Lawrence of Euphoria

Dem House-Produzenten Peter Kersten aka Lawrence geht es um mehr als Musik. von julian weber

Bei einigen der besten Housetracks begnügen sich die Interpreten mit der Nennung eines Vornamens: Jacob, Jovonn, oder Lawrence. Damit wird jeweils eine Kunstfigur etabliert, deren Handlungsspielräume durch die Musik immer weiter ausgedehnt werden können. Dieses Platzschaffen verlangt den Hörern allerdings Fantasie ab. Bei Lawrence denkt man zuerst an einen freundlichen, aber distanzierten Engländer. In Wahrheit aber kommt Lawrence aus Hamburg und heißt Peter Kersten. Lawrence klingt aber irgendwie interessanter, very british indeed. »Ansonsten gibt es zur Wahl meines Namens keine konkreten Bezüge. Deswegen habe ich mir angewöhnt, auf diesbezügliche Fragen stets mit ›Ja‹ zu antworten. Kennst Du ›Lawrence of Arabia?‹ – Ja. – Pete Lawrence von Felt? – Na sicher!«

Kersten hat ein neues Lawrence-Album veröffentlicht. Es heißt »The Night will last forever« und ist sein drittes und bisher bestes Werk unter diesem Alias. Das ist erwähnenswert, weil sich Kersten manchmal auch Sten nennt. Auch von Sten existiert seit Oktober ein Album, »Leaving the Frantic«. Während Sten mitten in die Nacht reist, geht Lawrence bis an ihr Ende. Und wieder zurück. Mal verspürt Kersten Lust auf die gerade Bassdrum, auf das sauerstoffarme Entertainment der Peakhour, mal übernimmt aber auch die kühle Melancholie der blauen Stunden die Regler. Manchmal gehen die Stimmungen jedoch einfach Hand in Hand. »Die beiden Identitäten sind ziemlich eng miteinander verwoben. Welche zum Zuge kommt, entscheide ich jeweils am Rechner, beim Experimentieren mit Sounds und Stücken. Überkommt mich ein Gefühl für den Club, ist das Sten. Vielleicht halte ich es auch mit Sounds, die mehr Background beinhalten, dann ist es Lawrence.«

»The Night will last forever« ist die Erzählung einer abwechslungsreichen Nacht. Die Musik knüpft an den schnurgeraden Beat von Sten an, aber sie ist weitgehend von Eindeutigkeit befreit, hat lose Enden. Lawrence kann euphorisch sein, aber auch launisch, wie eine Diva: Dann stottert und hustet es, Beats setzen unvermittelt aus, und die Flächen trudeln besoffen vor sich hin. Es gibt wenig, woran man sich festhalten könnte, trotzdem bleibt die Stimmung stets angespannt. Aus der künstlich erzeugten Ferne eines Delays dringen einzelne Stimmfetzen durch die Wand aus Sound. Man versteht die Sprache nicht, die gesprochen wird. Aber in der Stimme liegt hörbar Erregung. Mühsam hebt die Musik wieder an, ein hymnisches Intro verspricht Aufhellung, aber es läuft dann doch bloß ins Leere.

»Manchmal bin ich von dem ganzen Dancefloor-Ding total genervt. Ich habe schließlich noch mehr Interessen, als immer nur ans Tanzen zu denken. Das führt dann andererseits wieder zu schönen Wechselwirkungen in meiner Musik«, teilt Kersten mit. Die Dramaturgie seiner Musik entspricht nie der achttaktigen Vorwärtsbewegung des klassischen Clubtracks. Sie ist mal schneller als die 126 bpm Richtgeschwindigkeit, mal langsamer. Sie ist die Erfüllung des großen Versprechens vom Dancefloor und gleichzeitig die innere Abkehr davon.

Kersten arbeitet auch nicht auf den offensichtlichen musikalischen Höhepunkt hin, sondern er verlässt regelmäßig die Ebene des Funktionalen. »Ich schätze, das hat mit meinen Hörgewohnheiten zu tun. Mir gefallen die Spannungsbögen von E-Musik, besonders die verstörenden Momente.«

»The Night will last forever« setzt seltsam vertraute Klänge ein: Glockenspiele, Samples von Vibraphonen oder Kichenglocken. Der Sound von metallenen Instrumenten habe es ihm generell angetan, erklärt Kersten.

Auch eine Ahnung von Ambient durchweht seine Musik – Music for Puppenstuben. Die meisten Klangelemente wecken niedliche oder kindliche Assoziationen. Aber Lawrence komponiert damit bedrückende und heimtückische Melodiefolgen. Passenderweise hat er für eine von Albrecht Kunze und Ekkehard Ehlers zusammengestelle Compilation namens »Childish Music« einen Titel beigesteuert: »Falling Down a Dam of Mashed Potatoes«. Er habe sich darin vorgestellt, wie ein Kind mit Essen spielt, so Kersten. Das erinnert an die kleine Tochter eines Freundes, die immer sagt »Platte weint«, wenn sich wieder ein verdrehtes House-Stück auf dem Plattenteller dreht.

»Ich versuche immer, bei meinen Stücken eine erzählerische Haltung einzunehmen. Ich transportiere zwar damit keine konkreten Bilder, aber wie ich mit dem Klangmaterial beim Arrangieren umgehe, das ist schon vergleichbar mit den Kunstgriffen, die jemand einsetzt, um eine Geschichte zu erzählen«, sagt Kersten. Man hört der Musik von Lawrence auch eine gewisse Mühsal an. Sie klingt, als würde jemand den Plattenspieler erst mit der Hand ankurbeln müssen. Aber Kersten vermag mit ganz wenigen Mitteln, sonderbare (Frei-) Räume herzustellen, unerwartete Entwicklungen des Plots sozusagen. Manchmal keimt Zuversicht auf, das ist ein kostbares Gut bei Lawrence. Seine Musik ist jedenfalls vielschichtiger, als es die einheitlich in schwarzweiß gehaltenen Cover vermuten lassen.

Seit seinen Anfängen, Mitte der Neunziger, ist Lawrence zugänglicher geworden, ohne dass er von seiner ursprünglichen Soundphilosophie auch nur um ein Jota abgerückt wäre. Auf seinem Debütalbum waren die Tracks noch namenlos. Inzwischen führt Kersten Buch: »Lost Images«, »The Lawn«, »Attracted by Fire«. »Über die Titel bin ich in Büchern gestolpert. Oder aber sie stammen von irgendwelchen Gegenständen, auch aus Textzeilen anderer Musiker. Manchmal denke ich, das Tracklisting liest sich wie Lyrik. Dass sich da ein Zusammenhang ergeben könnte, ist jedoch nicht beabsichtigt«, so Kersten. Sein Lieblingsfilm »Die Dinge des Lebens« von Claude Sautet spielt das Ende einer Dreiecksbeziehung in Zeitlupen und rückwärts laufenden Bildern durch. Repetitive Elemente und Rückwärtsloops finden sich auch in der Musik von Lawrence wieder. Damit soll allerdings nicht die Zeit zurückgedreht werden. Mit dem Achtziger-Revival hat Lawrence nichts zu tun, seine Musik klingt auch nicht resignativ. Eher launisch, aber immer gegenwärtig.

Larry »Mr. Fingers« Heard, einer der House-Originators aus Chicago, hat einmal gesagt, mit dem Houseproduzenten sei ein Musikertypus aufgekommen, der sehr viel näher an die regular guys im Viertel heranreichte, als es Images schwarzer Musiker jemals zuvor zugelassen hätten. Nun ist Lawrence stilistisch und geographisch gesehen weit entfernt vom Chicago-House der achtziger Jahre. Die Brothers aus Chicago und Detroit winken in seinem Sound bestenfalls noch aus der Ferne. Er sagt, seine Musik sei lange nicht so konkret wie Deephouse. Aber doch ist er als lokale Kraft in Hamburg verankert. Hier betreibt Kersten zusammen mit Freunden wie Turner oder Carsten Jost das unabhängige Label Dial. »Wir haben das Label hauptsächlich gegründet, um unsere eigene Musik und die unserer Freunde herauszubringen und nicht irgendwelchen A&R-Heinis in die Hände zu legen«, so begründet er diesen Schritt.

Er legt als DJ regelmäßig auf, hat mit zwei Freunden eben erst einen kleinen Plattenladen eröffnet. Dass er Rückgrat hat, beweisen auch seine Aktivitäten mit der Popantifa. »Als mal wieder alles auseinanderzubrechen drohte, wollten wir die politische Arbeit mit kulturellen Aktivitäten verbinden. Das ging natürlich manchmal furchtbar in die Hose, war aber gelegentlich auch toll. Ich bin sonst recht unorganisiert. Was ich aber gut kann, ist, für die Musik zu sorgen und Veranstaltungen zu machen. Anfangs haben wir die Arbeit bei Dial auch direkt an die der Antifa geknüpft. Im Moment ist eher wieder eine Phase, in der sich alles neu ordnet.« Auch die Musik von Lawrence ordnet sich ständig neu. Das macht gerade ihr Geheimnis aus.

Lawrence: The Night will last forever. (Dial/Ladomat)