Crap statt Gap

Zwei neue Bücher widmen sich dem Culture Jamming und anderen Möglichkeiten des kreativen Protests. von gottfried oy

So wie den unerträglichen Daniel Brühl in Hans Weingartners »Die fetten Jahre sind vorbei« stellt sich inzwischen alle Welt die neue Generation politisch interessierter Jugendlicher vor: null Popkultur, null Zynismus, null Sensibilität für Trash oder Ironie, dafür aber jede Menge moralinsaure Bedürfniskritik, gepaart mit einer Verzichtsethik, welche die evangelische Kirche und die katholische Bischofskonferenz nicht besser formulieren könnten. Inwieweit dieses filmisch überzeichnete Portrait etwas vom wirklichen Lebensalltag und der tatsächlichen politischen Praxis der globalisierungskritischen Bewegung beschreibt, lässt sich derzeit an zwei aktuellen Veröffentlichungen aus deren Umfeld überprüfen.

Kalle Lasn gehört zur Adbusters Media Foundation, die seit Anfang der neunziger Jahre von Kanada aus mit Anti-Werbespots die Imagekampagnen internationaler Großkonzerne angreift. Da ihnen allerdings in der Regel die Fernsehsender für ihre Art der Werbung keine Sendezeit verkaufen, spielt sich ein großer Teil der Politik der Adbusters vor Gericht ab. Sie können so auf immer neue Urteile verweisen, die zwischen dem Bürgerrecht der freien Meinungsäußerung und dem Recht der Medienunternehmen, ihre Inhalte selbst zu bestimmen, hin und her lavieren. Mit den TV-Turnoff-Weeks und dem Buy-Nothing-Day versuchen sie sich zudem an der Konstruktion des kritischen Konsumenten, Kapitalismuskritik light sozusagen.

Lasn versucht sich in seinem nunmehr auf Deutsch vorliegenden Buch »Culture Jamming« an einer theoretischen Fundierung des Ansatzes der Adbusters. Dabei entsteht ein wilder, durchaus anregender Mix aus Situationismus, Punk-Existenzialismus und einer protestantischen Kultur des Verzichts , der sich allerdings nicht so ganz in die Ahnenreihe der theoretisch-politischen Vorbilder einfügt.

Doch der Reihe nach. Der situationistischen Kritik entnommen ist Lasns Faible für die »spontane Missachtung etablierter Ordnungen«. Er zeigt sich begeistert von der Kritik an der verwalteten Welt, an der Warengesellschaft, wie sie Guy Debord formuliert hat, und überträgt diese auf heutige Verhältnisse. Immer wieder stellt er dabei das »echte Leben« einer künstlichen Medienwelt, als die er die Gesellschaft des Spektakels begreift, gegenüber, die es den Menschen verunmögliche, noch »echte Erfahrungen« zu machen. Was bleibt, sei die Zurückeroberung eben dieses Spektakels: »Hol dir die Show zurück. Schaffe deine eigenen Atmosphären, Stimmungen und ›Situationen‹. Schaffe etwas ›Provisorisches und Gelebtes‹.«

Einer Art Punkexistenzialismus entspringt zudem der Bezug auf das authentische Gefühl der Unzufriedenheit als Ausgangspunkt von Protest: »Folge deinen Instinkten, lass die Wut raus. Wenn es plötzlich aus deinem tiefsten Inneren hervorquillt, dann unterdrück es nicht. Kanalisiere es, hab Vertrauen, mach es dir zunutze. Sei nicht immer so gedankenlos zivilisiert. Wenn das System dich in die Mangel nimmt, zieh den Stecker raus.«

Irritierend ist allerdings die kulturpessimistische Grundierung des Ganzen: Auto, Nahrungs- und Schönheitsindustrie zerstören Welt und Menschen, die Medien betreiben Gehirnwäsche, und die großen Konzerne regieren selbstherrlich den Globus. Diese scharfe Gegenüberstellung zwischen bösem Konsum und guter, »nicht kommerzieller Seele« der Menschen ist nicht nur theoretisch fragwürdig, sondern auch historisch kaum haltbar. Schließlich entstanden die Medien als kommerzielle Unternehmen, um sich unabhängig von Staat, Kirche oder König zu machen. Öffentlichkeit selbst ist demnach auch eine kommerzielle Angelegenheit. Zudem ist erst mal nichts gegen die Vorstellung einzuwenden, mit Politik jenseits von Partei und Parlament Geld zu verdienen; im Ehrenamt bleiben schließlich nur die übrig, die sich ein solches Hobby leisten können.

Etwas unbeholfener, dafür aber weniger kulturpessimistisch geht Marc Amann in dem von ihm herausgegebenen Sammelband zur Kunst des kreativen Straßenprotests an die Thematik heran. Der gut gemeinte Ansatz, Kultur in den Mittelpunkt zu stellen, wird hier von einem recht instrumentellen Zugang – Kunst zur Durchsetzung politischer Ziele und nicht etwa als politische Kunst oder Kultur – konterkariert. Wenn einzelne vorgestellte Protestformen wie Straßentheater oder -musik zum Teil auch etwas provinziell wirken, so ist die Zusammenstellung von so unterschiedlichen Aktionsformen wie Radical Cheerleading oder Guerilla Gardening dennoch aufschlussreich, weil hier erstmals ein Überblick gegeben wird und internationale Verbindungslinien aufgezeigt werden. Amanns Buch ist somit auch ein Beitrag zu einer Historie einer neuen Protestkultur.

Problematisiert wird zudem zu Recht, dass insbesondere bei besonders kreativen Protesten die Gefahr der Vereinnahmung und Entwertung der ursprünglichen politischen Ziele besteht. Christian Schmidt etwa weist in seinem Beitrag über street art darauf hin, dass von einem Nebeneffekt der kulturellen Aufwertung des öffentlichen Raumes durch Politaktivisten gesprochen werden kann. Auch das leicht Aufmüpfige, Renitente passt nun mal wunderbar in die neoliberale Stadt.

Eines allerdings bleibt bei Amann und Lasn außen vor: Alle Politikkonzepte, die mit dem Begriff der Kreativität arbeiten, scheuen sich, diesen zumindest ansatzweise zu problematisieren. Kreativität ist schließlich eine durch und durch bildungsbürgerliche Angelegenheit. Wenn Lasn Medienkonsum als passiv und nicht kreativ einstuft und den kritischen und witzigen Politaktionen gegenüberstellt, ist das eine konservative Argumentation. Hier wäre eine Prise mehr Postmoderne angebracht, schließlich beschäftigen sich der Poststrukturalismus, die Dekonstruktion oder die Cultural Studies schon seit weit mehr als 30 Jahren mit der Problematisierung eben dieser Art der Kritik einer »künstlichen« Medien- oder Warenwelt, die einem »wirklichen« Leben, einem authentischen Sein gegenübergestellt wird. Und wer schon als Kind lieber genüsslich »Bonanza« oder »Flipper« geschaut hat, als sich den kreativen Nachmittagsangeboten der Mittelklasse zu widmen, weiß schließlich, welche Idiosynkrasien beim Anblick kreativer Straßenproteste geweckt werden können.

Marc Amann (Hg.): go.stop.act! Die Kunst des kreativen Straßenprotests. Geschichten, Aktionen, Ideen. Trotzdem Verlag, Grafenau, Frankfurt am Main 2005, 229 S., 18 Euro

Kalle Lasn: Culture Jamming. Die Rückeroberung der Zeichen. Orange Press, Freiburg 2005, 224 S., 20 Euro