Heiliger Prozess

In Madrid hat das bisher größte Verfahren gegen mutmaßliche Mitglieder von al-Qaida begonnen. von thorsten mense, madrid

Die spanische Justiz hat sich viel vorgenommen: Wegen der Bildung eines Ablegers des islamistischen al-Qaida-Netzwerks sowie der logistischen und finanziellen Unterstützung der Anschläge vom 11. September 2001 in New York stehen derzeit in Madrid 24 Männer vor Gericht. Die meisten von ihnen wurden im November 2001 verhaftet. Nach 17 weiteren wird gefahndet, unter ihnen Ussama bin Laden. Für den mutmaßlichen Kopf der spanischen Sektion von al-Qaida, Imad Eddin Barakat Yarkas, genannt »Abu Dahdah«, fordert die Staatsanwaltschaft 62 512 Jahre Haft wegen 2500fachen Mordes. Ihm wird vorgeworfen, direkt an der Planung beteiligt gewesen zu sein. Zwei weitere Angeklagte werden ebenfalls des tausendfachen Mordes beschuldigt, die restlichen müssen mit Haftstrafen zwischen neun und 27 Jahren rechnen.

Am ersten Verhandlungstag zeigte sich Yarkas recht gelassen. Er kenne zwar die meisten Leute, die als führende Köpfe von al-Qaida in Europa gälten, allerdings rühre die Bekanntschaft nur vom gemeinsamen Teetrinken her, »wie es unter Moslems üblich« sei. Von einer gemeinsamen Planung des Massenmords könne keine Rede sein. Außerdem habe er vor Beginn des Prozesses noch nie etwas von al-Qaida gehört.

Der Untersuchungsrichter Baltasar Garzón dürfte in den nächsten vier Monaten, für die der Prozess anberaumt ist, öfter solche Antworten hören. Denn die Angeklagten bestreiten jede Schuld, und eindeutige Beweise sind rar. Yarkas am stärksten zu belasten scheint der Mitschnitt eines Telefonats, das er im August 2001 mit Farid Hilali alias »Shakur« führte. Dieser ist in London inhaftiert und gilt als Mitorganisator der Anschläge. Aber auch dieses Gesprächsprotokoll ist nicht eindeutig, ob Hilalis Aussage, dass man dem »Vogel die Kehle durchgeschnitten« habe, die Anschläge meinte und von Yarkas so verstanden wurde, ist unklar.

Unter den Angeklagten ist auch ein Spanier, José Luis Galán alias »Yusuf«. Nach eigenen Angaben war er in den achtziger Jahren in der sozialdemokratischen Partei Psoe aktiv und trat später einer linken baskischen Partei bei, deren Namen er vor Gericht nicht nennen wollte. Als ein Beleg für seine Unschuld gab er an, er habe insgesamt drei Friedensgruppen angehört und eine davon selbst gegründet. Der Antikriegsbewegung könnte dies einen Grund zum Nachdenken geben. Denn ihre zumeist undifferenzierte Solidarität mit dem »irakischen Widerstand« ignoriert den Zusammenhang zwischen dem »Kampf gegen die Besatzung« und Attentaten wie etwa in Madrid im März 2004.

Viele Aktivisten sympathisieren mit dem »Widerstand«, ohne sich kritisch mit ihm auseinanderzusetzen. Eine dieser Gruppen, die Irakische Patriotische Allianz, rühmt sich im Internet damit, bereits neun Staaten zum Abzug ihrer Streitkräfte gebracht zu haben, darunter auch Spanien. Dass es ein Teil dieses »antiimperialistischen Widerstands« war, der am 11. März 2004 wahllos 192 Menschen tötete, vor allem aus den unteren und mittleren Schichten, wird von der Antikriegsbewegung nicht wahrgenommen.

Doch bei dem eröffneten Prozess geht es nicht um die Madrider Anschläge, sondern um die von New York und Washington. Außer dem recht schwammigen Vorwurf, dass die Angeklagten zum al-Qaida-Netzwerk gehörten oder familiäre Zusammenhänge bestünden, hat die Staatsanwaltschaft wenig vorzuweisen. Einer der Hauptangeklagten wegen der Madrider Anschläge, Jamal Zougam, soll jedoch sechs Tage vor dem Attentat in New York mit Abu Dahdah telefoniert haben, weswegen er im Juni als Zeuge erscheinen muss.

Der weltweit bislang größte Prozess gegen mutmaßliche Beteiligte vom 11. September hat zwar das Interesse zahlreicher ausländischer Journalisten geweckt, auf den Publikumsplätzen des Gerichts blieben aber viele Stühle leer. Das Interesse der spanischen Öffentlichkeit wird wohl erst zunehmen, wenn irgendwann der Prozess gegen die Verantwortlichen der Madrider Anschläge beginnt. Voraussichtlich werden dabei noch mehr Personen angeklagt werden, wobei im Gegensatz zum jetzigen Verfahren sowohl die Zeugen als auch viele der mutmaßlichen Haupttäter am Leben sind. Das könnte die Beweisführung vereinfachen. So sind auf Tonbändern, die kürzlich freigegeben wurden, die Aussagen von Zeugen dokumentiert, die einige der in Haft befindlichen Personen als jene identifizieren, die in den Zügen die Bomben deponiert haben sollen. Ansonsten gestalten sich die Vorbereitungen für den Prozess gegen die Verantwortlichen des 11. März allerdings in peinlicher Weise. Der sozialdemokratische Psoe und die konservative Volkspartei bekriegen sich mit gegenseitigen Beschuldigungen.

Dies ist einer der Gründe dafür, warum die parlamentarische Untersuchungskommission bereits mehrfach die Bekanntgabe von Ergebnissen verschieben musste. Immer noch wartet sie auf bestimmte Dokumente. Eines mit einem möglicherweise brisanten Inhalt will die Regierung nicht vollständig freigeben.

Es handelt sich um die Tonaufzeichnung von einem Besuch des Psoe-Funktionärs Fernando Huarte bei dem inhaftierten Islamisten Abdelkrim Benesmail. In einem Teil des Gespräches geht es um ideologische und logistische Verbindungen zwischen der Eta und den Islamisten. In der veröffentlichten Abschrift wurde jedoch genau dieser Teil mit den folgenden Zeilen zusammengefasst: »Über die Nachrichten, die die Eta mit islamistischen Gruppen in Verbindung setzen, sagt Huarte, dies sei undenkbar, während Benesmail die Forderungen der Eta unterstützt und rechtfertigt.«

Huarte war ein führendes Mitglied des Psoe in der Region Asturien und Angaben der Tageszeitung El Mundo zufolge seit 1992 als Informant des spanischen Geheimdienstes CNI tätig. Schon vor den Anschlägen in Madrid besuchte er Benesmail mehrfach im Gefängnis, aus »humanitären Gründen«, wie er sagt. Zugleich ist er der Gründer und Präsident des Vereins »Freunde des Palästinensischen Volkes«. Die Untersuchungskommission verlangt nun auch Informationen über dessen finanzielle Aktivitäten.

Die Verantwortung der staatlichen Institutionen spielt bei dem aktuellen Prozess eine große Rolle. Bereits seit 1995 ließ der Geheimdienst einige der Angeklagten überwachen, nachdem sie in einer Moschee in Madrid dabei beobachtet worden waren, wie sie Flugblätter verteilten, in denen zum »Heiligen Krieg« aufgerufen wurde. Trifft der Befund der Staatsanwaltschaft zu, konnten sie sich an der Vorbereitung des schwersten terroristischen Anschlags der Geschichte beteiligen, obwohl sie vom spanischen Geheimdienst beobachtet wurden.

Das Versagen des Geheimdienstes sowie die diffusen Verbindungen zu Eta und Psoe machen den Prozess komplizierter und dürften zu der Gelassenheit der Angeklagten beitragen. Damit nicht genug: Pilar Manjón, die Vorsitzende des Verbandes »11M – Opfer des Terrorismus« gab neulich bekannt, dass sie viele Morddrohungen erhalte. Jedoch nicht im Namen Allahs, sondern von katholischen Fanatikern. Denn ihr Verband hat darum gebeten, am ersten Jahrestag des Anschlages von Madrid nicht die Kirchenglocken zu läuten, damit sich niemand von den Trauerfeierlichkeiten ausgeschlossen fühle.