Empire Europa

Negri, Zizek, Scalzone, Nikonoff: Linke Intellektuelle diskutieren ihr Verhältnis zu Europa und zur EU-Verfassung. von felix baum

Im Streit der linken Intellektuellen über die europäische Verfassung geht es um Mittel, nicht um den Zweck. Der lautet bei Befürwortern wie Gegnern des Vertragswerks gleichermaßen, Europa als Bollwerk gegen die US-amerikanische Hegemonie aufzubauen. Antonio Negri hat sich unter den Globalisierungsgegnern, die bislang sein begeistertes Publikum bildeten, unlängst mit seiner Werbung für ein »Oui« beim französischen Referendum zwar äußerst unbeliebt gemacht, damit aber eine durchaus plausible Konsequenz aus der allgemein geteilten Haltung gezogen: »Entweder Ja oder vor den amerikanischen Neokonservativen kapitulieren. Man kann nicht Antiimperialist, Altermondialist sein und kein Bewusstsein von diesem Kräfteverhältnis haben!«

Damit steht der Politikprofessor und ehemalige Operaist, der in seinem Bestseller »Empire« Amerika noch zum Hort einer demokratischen, postimperialistischen Weltordnung stilisiert hatte, um kurz darauf durch den Irak-Krieg eines Besseren belehrt zu werden und flugs auf die Seite von Old Europe zu wechseln, allerdings recht allein. Üblich ist vielmehr die Argumentation, die Slavoj Zizek in der Zeit entwickelte. Europa sei die »einzige Alternative« zur »amerikanischen Zivilisation und der aufstrebenden chinesischen Zivilisation autoritär-kapitalistischer Prägung«. Es falle »dem multikulturalistischen globalen Empire Amerika leicht, vormoderne lokale Traditionen zu integrieren«, doch der »Fremdkörper«, den es nicht absorbieren könne, sei »die europäische Moderne«. Über diese europäische Moderne, die mit 1914, Kolonialherrschaft oder dem Nationalsozialismus offenbar nicht das Geringste zu schaffen hat, erfährt man von Zizek lediglich, dass sie in der undemokratischen Verfassung nicht zur Geltung komme, die daher abzulehnen sei.

Gleichermaßen desaströs sind auch die klassenpolitischen Stellungnahmen von Zizek und Negri. Während Negri das Proletariat zum Bündnis mit den »lokalen Kapitalisten« gegen den »globalen Kapitalismus« aufruft, warnt Zizek vor dem »Zustrom von Arbeitsmigranten aus den postkommunistischen Ländern«, die »nicht die Folge irgendeiner multikulturellen Toleranz« seien, sondern »Teil der Strategie des Kapitals, die Forderungen der Arbeiter in Schach zu halten«. Tschechische oder polnische Arbeiter scheinen nicht in der Lage zu sein, ihrerseits für Forderungen zu kämpfen, sondern werden zu Schachfiguren »des Kapitals« herabgewürdigt.

Mit der recht trivialen Feststellung, »dass der Kapitalismus nicht amerikanisch oder chinesisch oder europäisch ist«, sondern schlicht »überall«, betätigte sich Oreste Scalzone, ein im Pariser Exil lebender ehemaliger Mitstreiter Negris bei Potere Operaio, geradezu als Stimme der Vernunft. Seine nüchterne Erkenntnis, »das Ja oder Nein zur Verfassung« sei wie die Alternative zwischen Bush und Saddam »ein deformierter Manichäismus«, scheint ansonsten in kleine radikale Zirkel abgedrängt. Während sich die französische Linke nach dem Referendum im Siegestaumel befindet, stellt sich etwa dem Zirkel »Ni patrie, ni frontières« der Abstimmungserfolg als »traurige Farce« dar. Nicht nur, weil die linke Kampagne Illusionen über Wahlen verstärkt habe, sondern vor allem wegen ihrer starken nationalen Motive. Mit ihren Attacken auf Nato und WTO habe die Kampagne antiamerikanische Gefühle toleriert oder sogar geschürt, während sich an den sprichwörtlich gewordenen polnischen Klempnern, der chinesischen Textilindustrie und dem möglichen EU-Beitritt der Türkei die Xenophobie entzündet habe.

Tatsächlich erscheint der kritisch gemeinte Hinweis auf die Kampagne Le Pens gegen die Verfassung beinahe als Ablenkungsmanöver, wenn man etwa die Auslassungen des französischen Attac-Vorsitzenden Jacques Nikonoff liest, die unterschiedliche Gesichtspunkte zu einem veritablen linkschauvinistischen Manifest bündeln. Der Globalisierungskritiker greift Großbritannien und die neuen osteuropäischen EU-Mitglieder wegen ihrer Unterstützung des Irak-Kriegs an und feiert die deutsch-französische Achse als »Motor der Union«, der mit der Verfassung abgewürgt werden solle. Großbritannien sei »in Sprache, Geschichte, Kultur, Herz und Geist amerikanisch« und blockiere eine gemeinsame Politik. Maßgeblicher Grund zur Ablehnung der Verfassung ist für Nikonoff eine Klausel, derzufolge die gemeinsame Außenpolitik im Einklang mit der Nato stehen soll, also nicht die erhoffte Frontstellung gegen Amerika einleitet. Deshalb sei auch George W. Bush für die Verfassung, weiß Nikonoff zu berichten.

Den eigenen Staat und die kapitalistische Ökonomie überhaupt nimmt der Attac-Funktionär aus der Schusslinie, indem er sämtliche Verschlechterungen der Lebens- und Arbeitsbedingungen der europäischen Integration anlastet und vor weiteren Produktionsverlagerungen warnt, sollte die Verfassung angenommen werden. »Ni patrie, ni frontières« erinnert daran, dass ein derartiger Chauvinismus keine Neuigkeit auf Seiten der Linken darstellt und die Kommunistische Partei, der Nikonoff entstammt, den Arbeitern bereits in den siebziger Jahren mit dem Slogan »Kauft französisch!« eine vaterländische Antwort auf die Wirtschaftskrise andrehen wollte. Entsprechend scheinheilig fällt Nikonoffs Warnung vor der Gefahr des Rassismus aus. Die Bolkestein-Richtlinie werde die Konkurrenz unter den europäischen Arbeitern verschärfen und damit die Xenophobie befördern, erklärt der Attac-Chef und macht sich damit die Logik zu eigen, wonach das sicherste Mittel gegen Rassismus in nationaler Abschottung besteht.

Solcher linken Demagogie diametral entgegengesetzt ist die Analyse der Gruppe »Mouvement Communiste«, die die Auseinandersetzung um die Ratifizierung der Verfassung rundweg als »falsche Debatte« ablehnt. Die »Linke des Kapitals« ordne mit ihrer Kampagne die sozialen Auseinandersetzungen dem Rhythmus des Wahlgeschehens unter, in dem sie reüssieren wolle. Vom Kern der linken Kampagne, der Dämonisierung der Verfassung als ultra-liberalem Machwerk, bleibt nach der gründlichen Analyse nicht viel übrig. Die linksradikale Gruppe ruft nicht nur die materialistische Binsenweisheit ins Gedächtnis, dass die gesellschaftliche Entwicklung nicht den Buchstaben irgendwelcher Verfassungen folgt, sondern aus dem Kräfteverhältnis zwischen den Klassen resultiert. Auch zeigt sie, wie insbesondere Deutschland und Frankreich ihre Souveränität im europäischen Integrationsprozess durchaus zu wahren wussten und die »Patrioten des linken Nein« mit ihrem Szenario eines Brüsseler Angriffs auf die Lohnabhängigen die Rolle der eigenen Regierung vollkommen auf den Kopf stellen.

Dass die europäischen Bourgeoisien weder willens noch in der Lage sind, die Form des Nationalstaats tatsächlich aufzugeben, bedauert das »Mouvement Communiste« ausdrücklich, weil jedes Niederreißen von Grenzen dem Proletariat bessere Handlungsbedingungen verschaffe. Daher sei der EU-Beitritt der Türkei ebenso zu wünschen wie die Migration von ArbeiterInnen aus den neuen Beitrittsländern in die alten EU-Mitgliedsstaaten. Der patriotischen Linken müsse für ihre »Verteidigung des französischen Staats als unüberschreitbarem Horizont ihrer Kämpfe und politischen Ambitionen« mit schärfster Kritik entgegengetreten werden. Das mag auf den ersten Blick an Negri erinnern, der sein »Ja« zur Verfassung eben auch damit begründete, die »Scheiße des Nationalstaats« solle verschwinden, ist dessen Aufruf zum europäischen Klassenbündnis gegen Amerika allerdings frontal entgegengesetzt.