Made in China

Chinesische Unternehmen produzieren längst nicht nur Billigwaren, sondern sind auch mit anspruchsvollen Produkten auf den Weltmärkten erfolgreich. von friedrich geiger

Als der chinesische Computerhersteller Lenovo im Dezember vergangenen Jahres die PC-Sparte von IBM übernahm, zeigten sich die Kommentatoren schockiert: Ausgerechnet ein Unternehmen aus China, das bislang als verlängerte Werkbank der Konzerne der Industrieländer galt, übernimmt ausgerechnet IBM, Pionier der Informationstechnologie und Paradebeispiel für die technologische Überlegenheit der Industriestaaten. Noch um die Jahrtausendwende wurden 80 Prozent aller in China gefertigten HighTech-Produkte von Betrieben hergestellt, an denen ausländische Konzerne beteiligt waren.

Im Vorjahr hatte der chinesische Konzern TCL den bayerischen Anbieter von Unterhaltungselektronik Schneider (mit der Marke Dual) übernommen. Aber das war ja eher eine Billigmarke, und außerdem war das Unternehmen sowieso pleite. Die Übernahme von IBM dagegen weckte Erinnerungen an die Entwicklung Japans, als das Land sich in der Unterhaltungselektronik an die Weltspitze kämpfte und auch die westlichen Automobilhersteller in die Schranken verwies. Bisher wurde befürchtet, dass deutsche Unternehmen Arbeitsplätze nach China verlagern könnten. Werden sich in Europa bald nicht nur Arbeiter, sondern auch Firmenlenker vor der chinesischen Konkurrenz fürchten müssen?

Mit einem Jahresumsatz von gut vier Milliarden US-Dollar ist TCL noch weit entfernt von der Liga der größten Weltkonzerne. Gleichwohl ist das Wachstumstempo vieler chinesischer Unternehmen ebenso beeindruckend wie das der gesamten Volkswirtschaft. Das chinesische Pro-Kopf-Einkommen stieg in den vergangenen 20 Jahren durchschnittlich um mehr als sieben Prozent jährlich und hat sich in dieser Zeit beinahe verfünffacht. Getragen wurde das Wachstum maßgeblich von ausländischen Direktinvestitionen. Unternehmen aus dem Ausland haben in den vergangenen Jahren zahlreiche Produktionsanlagen in China gebaut. Beispielsweise nahmen die Direktinvestitionen deutscher Firmen in der Volksrepublik innerhalb von zehn Jahren etwa um das 30fache zu und betrugen im Jahr 2003 nach Angaben des Auswärtigen Amtes 928 Millionen US-Dollar.

Der wichtigste Grund für die Direktinvestitionen ist die Hoffnung, dereinst 1,3 Milliarden Chinesen Volkswagen und Nivea-Creme andrehen zu können – eine Aussicht, die in den Augen der Konzernlenker die Dollarzeichen aufblitzen lässt. Mit einem Pro-Kopf-Einkommen von 1 200 Dollar jährlich und einem Bruttoinlandsprodukt, das gut ein Viertel niedriger ist als das deutsche, kann sich zwar erst eine Minderheit der Chinesen ausländische Konsumgüter leisten, doch die Zahl wohlhabender Käufer wächst rasant.

Die Machthaber in Peking wissen die Ambitionen der ausländischen Konzerne wohl zu nutzen. Seit sie im Jahr 1978 ausländische Investitionen zuließen, galt zwei Jahrzehnte lang das eherne Gesetz: Niederlassungen nur in Form eines Gemeinschaftsunternehmens mit chinesischer Beteiligung. Dadurch gelang es China, die wichtigste Zutat für Wirtschaftswachstum und Wohlstand ins Land zu holen: Know-how. Nur eine Wirtschaft, die sich an der Spitze des technologischen Fortschritts befindet – ob in der Pharmakologie, Informationstechnologie, Energiegewinnung, Medizintechnik oder in welchem Bereich auch immer – kann Produkte herstellen, die die Spitze des technologischen Fortschritts darstellen, kann hierfür Spitzenpreise verlangen und den Beschäftigten Spitzenlöhne zahlen. Durch den Zwang der Kooperation ausländischer Investoren mit chinesischen Unternehmen konnten TCL und Co. jenen das Know-how abringen, das notwenig ist, um auch auf ausländischen Märkten zu bestehen.

Obwohl inzwischen die Verpflichtung zu Gemeinschaftsunternehmen abgeschafft ist, bestehen die chinesischen Machthaber nach wie vor auf einem Technologietransfer. Ausländische Unternehmen, die Produktionsanlagen errichten wollen, werden nun dazu gedrängt, auch Forschungs-, Entwicklungs- und Designzentren nach China zu verlagern. Die Mitarbeiterfluktuation zu chinesischen Firmen stellt dann den Technologietransfer sicher.

Die ausländischen Investoren bezahlen also einen hohen Preis, da sie sich zwangsläufig ihre eigenen zukünftigen Konkurrenten heranzüchten. Die Hoffnung auf 1,3 Milliarden zusätzliche Kunden ist aber so verlockend, dass viele ausländische Unternehmen bereit sind, diesen Preis zu zahlen.

Der chinesische Boom der vergangenen zwei Jahrzehnte stellt zu einem großen Teil eine sich selbst erfüllende Prophezeiung dar. Weil viele Unternehmen von einem rasanten Wirtschaftswachstum ausgehen, investieren sie kräftig und schaffen dadurch ein rasantes Wirtschaftswachstum. Die Geschichte, zumal die jüngere, zeigt gleichwohl, dass Investoren zum Herdentrieb und irrationalen Überschwang neigen und ökonomische Trends sich schnell umdrehen können.

Der chinesische Markt gilt in vielen Branchen bereits als der am härtesten umkämpfte der Welt, auf dem sich nur schwer Gewinne realisieren lassen. So zeichnen sich etwa in der Automobilindustrie bereits Überkapazitäten ab. Im Jahr 2003 stieg die chinesische Autoproduktion noch um gigantische 83 Prozent und der Absatz um 75 Prozent. Angeheizt wurde der Boom von der laxen Kreditvergabe der chinesischen Staatsbanken. Bereits im Jahr darauf war mehr als die Hälfte der 18 Milliarden Dollar, die die Banken an Autokrediten vergeben hatten, nicht mehr einzutreiben, und die Banken verminderten die Kreditvergabe, was Mercedes im Jahr 2004 nur noch ein mageres Absatzplus von drei Prozent bescherte.

Wenn europäische und amerikanische Unternehmen sich in naher Zukunft auf ihren Heimatmärkten mit chinesischen Produkten konfrontiert sehen, die den eigenen abgeguckt sind, könnten die ersten vorsichtiger werden mit ihren Investitionen und wiederum einen Herdentrieb auslösen, diesmal in die entgegengesetzte Richtung. Denn wenn eine zurückhaltendere Investitionstätigkeit das chinesische Wachstum und die Erwartung bezüglich der zukünftigen Kaufkraft dämpft, sind Investitionen in China weniger reizvoll.

Chinas Wirtschaft könnte eine Entwicklung nehmen, wie sie die japanische vorgemacht hat. Als die Immobilienblase platzte, glitt das einstige Boomland in kurzer Zeit in die Stagnation ab und verharrt dort nun seit eineinhalb Jahrzehnten.

Allerdings kann es auch anders kommen. Möglicherweise haben die chinesischen Unternehmen mittlerweile genug von ihren ausländischen Partnern gelernt und die chinesischen Forscher sich mit dem Know-how vertraut gemacht, um auch bei sinkenden Investitionen der Europäer und Amerikaner aus eigener Kraft Erfolg zu haben. Japan, Südkorea und Taiwan haben dies in den vergangenen Jahrzehnten sogar ohne nennenswerte ausländische Direktinvestitionen geschafft. Die kluge Industriepolitik der chinesischen Machthaber könnte jetzt Früchte tragen und die chinesischen Unternehmen an die Weltspitze befördern.

Die Erfahrung (und die ökonomische Theoriebildung) lehrt, dass es gerade aufstrebende Volkswirtschaften sind, die neue Technologien besonders schnell adaptieren und dann in diesen Bereichen die Führerschaft erlangen. Japans zeitweiliges Quasimonopol in der Unterhaltungselektronik ist ein Beispiel hierfür. Möglicherweise wird China bald mit innovativen, biotechnologisch erzeugten Medikamenten zur Krebsbehandlung reich, während Deutschlands automobillastige Industrie eine Technologie aus dem vorletzten Jahrhundert konserviert.