»Alle suchen nach einer nationalen Identität«

Adé Bantu

Am 8. Mai will die NPD unter dem Motto »60 Jahre Befreiungslüge – Schluss mit dem Schuldkult« durch Berlin marschieren. Ein antifaschistisches Bündnis hat sich vorgenommen, den Aufzug der Neonazis zu verhindern. Auch Prominente aus dem Musik- und Filmgeschäft wollen gegen den Aufmarsch der NPD protestieren. Adé Bantu ist Mitglied des HipHop-Projekts Brothers Keepers, das afrodeutsche HipHop- und Soulkünstler initiiert haben, um sich gegen rassistische Gewalt auszusprechen. Adé Bantu und die Brothers Keepers sind an der Vorbereitung einer eigenen Demonstration beteiligt, die unter dem Motto steht: »Friedlich gegen Geschichtsverdrängung, Antisemitismus und Rassismus«. Mit ihm sprach Markus Ströhlein.

Am 8. Mai sind in Berlin etwa 30 Demonstrationen geplant. Ist eine weitere Kundgebung wirklich notwendig?

Man kann nie zu viele Demonstrationen gegen Rechts machen. Leider braucht man in einer medialen Welt Namen und Gesichter, um Aufmerksamkeit zu erhalten. Sonst liefern die Medien nur Bilder von Ausschreitungen und so genannten Chaoten. Der Widerstand gegen Rechts wird dadurch kriminalisiert. Uns geht es darum, mit so genannten Prominenten Menschen zu mobilisieren. Ich war neulich auf einer Demo gegen Rechts in Essen. Das war sehr ernüchternd. Es gibt nicht viele Leute, die sich morgens auf die Straße stellen und ihren Unmut über die Nazis öffentlich äußern.

Eure Demonstration grenzt sich bewusst gegen das Konzept des Berliner Senats für den 8. Mai, den »Tag für die Demokratie«, ab. Wieso?

Ich habe ein Problem damit, wenn Politiker Sonntagsreden halten und Lachshäppchen essen. Damit ist es nicht getan. Ich sehe die Gefahr, dass man in Deutschland immer stärker in die Rolle des Opfers schlüpft. Es gibt so viele Dokumentationen im Fernsehen zu diesem Thema. Langsam bekomme ich Bauchschmerzen davon. Von politischer Seite kommen aber keine Gegenimpulse. Stattdessen gibt der Berliner Senat sein Geld lieber für einen »Tag für die Demokratie« aus. Von 45 Initiativen gegen Rechts in Berlin wird es aufgrund der finanziellen Kürzungen im nächsten Jahr nur noch 30 geben. Es ist doch zynisch, dass genau die Summe, die in den »Tag für die Demokratie« gesteckt wird, der Summe entspricht, die nicht mehr an die Initiativen geht. Das stinkt zum Himmel.

Welche Prominenten haben ihre Beteiligung an eurer Demonstration angekündigt?

Ich weiß von Katja Riemann, Max Herre, allen Kollegen von Brothers Keepers natürlich. Bernd Eichinger hat unter Vorbehalt zugesagt. Die Band Silbermond ist dabei. Roger Willemsen hat zugesagt. Elke Heidenreich auch. Wir wollen ein möglichst großes Spektrum präsentieren und Leute mit ins Boot holen, die noch nicht in diesem Zusammenhang in Erscheinung getreten sind. Die Rechten müssen begreifen, dass die Straße ihnen nicht gehört.

Was wäre in deinen Augen das schlimmste Szenario, das am 8. Mai eintreten könnte?

Das Schlimmste wäre, wenn die Rechten ungehindert marschieren können. Und wenn diejenigen, die den Nazis etwas entgegensetzen wollen, von der Polizei wie Kriminelle behandelt werden. Ich will eine halbe Million Menschen auf der Straße sehen. Das klingt vielleicht utopisch. Aber wenn wir nicht bereit sind, die Fernbedienung mal liegen zu lassen und unseren Sonntagsspaziergang ausfallen zu lassen, sehe ich schwarz. Dann würde ich mich fragen, unter welchen Vorzeichen Deutschland seine Vorreiterrolle in Europa wahrnimmt.

Von offizieller Seite werden die Veranstaltungen am 8. Mai so präsentiert, als stelle sich das »gute« Deutschland geschlossen gegen die NPD. Stärkt eure Demonstration, die wohl zwangsläufig auch in diesen Kontext eingeordnet werden wird, nicht das gute Gewissen und das Nationalbewusstsein Deutschlands, das behauptet, aus seiner Geschichte die richtigen Lehren gezogen zu haben?

Die Gefahr besteht, und man muss sie thematisieren. Was aber feststeht, ist, dass es bei jungen Menschen, die einen großen zeitlichen Abstand zum Nationalsozialismus haben, das Bedürfnis gibt, eine neue deutsche Identität zu entwickeln. Da stellt sich die Frage: Wie geht man bei einer solchen Geschichte an dieses Bedürfnis heran? Ich finde, man muss jungen Menschen zuhören und ihnen klarmachen, wann es in die falsche Richtung geht. Die Frage ist also: Wie definiert man sich, ohne die Geschichte zu vergessen oder zu verdrehen?

Ist die einzige mögliche Schlussfolgerung aus dem Nationalsozialismus nicht die Absage an jedes deutsche Nationalgefühl?

Ich denke, das Bedürfnis nach einem Nationalbewusstsein gibt es in allen Ländern. In Zeiten der Globalisierung, in denen es kein Schwarz und Weiß gibt, keinen Ostblock mehr, keinen Westen mehr, wollen die Leute einen Bezugspunkt. Die Rechten kommen immer noch mit den alten Parolen. Sie sagen: »Deutschland muss arisch sein. Deutschland muss weiß sein.« Ich glaube, es ist wichtig, dass nicht nur die Nazis das Feld besetzen. Wir von den Brothers Keepers sind als Afrodeutsche in ganz starkem Maß dazu gezwungen, uns mit unserer deutschen Identität auseinanderzusetzen. Die Lehrer in der Schule haben mich immer gefragt, wo ich denn eigentlich herkomme, ob ich Asylbewerber sei. Man muss sich immer rechtfertigen. Man sucht nach seiner Identität. Ich glaube, diese Suche war viel intensiver für uns als für den Otto-Normal-Deutschen. Die Linken sagen, man brauche keine nationale Identität. Ich glaube, das ist der falsche Weg. Das Bedürfnis besteht. Man sollte es nicht den Nazis überlassen, es zu befriedigen.

An eurem Bündnis beteiligt sich auch die Band Silbermond. Sie hat im Februar die Aktion »10 000 Kerzen für Dresden« unterstützt, mit der sich die Stadt als unschuldiges Opfer der Alliierten inszeniert hat.

Man sollte nicht vergessen, dass der Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche auch von den ehemaligen Alliierten mitfinanziert wurde. Es zeugt davon, dass die Bombardierung Dresdens ein kritisches Thema ist. Im Krieg leidet eben immer die Zivilbevölkerung. Ich habe die englische Presse gelesen. Auch dort gab es kritische Stimmen, die gefragt haben, ob die Bombardierung Dresdens in diesem Ausmaß nötig gewesen sei. Was Deutschland angeht, besteht die Gefahr, dass der Fokus auf das Opfersein fixiert wird. Diesen Blick bedient die NPD natürlich gern.

Xavier Naidoo, ein Mitglied der Brothers Keepers, hat sich für die Deutschquote im Radio stark gemacht. Beifall für die gesetzlich verordnete Renationalisierung der Popmusik kam auch von der NPD.

Man braucht keine Quote, sondern Qualität. Viele Kollegen hatten die Befürchtung geäußert, man habe aufgrund der Dominanz amerikanischer Musik keine Chance mehr. Das hat sich aber keinesfalls bestätigt. In den Charts sind deutsche Künstler ganz weit vorn. Xavier Naidoo hat definitiv das Recht, bei unserer Demo dabei zu sein. Sein Engagement für Brothers Keepers war immer großartig. Deshalb lasse ich nichts auf ihn kommen. Viele Leute machen schon jetzt Rückzieher und wollen nicht kommen. Das finde ich lächerlich. Ich habe Respekt vor den Leuten, die sich für unser Projekt und für die Demonstration einsetzen.