Ökonomische Segnung

Evangelische Sekten missionieren erfolgreich in Lateinamerika. Mit dem Versprechen auf Wunderheilungen lassen sich gute Geschäfte machen. Die Sekte Pare de Sufrir ist nicht nur in Mexiko-Stadt aktiv. von marco pulquo (text und fotos)

Kruzifixe hinter den Frontscheiben der Stadtbusse; Schamanen, die neben dem Anthropologischen Museum den zahlenden Passanten mit einem Weihrauchfässchen den Schmutz aus der Seele wedeln, Gebetskerzen in den Regalen der Supermärkte, Esoterikpartys und Mayarituale auf dem gutbürgerlichen Wohnzimmerboden – in Mexiko-Stadt wird dem spirituell Bedürftigen so einiges geboten. Während die katholische Kirche zum Schäfchenzählen immer weniger Zeit braucht, haben alternative Erleuchtungsvereine rasanten Zulauf.

Vor allem evangelische Kirchen und Sekten werben erfolgreich für einen direkten Draht zum Big Boss, teils mit Flugblättern und Megaphon im Park Alameda Central, wie die Organisation »Palabra de Deus«, oder auch im Radio und im Fernsehen, wie die Universelle Kirche von Gottes Herrschaft (UKGH), die auch unter dem verheißungsvollen Namen »Pare de Sufrir« (»Schluss mit dem Leid«) bekannt ist. Und wer einmal in ihr achtstündiges nächtliches Radioprogramm auf 730 AM reinhört, kann tatsächlich den Eindruck gewinnen, dass der Weg zu den Wundern des Herrn nicht weit ist. Ein Anruf im Studio ist der erste Schritt.

Heute ruft Marta an und erzählt aufgelöst, dass die Ärzte bei ihr einen bösartigen Tumor diagnostiziert haben. »Ich habe solche Angst vorm Sterben«, schluchzt sie in den Hörer. Doch Pare de Sufrir hat nicht nur Trost und Bibelzitate parat, sondern kann sogar Heilung in Aussicht stellen. Jeden Dienstag gibt es drei spezielle Gottesdienste für die chronisch Kranken und Elenden, erklärt der Moderator. Denn wem es nicht am Glauben fehlt, dem kann geholfen werden. Die einige zehntausend Exemplare starke Auflage der Wochenzeitung der UKGH ist stets voll von Zeugnissen wundersam Genesener. Mariela verrät in der dritten April-Ausgabe den Lesern, wie es geht: »Mein Großvater hat mich eingeladen, doch einmal mit zu einer Messe in die Universelle Kirche zu kommen. Ich wollte nicht gleich Nein sagen und bin mitgegangen, aber ich hatte danach eigentlich nicht vor zurückzukehren. Doch dann, als die Schmerzen immer stärker wurden, entschied ich mich doch, wieder in diese Kirche zu gehen, weil ich Hilfe brauchte. Ich war zu dem Schluss gekommen, dass nur Gott mir noch helfen könne. Und seit ich anfing, an den Gebetsketten teilzunehmen, änderte sich mein Leben. Ich wurde von Herzstechen und Krebs geheilt. Gott vollbrachte an mir ein wahres Wunder. Medizinische Studien haben das bestätigt.«

»Wunder« vollbringen die oft als Neopfingstler bezeichneten Priester von UKGH in Mexiko bereits seit Anfang der neunziger Jahre. Es sind die alltäglichen Ängste und Probleme, Alkoholismus, schwere Krankheiten, Schulden, ein prügelnder Ehemann oder die koksenden Kinder, für die die telegene Kirche Lösungen verspricht. Auf diese Weise hat sie weltweit inzwischen eine millionenstarke Anhängerschaft erworben.

Gegründet wurde Pare de Sufrir 1977 in Brasilien. Der abtrünnige Katholik, zeitweilige Candomblé-Priester und ehemalige Lotterieangestellte Edir Macedo hatte sich gerade mit seinem Schwager überworfen, der ihm vorwarf, sich heimlich aus der Kasse ihres gemeinsamen Kirchenprojekts zu bedienen. Die Wege trennten sich, Macedo begann, sich vor einigen Zuhörern im Hinterzimmer eines Beerdigungsinstituts in Rio de Janeiro als religiöser Seelentröster anzupreisen; heute leitet er von Brooklyn, New York, aus ein weltweites Glaubensimperium. Die mexikanische Tageszeitung El Universal recherchierte, dass seine Organisation inzwischen in mehr als 80 Ländern präsent ist, und nach Angaben des britischen Religionsforschers Allan Anderson stellt Pare de Sufrir heute innerhalb der evangelischen Pfingstlerbewegung die am schnellsten wachsende Kirche dar – und wahrscheinlich auch die aggressivste. Die von der UKGH publizierte Polemik gegen andere Religionen ist heftig. So wurde beispielsweise Adolf Hitler als Angestellter des Vatikans bezeichnet. Äußerungen, die katholische Pastoren wie Flavio Amatulli Valente gern zum Anlass nehmen, ihrerseits gleich das gesamte Spektrum evangelischer und anderer Glaubensgemeinschaften zu denunzieren: Samuel Ruíz, Martin Luther und Sun Myung Moon – aus seiner Sicht alles Vertreter desselben Vereins. Papst Johannes Paul II. seinerseits ließ offen, wer jene »tollwütigen Wölfe« seien, die offen die katholische Tradition in Lateinamerika angreifen.

In Südafrika demonstrierten Mitte der neunziger Jahre 100 000 Neopfingstler gegen den Besuch des damaligen Papstes. Ein Vorfall, der beispielhaft das Phänomen eines »Christianismus des Südens« illustriert, wie der Historiker und Religionsforscher Philip Jerkins in seinem Buch »Next Christianity« erklärt. Solche Organisationen erlebten derzeit einen Boom und operierten völlig unabhängig von den Glaubenszentren der früheren Kolonisatoren. Allan Anderson sieht die Kirche von Edir Macedo gar als den Beginn eines »postmodernen Pfingstlertums«, das nicht mehr viel mit den nordamerikanischen und europäischen Traditionen gemein hat. Pare de Sufrir sei »eine wohlstandsorientierte Heilungsbewegung, die sich vor allem auf die städtische Mittelklasse konzentriert«.

Wohlstand und Gesundheit – zwei Schlagworte, die auch in Mexiko für ein volles Haus sorgen. Inzwischen besitzt Pare de Sufrir landesweit über fünfzig Kirchen, 29 davon allein in Mexiko-Stadt. Die Organisation kauft vorzugsweise leer stehende Theater, Kinosäle und Lagerhallen, um sie dann zu riesigen Tempeln umzubauen, in denen manchmal weit mehr als tausend Besucher Platz finden.

Dabei wird nicht selten gegen die Auflagen verstoßen, welche die Nutzung der Gebäude betreffen. Ein Restaurantbesitzer nahe dem ehemaligen Theater »Silvia Pinal« im wohlhabenden Stadtviertel Roma hat die Bauarbeiten der neuen Nachbarn aufmerksam verfolgt: »Als sie das goldene Kreuz an der Fassade montiert haben, bin ich rübergelaufen und habe gefragt, ob sie denn eine Erlaubnis hätten, hier eine Kirche zu eröffnen. Ein Vertreter von Pare de Sufrir hat mir entgegnet, dass es sich nicht um eine Kirche im üblichen Sinne handle, sondern dass hier immer noch Aufführungen stattfinden würden.«

Das neue Programm kann sich wirklich sehen lassen. Drei Inszenierungen täglich und thematisch gestaffelt von der montäglichen ökonomischen Segnung bis zur jeden Sonntag stattfindenden »Begegnung mit Gott und dem Gebet für den Erhalt der Familie«. Gut besucht sind stets auch die Freitagsvorstellungen, wenn bei einer »spirituellen Reinigung« dutzendweise die Dämonen verjagt werden.

Die Teufelsaustreibungen von Paulo Roberto, dem mexikanischen »Bischof« der UKGH, den schlaflose Einwohner der Stadt bereits aus nächtlichen Sendungen im Radio und Fernsehen kennen, sind besonders beliebt. Im größten Tempel der Organisation, dem Santuario Mayor in der Avenida Revolución, lädt er neue Besucher und permanent »Besessene« mit sanfter Stimme zu epischem Theater der besonderen Art ein: »Kommt nach vorn, lasst euch reinigen! Wir sind alle hier, um euch zu helfen.« Während seine Stimme weiter durch die Lautsprecher des schlichten Saals hallt, schlägt der Pianist auf der Bühne ein Pathos an, dem gegenüber »Candle in the Wind« wie ein Punksong erscheint. Die ersten Reihen im Saal erheben sich, um ein »O Señor« anzustimmen. Und dann, wenn alle spirituell Kontaminierten die Köpfe gesenkt und die Augen geschlossen haben, beginnt Paulo Roberto langsam, seine Stimme zu einem wahren Sturm aus Anrufungen anschwellen zu lassen. Chor und Piano folgen. Eine Frau beginnt hysterisch zu schreien und muss vom Kirchenpersonal, das zugleich als Wachschutz fungiert, beruhigt werden.

Die übrigen Messdiener legen daraufhin Hand an die übrigen Hilfesuchenden, packen sie an Stirn und Hinterkopf und beginnen, erst leise murmelnd, dann immer lauter, hypnotisch die gleiche Formel zu wiederholen: »Auf dass alle Dämonen, die sich an diesem Ort befinden, verschwinden mögen. Hinfort!« Am Ende tosender Beifall und ein paar Spritzer heiliges Wasser aus dem Jordan. Bloß nicht zu viel, denn zu verschenken hat Pare de Sufrir bei aller Liebe dann doch nichts.

Im Gegenteil. Lässt man die religiösen Botschaften einmal beiseite, ist Pare de Sufrir vor allem eines: ein sehr erfolgreiches Unternehmen, dass seinen Angestellten Monatsgehälter ab 850 Dollar bieten kann. In Mexiko scheint für die UKGH noch immer der Zehnt der Kirchgänger die wichtigste Einnahmequelle zu sein, und damit diese ordentlich sprudelt, wird ein Drittel der Messe dazu verwandt, Spenden einzutreiben. »Wer kann heute mit 5 000 Pesos (rund 400 Euro) helfen«, will der Pfarrer wissen. »Kommt schon, zum Sündigen habt ihr immer Geld, aber für Gott habt ihr nie etwas. Dafür erhält der Spender auch diese wunderschöne Bibel hier.« Niemand kann an diesem Tag so viel Geld für die Heilige Schrift berappen. Erst als 1 000 Pesos gefordert werden, erheben sich einige Besucher, um am Geschenkaltar einen Umschlag mit Geldscheinen abzugeben. Das sind Frauen in eleganten Kostümen und Männer, die wie die Priester in Schlips und Kragen zur Messe erscheinen.

Für hundert oder zwanzig Pesos kann die Masse dann noch ein Paar Armbänder abgreifen. Und damit auch niemand zu viel mit sich herumträgt, geht am Ende der Klingelbeutel für das Kleingeld herum. Wer dann noch ein paar Pesos einstecken hat, kann im Fanshop einige Extras erwerben. Splitter vom Kreuz Jesu, gesegnetes Olivenöl aus Israel und für die Kinder Comics mit Titeln wie: »Die Invasoren«, »Allah hatte keinen Sohn« und »Stadt der Sünden«.

Alle Versuche der mexikanischen Presse, mehr über Pare de Sufrir herauszufinden, sind bisher gescheitert oder endeten für die Journalisten in handgreiflichen Auseinandersetzungen mit dem Sicherheitsdienst der Kirche. Man lässt sich halt nicht gern ins Weihwasser spucken. In der vorletzten Woche wurde ein Fotograf der Jungle World beim Versuch, Bilder eines Gebäudes von Pare de Sufrir zu machen, von einem handfesten Priester auf offener Straße mit einer Bibel attackiert. Die Polizei bestand schließlich darauf – nach einer »Spende« des Geistlichen an die Ordnungshüter –, dass das Filmmaterial sofort vernichtet wird.

Die Organisation kann derzeit auf schlechte Schlagzeilen verzichten. Zu Beginn dieses Jahres forderten verschiedene Abgeordnete des Parlaments das Innenministerium auf zu prüfen, welche wirtschaftlichen Interessen Pare de Sufrir in Mexiko verfolge und ob der »Verkauf von Wundern« in den Kirchen nicht gesetzwidrig sei. Bislang sind allerdings keine offiziellen Ermittlungen eingeleitet worden.

Die aus den brasilianischen Medien bekannten Informationen über Pare de Sufrir geben jedoch einige Hinweise darauf, wer hier in Mexiko-Stadt im Immobilien-, Medien- und Seelsorgegeschäft tätig geworden ist. Beim Erwerb der Aktienmehrheit des damals zweitgrößten brasilianischen Fernsehsenders »Rede Record« im Jahre 1989 beispielsweise soll Edir Macedo Geld für das kolumbianische Cali-Kartell gewaschen haben. Der Gerichtsprozess wurde jedoch aus Mangel an Beweisen eingestellt. Mittlerweile besitzt Pare de Sufrir in Brasilien nicht nur knapp 3 000 Kirchen, sondern kontrolliert außerdem 16 TV-Kanäle, einige Dutzend Radiostationen, drei Tageszeitungen, zwei Zeitschriften und die Bank »Banco Metropolitano«. Die jährlichen Einnahmen sollen sich auf mehr als eine Milliarde Dollar belaufen.

In den barrios populares, den ärmeren Vierteln von Mexiko-Stadt, sparen die Anhänger von Pare de Sufrir hingegen weiterhin für neue Klimaanlagen. Diese Investition lohnt sich für die Kirchgänger, denn zwischen dem mal bedrohlich-dramatischen, mal einfühlsamen Worten des Priesters darf auch getanzt werden in den stickigen überfüllten Hallen. Im Rhythmus mexikanischer Volksmusik werden die Hände in die Höhe geworfen. Ein Messdiener macht den Vortänzer, eine einfache Choreographie im Macarena-Stil. Doch bevor sich der Saal in Stimmung wippt, geht’s erst mal wieder auf die Knie, um Demut zu zeigen.

Zwei Stunden Gottesdienst, ein Tänzchen für den Herrn und Einzelgespräche für jene, die in der Messe zusammenbrechen – mehr soziale Fürsorge ist bei Pare de Sufrir nicht drin. Während andere evangelische Kirchen in Lateinamerika mit einer intensiven Seelsorge werben, lässt sich das Kirchenpersonal von Pare de Sufrir eher mit Vollzugsbeamten einer Strafanstalt vergleichen. »Wer zum Schwatzen hergekommen ist, der kann jetzt nach Hause gehen«, herrscht der höchstens 30jährige Prediger die Menge an. »Habt ihr mich verstanden?« – »Ja.« – »Hab ich Recht?« – »Jaa.« – »Ja oder Nein?« – »Jaaa.«

Karitative Dienste sind auch gar nicht erforderlich, denn die Alternative bei Pare de Sufrir ist sehr einfach gestrickt: Entweder du bist von Dämonen besessen, arm und krank, oder du hast genug Glauben, zahlst deinen Zehnt und wirst reich und gesund. Wer trotzdem weiter keine Miete zahlen kann und mit dem Blindenstab zur Messe kommt, der ist eben nicht fromm genug oder hält Geld zurück vor dem Herrn.

Wer nach einiger Zeit dann die vierte Bibel für 1 000 Pesos im Schrank stehen hat und zum Abendmahl immer noch ausschließlich Tortillas und Bohnen kaut, langsam Zweifel bekommt, ob Pare de Sufrir und all das gesegnete Olivenöl wirklich bekömmlich sind, der sollte lieber einen Kammerjäger zum Freund haben. Denn alle Abtrünnigen werden für jeden ausgetriebenen Quälgeist gleich von sieben neuen Dämonen heimgesucht werden. »So steht’s in der Bibel«, sagt zumindest Edir Macedo. Und er lässt weiterhin alle Vorwürfe, die von politischem Lobbyismus über Steuerhinterziehung bis zu Nötigung reichen, an sich abprallen: »Meine Kirche ist wie Eiweiß. Je mehr man sie schlägt, desto größer wird sie.«

Das scheint sich bisher auch in Mexiko zu bewahrheiten. Selbst als bekannt wurde, dass auf den Flaschen mit gesegnetem Wasser aus dem Jordan »Made in Mexiko« stand, hat das die Mauern der Universellen Kirche nicht erschüttern können.

Wer glaubt, sucht nicht nach Widersprüchen. Doch manchmal stolpert man über sie, beim Verlassen der Kirche zum Beispiel. Denn dort, wo der helle Marmorboden des großen Santuario Mayor, des großen Heiligtums, endet, hat sich ein alter Mann auf seine Krücken geklemmt und empfängt die Gereinigten. Vor ihm auf dem Boden liegt eine leere Mütze. Ein junges Pärchen ist nach zwei Stunden Redeverbot intensiv in ein Gespräch vertieft, sie übersehen den Bettler und bringen ihn beinahe zu Fall. »Oh, tut mir leid«, stammelt der Mann und fängt an, Hemd und Hose nach Münzen abzuklopfen. Aber die Taschen sind leer. Seine Begleiterin hat gerade noch Kleingeld für den Bus. Nach einigen umständlichen Entschuldigungen verabschieden sie sich und gehen zur Busstation. Dann kommt auch schon der kirchliche Sicherheitsdienst, um den spirituellen Stolperstein aus dem Weg zu räumen.