Präsident im Wartestand

Regierungsumbildung in Frankreich von bernhard schmid, paris

Meinen ärgsten Feind ins Kabinett: Nach diesem Motto verfuhr Staatspräsident Jacques Chirac bei seiner Regierungsumbildung, die vom Dienstag bis zum Freitag der vorigen Woche dauerte. Und so zieht Nicolas Sarkozy nunmehr erneut in ein Kabinett ein, obwohl Chirac ihm noch im vorigen Sommer verboten hatte, gleichzeitig Minister und Parteivorsitzender zu sein. Daraufhin hatte Sarkozy im November den Vorsitz der vor drei Jahren als bürgerlich-konservative Einheitspartei gegründeten UMP übernommen und auf seinen Ministerposten verzichtet.

Jetzt hat er beides. Und noch mehr: Als neuer und alter Innenminister ist er es, der die kommenden Wahlen organisiert, den Termin festlegt und die Wahlkreise neu einteilen kann. Er hat die Aufsicht über die Nachrichtendienste und somit die Kontrolle darüber, welche Informationen wie schnell an die Staatsführung und seine Ministerkollegen gelangen. Und als amtierender Parteivorsitzender hat er ein gewichtiges Wort bei der Auswahl der künftigen Bewerber um die Präsidentschaftskandidatur mitzureden.

Nach der schweren Niederlage Chiracs bei dem von ihm angesetzten Referendum über die EU-Verfassung wurde ein oberflächlicher, zumindest formaler Politikwechsel unumgänglich. Der bisherige Premierminister, Jean-Pierre Raffarin, war wegen seiner stetig wachsenden Unbeliebtheit nicht mehr zu halten. Inhaltlich wird sich am Kurs der Regierung allerdings vorerst nichts ändern. Dafür bürgt die Ernennung des ehemaligen engsten Mitarbeiters Chiracs zum Premierminister: Dominique de Villepin, der sieben Jahre lang das Präsidialamt leitete, bevor er 2002 Außen-, später Innenminister wurde. Er garantiert Kontinuität in der Verkoppelung eines neoliberalen »Reformkurses« mit einem vordergründigen Bekenntnis »zur Bewahrung des französischen Sozialmodells«, das man Chirac zufolge vor dem Ansturm eines »anglo-amerikanischen Modells« schützen müsse. In der Realität bedeutet das freilich, soziale Errungenschaften dadurch zu bewahren, dass man sie »den Erfordernissen der Zeit anpasst«, kurz: sie demontiert.

Sarkozy schätzt diese Doppelbödigkeit jedoch nicht. Er hat in der Debatte um die EU-Verfassung offen getönt: »Wir benötigen Europa, um Frankreich zu verändern«, und ohne Umschweife erklärt, dass das französische Sozialmodell »nicht mehr das beste« sei. Anders als Großbritannien nach dem Thatcherismus und unter New Labour schaffe Frankreich nicht genügend Beschäftigung. Deshalb will Sarkozy noch mehr prekäre Arbeitsverhältnisse, noch mehr Flexibilität und Arbeitszwang für Erwerbslose.

Ihm schien es egal zu sein, dass er mit solchen Forderungen den Ausgang des Referendums gefährdete. Vielleicht war es gar sein Kalkül, dass eine schwere Niederlage Chiracs ihm den Weg für die Präsidentschaftswahl im Jahr 2007 frei machen würde.

Darauf scheint es nun hinauszulaufen. Sarkozy verkörpert die nähere Zukunft der französischen bürgerlichen Rechten, deren Vorbild Silvio Berlusconi heißen könnte. Wie dieser ist er Pro-Atlantiker, Marktradikaler und innenpolitisch autoritär. Da er von Chirac nicht zum Premier- oder Wirtschaftsminister ernannt wurde, was eine geschickte Entscheidung des Präsidenten gewesen wäre, wird Sarkozy nicht direkt für die soziale und wirtschaftliche Bilanz der Regierung verantwortlich gemacht werden. Vielmehr kann er weiterhin versuchen, mit dem ideologisierten Thema der »Inneren Sicherheit« Symphatien in der Öffentlichkeit zu gewinnnen. Gelingt ihm das, dürfte er der nächste Präsident sein.