Kalifen und Kolchosen

Usbekistans Präsident will die Gesellschaft und die Wirtschaft unter Kontrolle halten. Gegen seine Politik protestieren islamistische, aber auch liberale Oppositionsgruppen. von brian beckers

Islam Karimow hat es mit der Demokratisierung nicht eilig. Der usbekische Präsident warnt davor, »künstlich eine Demokratie einzuführen«, da die sozialen Verhältnisse noch nicht reif seien. Dies könne »radikale muslimische Gruppen« begünstigen. Seine Diktatur gehört jedoch zu den Faktoren, die zusammen mit der Armut und den besonderen sozialen Bedingungen dazu führten, dass das Ferghana-Tal bereits in den neunziger Jahren zu einer Basis islamistischer Aktivitäten wurde.

In Usbekistan hat der postsowjetische Staat seine Kontrolle über die Wirtschaft weitgehend aufrecht erhalten. Die meisten Bauern sind gezwungen, in Kolchosen zu arbeiten, die Regierung legt die Abnahmepreise für Agrarprodukte fest. Viele können ihr Überleben nur durch zusätzliche Subsistenzwirtschaft sichern. Vor allem Frauen versuchen, durch den Verkauf importierter Waren auf den Märkten ihr Einkommen aufzubessern. Dieser individuelle Kleinhandel wird durch Verbote der Regierung erschwert. Ende 2004 kam es zu zahlreichen Protesten gegen die Handelsbeschränkungen, die jedoch von der Regierung großteils ignoriert wurden.

Liberale Oppositionelle wie Nigara Hidoyatova, die Vorsitzende der Partei Freie Bauern, fordern mehr Marktwirtschaft und Demokratisierung: »Weil Usbekistan ein Agrarstaat ist, ist die erste Aufgabe, die gelöst werden muss, die Privatisierung des Landes. Aber Privatisierung ist nicht möglich ohne Liberalisierung.« Dies sei aber mit der gegenwärtigen Regierung nicht möglich.

Vor allem Jugendliche haben die Hoffnung aufgegeben, dass die Lage sich verbessern könnte. Es sei schwer, mit ihnen zusammenzuarbeiten, sagt Nigora Hidoyatova. Ihr einziges Ziel sei es, ins Ausland zu gehen. Junge Menschen bräuchten eine Perspektive, die ihnen Hoffnung gibt, sich in Usbekistan eine Zukunft aufbauen zu können.

Vielen geben islamistische Organisationen eine Perspektive. »Das mit dem Fundamentalismus ist so: Die jungen Männer finden doch oft keine Arbeit. Wenn dann jemand kommt und sagt, geh in die Moschee, das wird helfen, und dann bekommt er vielleicht noch etwas Geld, dann wird er mit ihnen gehen«, erklärte ein Bauer der Geografin Claudia Stein, die eine Untersuchung über die sozialen Verhältnisse im Ferghana-Tal veröffentlicht hat.

Die Islamisten verbinden die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit mit dem Protest gegen die Diktatur und materieller Hilfe in Notlagen. Die größte Organisation ist derzeit die Hizb ut-Tahrir, eine 1953 aus einer Abspaltung von den Muslimbrüdern hervorgegangene Organisation, die für einen Kalifatsstaat eintritt. Die Zahl ihrer Mitglieder wird auf 10 000 bis 20 000 geschätzt. Saudi-arabische Prediger und Gelehrte verbreiteten nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion die fundamentalistische Ideologie des Wahhabismus, auf der die Propaganda der Hizb ut-Tahrir aufbauen kann. Regierungstreue usbekische Medien sprechen von einer »Talibanisierung« oder einem »islamistischen Mongolensturm«.

Für große Teile der Landbevölkerung ist der Islam jedoch schlicht Teil ihres Alltags. »Wir bauen so viele Moscheen, weil wir es während der Sowjetzeit nicht durften. Aber wieso ist es ein Zeichen für Fundamentalismus, Moscheen zu bauen?« fragte eine Bäuerin aus dem Tal Claudia Stein. Wie verbreitet konservative, islamistische und liberale Ansichten im Ferghana-Tal sind, ist in einem Land ohne Pressefreiheit und Wahlen kaum feststellbar. Den Islamisten scheint es zumTeil gelungen zu sein, die sozialen Proteste ideologisch zu beeinflussen. Die Mehrheit der Demonstranten dürfte jedoch nicht auf die Straße gegangen sein, um anstelle des Kalifen Islam Karimow einen islamistischen Kalifen einzusetzen.