Acht Gesandte Gottes

Die Hoffnungen auf die Reformmullahs haben sich erledigt. Oppositionelle fordern einen Boykott der Präsidentschaftswahlen und ein Verfassungsreferendum. von arne behrensen

Ganz so undemokratisch, wie man vielleicht annehmen könnte, ist die Islamische Republik Iran nicht. Denn die Iraner und sogar die Iranerinnen können frei wählen, von welchem Mullah sie regiert werden möchten. Oder fast frei. Denn die Kandidaten müssen vom konservativen Wächterrat zugelassen worden sein. Obendrein hat der Präsident auch gar nichts zu sagen. Die eigentliche Macht liegt beim religiösen Führer Ali Khamenei, der ebenso wenig gewählt wird wie der so genannte Wächterrat.

Für die Präsidentschaftswahlen am 17. Juni genehmigte das Gremium anfangs nur sechs von rund 1 000 Bewerbern. Eine Frau befand sich darunter nicht, und mit dem ehemaligen Parlamentssprecher Mehdi Karroubi entstammte auch nur einer dem reformislamistischen Milieu.

Bereits bei den Parlamentswahlen im Februar 2004 sorgte der Wächterrat durch seine Zulassungspolitik für eine konservative Mehrheit im Parlament. Die meisten reformislamistischen Politiker durften nicht kandidieren. Auf Anordnung Khamenei musste der Wächterrat jedoch nachträglich den ehemaligen Erziehungsminister Mostafa Moin, den Kandidaten der reformislamistischen Islamic Participation Front, sowie Mohsen Mehr Alizadeh, einen der gegenwärtigen Vizepräsidenten, zulassen.

Allerdings haben die Reformislamisten in den Augen jenes Teils der iranischen Bevölkerung, der einst Hoffnungen auf die Versprechen Seyed Mohammad Khatamis setzte, längst abgewirtschaftet. Nicht zuletzt wegen dieser Desillusionierung dürfte die Beteiligung noch geringer sein als bei den Parlamentswahlen. Spätestens im zweiten Wahlgang dürfte sich der noch immer einflussreiche ehemalige Präsident Hashemi Rafsanjani durchsetzen.

Er hat hat sich in den vergangenen Monaten geschickt als Retter in der nationalen Not inszeniert und sich zudem von den anderen konservativen Kandidaten öffentlich distanziert. Im Ausland gilt er als »Pragmatiker«, mit dem auch eine Einigung über das iranische Atomprogramm für möglich gehalten wird. Gerne wird dabei übersehen, dass er schon mal drohte, Israel mit Atomwaffen zu vernichten, und einer der Auftraggeber für Morde an Exilpolitikern war, so auch beim Anschlag, der 1992 im Berliner Lokal »Mykonos« verübt wurde. Darüber hinaus ist sein Clan ein Paradebeispiel für die hemmungslose persönliche Bereicherung der herrschenden Mullahs.

Schon bei den letzten Kommunal- und Parlamentswahlen gingen so wenige Stimmberechtigte wählen wie nie zuvor. Nun vergeht kaum ein Tag ohne einen Aufruf zum Boykott der Wahlen. Im März veröffentlichten 565 Intellektuelle eine Aufsehen erregende Erklärung, die verächtlich von der »Spielerei der Präsidentschaftswahlen« sprach. Selbst die Friedensnobelpreisträgerin Schirin Ebadi sagt in Interviews, dass sie nicht wählen werde.

Folgenreich war der Aufruf, den im November acht prominente Dissidenten veröffentlichten. In ihrem »nationalen Appell für ein Referendum« forderten sie »eine demokratische Regierung auf Grundlage der internationalen Menschenrechtscharta«. Die Erfahrungen der jüngeren Vergangenheit hätten gezeigt, dass »mit der jetzigen Verfassung und der jetzigen Regierungsstruktur keine Möglichkeiten der Verbesserung vorhanden« seien.

Die Aufrufer nahmen ein Stichwort Amir Entezams auf, der mit kurzen Unterbrechungen seit 1979 im Knast sitzt und der wohl prominenteste politische Gefangene ist. Er hat Ende 2002 vorgeschlagen, ein international überwachtes Verfassungsreferendum durchzuführen. Seitdem ist der Ruf »Referendum!« zu einer allgegenwärtigen Parole nicht nur der Studentenbewegung geworden.

Brisant wird der »nationale Appell« durch den Zeitpunkt seiner Veröffentlichung kurz vor den Präsidentschaftswahlen sowie durch das Spektrum der Personen, die ihn unterzeichnet haben und die ihn unterstützen. Dazu gehören ehemalige Anhänger Khatamis wie der Publizist Mohsen Sazegara, sowie die Anführer der größten Studentenorganisation, des »Büros zur Festigung der Einheit«. Kaum war die Erklärung veröffentlicht, schlossen sich ihr 51 prominente Oppositionelle aus dem In- und Ausland und aus unterschiedlichen politischen Richtungen an. Über die Homepage www.60000000.com meldeten sich binnen weniger Wochen über 35 0000 weitere Unterstützer, obwohl das Regime dafür sorgte, dass die Seite aus dem nicht aus dem Iran erreichbar war.

Der Berliner Kambiz Rousta, der als bekannter linker Oppositioneller an der Kampagne beteiligt ist, zeigt sich zufrieden: »Wir haben eine neue Bewegung geschaffen, in der sich demokratische Iraner aller politischen Richtungen auf der Basis eines politischen Minimalprogramms von Demokratie und Menschenrechten zusammengetan haben. Das ist der Beginn eines demokratischen Verständigungsprozess, der für einen Regimewechsel nötig ist. Und der muss von den Iranern selbst erkämpft werden.«

Die Kampagne wird von Individuen und nicht von Parteien getragen, und sie versucht, die Zersplitterung der Opposition, insbesondere die Spaltung zwischen Monarchisten und Republikanern, zu überwinden. Allerdings fällt es vielen exilierten Republikanern nicht leicht, selbst mit Anhängern einer konstitutionellen Monarchie zusammenzuarbeiten, repräsentieren diese doch das ehemalige Schah-Regime.

Auch missfällt es manchen Oppositionellen, dass sich unter dem Aufruf der Name Mohsen Sazgeras findet, der einst ein Vertrauter Ayatollah Khomeinis war und derzeit Fellow am Washington Institute for Near East Policy ist. Oft wird auch kritisiert, dass der Aufruf keine klare Absage an das System der Islamischen Republik bedeute, da ein Referendum auf die Kooperation des Regimes angewiesen sei. Doch bei dieser Kampagne geht es weniger darum, ob das Referendum tatsächlich durchgeführt wird. Wichtiger ist die symbolische Konfrontation: Man formuliert eine Forderung, auf die sich das Regime niemals wird einlassen können.

Gewichtiger ist wohl die Kritik, die von Vertretern von Minderheiten zu hören ist, die im Aufruf nicht ausdrücklich erwähnt werden. So gehört Abdul Sattar Doshki, der Vorsitzende der Balochistan United Front, zu den Erstunterstützern. »Viele Repräsentanten der Minderheiten sind aber skeptisch«, sagt er. Er hofft, dass sich der im Februar in London von sieben Organisationen gegründete »Kongress der iranischen Nationalitäten« vom ethnischen Separatismus distanziert und dass dadurch innerhalb der Opposition eine Debatte über eine künftige föderale Ordnung möglich wird.

Auch die herrschenden konservativen Mullahs dürften sich weniger dafür interessieren, wer die Wahlen gewinnen wird, als dafür, wie viele Iraner sich überhaupt an ihnen beteiligen. Da eine Wahlpflicht herrscht und bei der Stimmabgabe die Pässe gestempelt werden, könnte ein Boykott etwa für Studenten und Angestellte Folgen haben. Zudem ist der politische Bewusstseinsstand auf dem Land ein ganz anderer als in den großen Städten, wo sich zuletzt nur noch jeder Fünfte an den Wahlen beteiligen mochte.

Doch die entscheidende Frage lautet letztlich, ob und wie ein erfolgreicher Boykott in einen Sturz des Regimes übergehen kann. Denn das will nicht nur aus außenpolitischen Gründen die Atomwaffe, sondern auch deshalb, um seine Macht an innen zu stärken.