»Ich erwarte ein positives Urteil«

Søren Jessen-Petersen

Sechs Jahre nach dem Ende des Nato-Bombardements gegen Jugoslawien kommt Bewegung in die bislang ungelöste Frage des völkerrechtlichen Status des Kosovo. US-Unterstaatssekretär Nicholas Burns drängte vergangene Woche bei Besuchen in Belgrad und Pristina darauf, endlich mit Verhandlungen über die völkerrechtliche Zukunft des Protektorats zu beginnen, das seit Juni 1999 von der Übergangsverwaltung der Vereinten Nationen für das Kosovo (Unmik) verwaltet wird. Am Montag traf der von Uno-Generalsekretär Kofi Annan ernannte Sondergesandte Kai Eide in Pristina ein, der die bislang erreichten demokratischen, menschenrechtlichen und marktwirtschaftlichen Standards bewerten soll. Mit Unmik-Chef Søren Jessen-Petersen sprach Markus Bickel.

In der vergangenen Woche haben sich erstmals die Vertreter des von Ihnen initiierten Kosovo-Forums getroffen. Ist das Gremium, in dem neben Präsident Ibrahim Rugova und Premier Bajram Kosumi auch Oppositionelle wie Veton Surroi und Hashim Thaci sitzen, der Kern des Teams, das über den Status des Kosovo verhandeln wird?

Das Forum hat sicherlich die Aufgabe, einen nationalen Dialog zu eröffnen und so etwas wie eine Allianz für das Kosovo zu bilden.

Aber sind die Differenzen zwischen Leuten wie dem ehemaligen Chef der UCK Thaci und dem mächtigen Zeitungsherausgeber Surroi nicht so groß, dass es in dieser Runde ohnehin nie zu einem Konsens kommen kann?

Sobald sie in einer kleineren, mehr informellen Runde zusammensitzen, kommen sie sehr gut miteinander klar.

Das heißt, Sie rechnen damit, dass der von Kofi Annan ernannte Sondergesandte Kai Eide die von den Kosovo-Institutionen erreichten Standards positiv beurteilen wird?

Ja, ich erwarte ein positives Urteil. Es hat in den vergangenen Monaten Fortschritte gegeben, zugleich aber sind wichtige Kernforderungen der UN unerfüllt geblieben. Und das wissen die Verantwortlichen in den provisorischen Institutionen, das weiß die Regierung, das wissen die politischen Parteien, die Abgeordneten in Pristina und die Vertreter der Kommunen.

Und sie alle wissen, dass das Urteil Eides nicht von vorneherein feststeht, sondern allein von ihren Taten und ihrem Engagement abhängt. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass sie diese große Chance verstreichen lassen. Deshalb bin ich optimistisch.

Sie haben Ihren Job in Pristina kurze Zeit nach den antiserbischen Pogromen im März 2004 angetreten. Spielen die kosovo-albanischen Politiker nicht einfach weiter dasselbe Spiel wie damals – nur mit anderen Worten?

Nein. Ich glaube wirklich, dass auf einer rationalen Ebene alle verstanden haben, dass das Kosovo nie den staatlichen Status erreichen wird, den die Mehrheit will, wenn die Bevölkerung sich nicht ehrlich und umfassend dem Aufbau einer multiethnischen Gesellschaft widmet.

Ich räume aber gerne ein, dass diese Auffassung noch nicht bei allen im Herz angekommen ist. Aber das ist auch verständlich: Nach dem Konflikt von 1998/99 und der schweren Zeit davor braucht es Zeit, bis diese Erkenntnis vom Kopf ins Herz wandert.

Warum sind Sie dann trotzdem so optimistisch, dass sich Ereignisse wie im vorigen Jahr nicht wiederholen werden?

Weil das Verständnis dafür, dass eine Gesellschaft in Europa heute eine Gesellschaft sein muss, in der alle Bürger respektiert werden, sich auch im Kosovo immer weiter durchsetzt. Eine Gesellschaft also, in der kein einziges Individuum das Gefühl haben darf, dass er oder sie sich nicht frei bewegen kann. Von dem, was ich in den zehn Monaten meiner Amtszeit hier gesehen habe, kann ich nur sagen: Das Verständnis dafür ist da.

Es wird davon ausgegangen, dass Eide erst im Spätsommer seine Bewertungen vorlegen wird. Wird es schon vorher zu Treffen zwischen kosovo-albanischen und serbischen Spitzenpolitikern kommen?

Ich hoffe, dass Gespräche zwischen den Regierungen in Belgrad und Pristina noch in diesem Monat, spätestens aber im Juli beginnen können. Wir versuchen gerade, eine Zusammenkunft der beiden Präsidenten zu ermöglichen. Dem haben sowohl Rugova wie Tadic zugestimmt. Sobald dieses Treffen über die Bühne gegangen ist, steht einem Gespräch zwischen den Premierministern nichts mehr im Wege. Schließlich haben beide, der serbische Premierminister Vojislav Kostunica ebenso wie Kosumi, dieses ausdrücklich begrüßt. Zuerst die Präsidenten, dann die Ministerpräsidenten – diese Reihenfolge halten alle Beteiligten für richtig.

Die International Crisis Group und die Internationale Balkan-Kommission haben in ihren jüngsten Berichten eine Unabhängigkeit des Kosovo gefordert. Halten Sie das auch für die richtige Lösung?

Ich habe mich nie zur Frage eines künftigen Status geäußert und werde das auch in Zukunft nicht tun. Alles, was ich dazu sagen kann, ist, dass die Kontaktgruppe, die meisten EU-Regierungen und die Administration in Washington drei Prinzipien etabliert haben, die die Statusverhandlungen leiten werden: keine Teilung des Kosovo, keine Rückkehr zur Situation vor 1999 und keine Verbindung des Kosovo-Status mit irgendwelchen anderen territorialen Fragen in der unmittelbaren Nachbarschaft.

Vor dem Uno-Sicherheitsrat haben Sie in der vergangenen Woche die Regierung in Belgrad für mangelnde Fortschritte bei der Rückkehr der Vertriebenen verantwortlich gemacht. Lässt das nicht außer Acht, dass vor gerade einmal 15 Monaten ein rassistischer Mob Tausende Kosovo-Serben aus ihren Wohnhäusern vertrieben hat?

Meine Formulierung war eine andere: Es wird so lange keine Fortschritte bei der Bewegungsfreiheit von Minderheiten und bei der Rückkehr von Vertriebenen geben, so lange Belgrad nicht bereit ist, vollständig zu kooperieren und unsägliche Aussagen zu unterlassen, die mit der Realität im Kosovo nichts zu tun haben.

Zudem kann es, solange Belgrad die Kosovo-Serben daran hindert, in den Institutionen in Pristina mitzuarbeiten, nur begrenzte Fortschritte geben. Schließlich wissen sie am besten, was richtig für sie ist. Die Schuld für mangelnde Fortschritte liegt nicht in Pristina, aber Opfer dieser Politik sind die Serben im Kosovo.

Mit der Klärung des Status wird die Sicherheitsratsresolution 1244, die der Unmik ihr Mandat gibt, obsolet. Soll danach, wie von EU-Vertretern gefordert, ein EU-Protektorat folgen?

Ich fände es richtig, wenn der Prozess in diese Richtung ginge. Denn bis zur Klärung der Statusfrage muss absolut klar sein, dass die Zukunft des Kosovo eine europäische Aufgabe ist, die nur durch eine sehr aktive Rolle der Europäer gelöst werden kann.

Welche Auswirkungen auf diesen Prozess wird die Krise haben, die nach den gescheiterten Referenden über die EU-Verfassung in Frankreich und den Niederlanden eingesetzt hat?

Natürlich bin ich besorgt über die aktuelle Situation. Aber ich hoffe, dass Europa sich davon nicht ablenken lässt und beginnt, seine Politik zur Klärung der Statusfrage und seine eventuelle Rolle im Kosovo danach zu definieren.

Würde das, ähnlich wie in Bosnien-Herzegowina, wo seit einem halben Jahr die Schutztruppe Eufor das Dayton-Friedensabkommen militärisch absichert, eine EU-Streitmacht mit sich bringen?

Das hängt natürlich vom endgültigen Status des Kosovo ab. Aber unabhängig vom Status muss klar sein, dass für eine anhaltende Sicherheitspräsenz gesorgt wird. Denn sowohl auf ziviler Seite, wo Bedarf an internationalen Polizeikräften besteht, wie auch bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität ist klar, dass ausländische Einheiten weiter benötigt werden.