Zeit für Plan B

Nach der Ablehnung der EU-Verfassung in Frankreich und den Niederlanden arbeiten deutsche Think Tanks daran, auf andere Weise den Einfluss Deutschlands zu vergrößern. von jörg kronauer

Das Desaster nimmt seinen Lauf.« Etwas resigniert zog Werner Weidenfeld, Direktor des »Centrums für angewandte Politikforschung« (CAP), in der Neuen Westfälischen das Resumee aus der französischen und der niederländischen Absage an den EU-Verfassungsvertrag. »Einer der großen historischen Versuche, Europa eine zuverlässige politische Ordnung zu geben, dürfte damit gescheitert sein«, schrieb der Politikberater und fragte schließlich: »Was ist zu tun?«

Die Suche nach dem »Plan B« beschäftigt das CAP seit Monaten. Der Münchner Think Tank, einer der einflussreichsten auf dem Gebiet der Außenpolitik, begleitet den EU-Verfassungsprozess von Beginn an mit Analysen und Kommentaren. Zuständig dafür ist die »Bertelsmann Forschungsgruppe Politik«, in der das CAP seit 1999 seine Kooperationsprojekte mit der Bertelsmann-Stiftung bündelt. »Ziel ist, die Komponenten eines Regierungssystems für die erweiterte Europäische Union und ein Modell für die politische Vollendung der europäischen Integration zu entwickeln«, heißt es auf der Website der Institution.

Eine gewisse Unruhe scheint zu herrschen, seit sich im Frühjahr Niederlagen bei den bevorstehenden Verfassungsreferenden abzuzeichnen begannen. Es »besteht die ernsthafte Möglichkeit eines Scheiterns des Ratifikationsprozesses«, hieß es Mitte März: Der »Sprengsatz der Referenden« könnte »den Anfang vom Ende des Traums« von einem »großen integrierten Europa« bedeuten. Am 14. März veröffentlichte die Bertelsmann Forschungsgruppe Politik »Optionen für einen Plan B«. Am 13. Mai schließlich fügte sie ein präzisiertes »Reform-Spotlight« hinzu: »Non, Nee, Ne, Nie oder No – Konsequenzen, Optionen und Empfehlungen im Falle einer Ablehnung der Verfassung«.

Klare Handlungsempfehlungen enthält das »Reform-Spotlight« des CAP. Im Falle einer Abstimmungsniederlage sieht es zunächst vor, ein »politisches Signal zur Fortführung und Intensivierung der Verfassungsratifikation« zu geben. »Besonders Deutschland« solle sich hierbei engagieren, heißt es. »Innerhalb eines Jahres« sei dann das Referendum zu wiederholen. Damit es nicht erneut zur Ablehnung komme, sollten »mehrere Maßnahmen« ergriffen werden, raten die Münchener: »Intensives politisches Marketing« sei wichtig, eine »wirksamere Aufklärungskampagne« müsse her.

Die vom CAP empfohlenen »Maßnahmen« verweigern nicht nur einer negativen Entscheidung der französischen Bevölkerung von vornherein die Anerkennung, sie greifen auch direkt in die inneren Angelegenheiten des Nachbarlandes ein. Die »Stellung der französischen Nationalversammlung bei der Formulierung der nationalen EU-Politik« könnte »gestärkt« werden, empfehlen die Politikberater: Zu diesem Zweck sei eine »Änderung der nationalen Vorschriften« geboten. Direktor Weidenfeld wünscht sich inzwischen gar einen Wechsel an der französischen Staatsspitze. Dem Zürcher Tagesanzeiger sagte er Ende Mai, ein deutsch-französisches »Duo, das gut harmoniert«, bestünde aus »Frau Merkel als Kanzlerin« und »Herrn Sarkozy als Präsident«. Nicolas Sarkozy ist derzeit Innenminister.

Auch für den Fall, dass der EU-Verfassungsvertrag sich überhaupt nicht durchsetzen lassen sollte, hat das CAP Ideen parat. Spekulationen, »der oder die Nicht-Ratifizierer« könnten »die EU freiwillig verlassen«, erteilt es eine Absage; gelegentlich geäußerten Erwägungen, einzelne Staaten könnten eine »neue Union« gründen, steht es ebenfalls skeptisch gegenüber. Neuverhandlungen über den Vertragstext hält Weidenfeld für »unwahrscheinlich« und plädiert für eine viel einfachere Alternative. »Große Teilausschnitte der Verfassung könnten in Einzelverträge umgegossen werden, die keiner größeren Ratifizierung bedürfen«, erklärte er dem Tagesanzeiger: »Wenn die EU einen Vertrag verabschiedet, um einen europäischen Außenminister einzuführen, kommt niemand auf die Idee, deswegen eine Volksabstimmung durchzuführen.«

Die Position des Think Tanks und seines Direktors hat Gewicht. Die Bertelsmann-Stiftung, die die »Bertelsmann Forschungsgruppe Politik« des CAP unterhält, gilt als einflussreichste deutsche Stiftung, sie ist nach Auskunft des Bertelsmann-Kritikers Frank Böckelmann »mit ihren Experten in allen maßgeblichen Gremien auf deutscher und europäischer Ebene präsent«. Der größte europäische Medienkonzern mit Sitz in Gütersloh verschafft sich so direkten Zugang zur Politik.

Ebenfalls von Anfang an begleitet die Forschungsgruppe EU-Integration der überwiegend aus Bundesmitteln finanzierten Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) den EU-Verfassungsprozess. Im Mai hat sie ausführlich den Stand des Ratifikationsverfahrens in Frankreich bilanziert und der französischen Regierung Vorschläge für ihre Verfassungskampagne gemacht. Anfang Juni hat sie nun »Lehren aus den gescheiterten Verfassungsreferenden« veröffentlicht.

Die Vorschläge der SWP kommen etwas eigenwillig daher. »Demokratisierung voranbringen«, fordert die Institution und begründet ausgerechnet damit ihre Weigerung, sich mit einer demokratischen Ablehnung des Verfassungsvertrages abzufinden. Die politischen Parteien müssten sich auf europäischer Ebene organisieren und bräuchten entsprechend einheitliche Parteiprogramme, verlangt die SWP. »Es fehlt eine europäische politische ›Leadership‹«, reklamiert der Berliner Think Tank: Die EU benötige unmittelbar eine zentrale »europäische Regierung«.

Zwar widerspricht dies der in der Europäischen Union geltenden Gesetzeslage und hebelt per Federstrich die Kompetenzen der Mitgliedstaaten aus. Den Zweck der Forderungen nach einer »Europäisierung« jedoch lässt ein Blick auf das Europaparlament erahnen. Die größten Fraktionen (Sozialdemokraten, Konservative) haben einen deutschen Fraktionsvorsitzenden, in der viertgrößten Fraktion (Grüne) wurde einer der beiden Ko-Vorsitzenden in Deutschland gewählt. Die »Europäisierung« verleiht offenbar dem bevölkerungsreichsten Mitgliedsland besonderes Gewicht. Entsprechend plädiert die SWP für ein europäisches Vorgehen bei künftigen Verfassungsreferenden: »Alle künftigen Vertragsrevisionen (…) sollten durch europaweite Referenden ratifiziert werden.«

Europaweite Referenden? Angesichts der Tatsache, dass nach geltender Gesetzeslage die Regierungen sämtlicher EU-Mitgliedstaaten dabei ein Wörtchen mitzureden hätten, stehen sie derzeit wohl kaum auf der Tagesordnung. Die Stoßrichtung der deutschen Außenpolitik zeigt der Vorschlag jedoch allemal. Ein wichtiger Schritt auf dem Wege zur »Europäisierung« deutscher Anliegen wäre der EU-Verfassungsvertrag gewesen, dessen Inhalte die deutschen Think Tanks eifrig zu retten suchen. Weidenfeld vom CAP gibt sich optimistisch. »Bereits in den fünfziger Jahren scheiterte eine europäische Verfassung in Frankreich«, erinnerte er in der Neuen Westfälischen: »Die Römischen Verträge von 1957 waren die glanzvolle Antwort.«