Prinzessin und so und viel, viel preußischem Gehorsam und Untertanentum). Wie war das doch gleich? ›A proud prussian‹? Oh Gott, ist mir übel.«

»Wir haben bereits angefangen, das Schloss zu bauen!« So steht es im von Timm stolz überreichten Berliner Extrablatt in gelben Lettern über dem Foto des Adlermodells, an dem gerade ein Bildhauer herumspachtelt. Und wie es weiter gehen könnte, wird mit dem üblichen Optimismus auf Seite 3 vorgerechnet: »Das schaffen wir nie?! Doch, es geht! Wenn durchschnittlich 200 000 Bürger (von 80 Millionen Deutschen) 400 Euro einmalig geben, oder wenn es ihnen zu viel ist, 40 Euro jährlich zehn Jahre lang im Abbuchungsabonnement (monatlich ist das der Gegenwert einer Zigarettenschachtel!), sind das 80 Millionen. Es klappt mit Ihrer Hilfe!«

Der Förderverein hat sich aber noch mehr einfallen lassen, um schnell an die dringend benötigten Spenden zu kommen. Bei einem kleinen Rundgang im Devotionalienhandel der »Infobox« findet man Trash der Extraklasse. So armseliger Tand wie ein Kaffeebecher »Friedrich der Große«, Prosecco »Berliner Schloss« oder, besonders schön, Zündhölzer »Preußische Herrscher« soll den einen oder anderen Euro aus dem Geldbeutel der Besucher locken.

Ein distinguiertes Düsseldorfer Ehepaar deckt sich fleißig ein. »Wir kaufen alles, um den Schlossbau zu unterstützen: Dornfelder ›Friedrich der Große‹, dazu Prosecco, so viel wir tragen können«, lacht der Mann im beigen Trenchcoat, der als Kommissar Derrick eine gute Figur machen würde. Als Timm ihn freundlich darauf aufmerksam macht, dass man im Internet die »Patenschaft« für kleine Gebäudeteile des künftigen Schlosses übernehmen könne, und zwar »schon ab 50 Euro«, ist er sofort interessiert und möchte die Internetadresse wissen.

Ob er als Rheinländer nicht traurig sei, weil Bonn nicht mehr Haupstadt sei, will Timm von ihm wissen. »Ach was, an der Hauptstadt Berlin gab es niemals etwas zu deuteln, das war unumgänglich«, sagt er, und mit gerunzelter Stirn fügt er hinzu: »Allerdings, was im beschaulichen Bonn so nicht möglich war: Hier in Berlin können Millionen Regierungsgegner einfach aufmarschieren, den Staat unter Druck setzen und sich hinterher im Kreuzberger Straßengewimmel verschanzen und verstecken!«

Angesicht jüngster Umfragen, in denen sich 47 Prozent der Berliner für den Wiederaufbau des Stadtschlosses aussprachen, und der tatkräftigen Unterstützung aus dem Hinterland, dürfte das Thema Stadtschloss aktuell bleiben. »Wir kommen auf jeden Fall wieder«, verspricht der Mann, bedankt sich und verlässt erhobenen Hauptes die »Infobox« in Richtung Gendarmenmarkt.