Kein Platz für Sieger

In der antifaschistischen Linken ist eine Debatte über das Gedenken an die Alliierten entbrannt. Dabei geht es um mehr als nur um einen neuen »Fahnenstreit«. von ivo bozic
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In den slowenischen Bergen liegt gut versteckt ein altes Partisanenlazarett. Man kann es noch heute besichtigen. Es ist gut erhalten. Die Deutschen haben es nie entdeckt. Im Büro der Leiterin des Lazaretts, Dr. Franja Bojc Bidovec, hängen vier Porträts nebeneinander an den Wänden: Tito, Stalin, Churchill und Roosevelt. Als ob sie zusammengehörten. Und genau das tun sie an diesem Ort auch.

In den beiden Teilen Nachkriegsdeutschlands war das nicht so selbstverständlich. In der DDR galt in der offiziellen Lesart nur die Rote Armee als Befreierin. Die Westalliierten waren »Imperialisten« und Verursacher des »angloamerikanischen Bombenterrors«. In der BRD bezog sich die Linke ebenfalls bevorzugt auf die Sowjetarmee, weil es in Zeiten der Blockkonfrontation darum ging, dem auch staatlich verordneten Antikommunismus im Westen etwas entgegenzusetzen, und die Amerikaner keinen besonders guten Ruf besaßen, spätestens seit dem Vietnam-Krieg.

Nach dem Zerfall des Ostblocks und seit dem Wiedererstarken des deutschen Nationalismus hat sich das gewandelt. Mit dem Aufkommen einer antinationalen Linken und der zunehmenden Dominanz des Antifaschismus als konstituierendes linkes Motiv wurden auch die Westalliierten in die Reihen der Befreier aufgenommen und ihre Staatsfahnen wurden von Antideutschen als Ausdruck des Sieges über Deutschland auf nahezu jeder Demonstration gezeigt.

Damit relativierte sich auch die Bedeutung der Sowjetfahne, die zuvor nicht nur als Ausdruck der Sympathie für die Rote Armee als Siegerin über Nazideutschland, sondern sehr wohl auch aus kommunistischer Solidarität mit der UdSSR gezeigt wurde. Diese Relativierung wurde von manchem traditionellen Linken als Entsolidarisierung empfunden, als ein antikommunistisches Signal. Für andere war es eine logische Konsequenz aus dem Ende der Sowjetunion, das einen positiven Bezug auf ein gescheitertes Sozialismus-Modell nicht mehr sinnvoll erscheinen ließ.

Eine explizit antistalinistische Einstellung vieler ostdeutscher Linksradikaler, die keine Lust hatten, mit den Insignien des untergegangenen Systems, das sie persönlich als feindlich erlebt hatten, auf die Straße zu gehen, prägte die Szene Anfang der neunziger Jahre zusätzlich.

Seit dem 11. September 2001 kommt dazu, dass sich antideutsche Linke zum Teil auch explizit mit den USA solidarisieren wollten und sich im Rahmen einer sich real oder vermeintlich anbahnenden neuen Blockkonfrontation zwischen westlicher und arabischer Welt ausdrücklich auf die Seite der westlichen Zivilisation und der Demokratie stellen wollten. Auch dies hat zu einem Wandel in der Bewertung der vier alliierten Siegermächte geführt.

Während sich die einen Linken am 8. Mai weiterhin ausschließlich dem Gedenken an die Rote Armee verschrieben, posierten die anderen bevorzugt mit den Fahnen der Westalliierten. Trotzdem galt bei all diesen Linken bisher das Bild des Rotarmisten, der die Fahne der Sowjetunion auf dem Dach des Reichstages montiert, als das Symbol der linken Deutung des 8. Mai. Das Andenken an die Millionen gefallenen Soldaten der Anti-Hitler-Koalition, egal welcher Nation, und der internationalen Partisanen war konstituierend für das linke Gedenken an den 8. Mai. Bisher!

Am kommenden 8. Mai, auf der antifaschistischen Demonstration in Berlin, soll dies nicht mehr gelten. Dort sind sämtliche Nationalfahnen verboten: amerikanische, britische, französische, sowjetische, israelische. Das beschlossen Altautonome, Antiimperialisten und Antifas auf einem Treffen des Demonstrationsbündnisses. So wird es 60 Jahre nach Kriegsende eine 8. Mai-Demonstration geben, auf der weder die Sieger über Deutschland bejubelt werden dürfen noch der jüdischen Opfer mit Fahnen gedacht werden darf. In einem abgesonderten Block hinter dem Demonstrationszug wollen nun diejenigen Linken laufen, die sich gerade am 8. Mai jene Geste nicht nehmen lassen wollen und die das Bündnis unter Protest verlassen haben.

Wie konnte so ein vielfältiges Bündnis überhaupt zustande kommen? Wenn Menschen, die am 8. Mai Symbole der USA und des jüdischen Staates zeigen wollen, und solche, die alles dafür tun, dies zu verhindern, zusammenkamen, dann fragt man sich: wofür?

Die Antwort ist: gegen die NPD. Ohne den geplanten Neonazi-Aufmarsch hätte es weder dieses Bündnis noch überhaupt eine zentrale linke Demonstration zum 60. Jahrestages des Sieges über Nazideutschland gegeben. Warum sich das Bündnis »Spasibo« (das russische Wort für »Danke«) nennt, ist indes nicht mehr klar: Die Sieger über den Nationalsozialismus werden ebenso aus dem öffentlichen Erscheinen herausgelöst wie seine Opfer.

Das Gedenken anlässlich der »Befreiung« wird befreit von den Befreiern und so letztlich zu einer deutschen Angelegenheit. Der Dank verkommt zu einer inhaltslosen Floskel. Aber der Antifaschismus, der die Leute zusammenbringt, der, wie die Geschichte gezeigt hat, manchmal überlebensnotwenig ist und unverzichtbar, ist alles andere als eine linke Vokü-Flugi-Transpi-Soli-Folklore-Veranstaltung.

Die slowenischen Partisanen, die ihr ganzes Leben gegen den deutschen und italienischen Faschismus gestemmt haben, wussten das. Viele der sich heute so gern auf jene Partisanen berufenden Antifas scheinen das jedoch vergessen zu haben.

Das slowenische Partisanenlazarett »Franja« kann auch im Internet besichtigt werden: www.burger.si/MuzejiInGalerije/MestniMuzejIdrija/Franja/BolnicaFranja_V…