Debatte um Rabatte

Für das Scheitern des EU-Gipfels wird der britische Premierminister verantwortlich gemacht. Dabei ist sein Wunsch, die Agrarsubventionen abzuschaffen, durchaus verständlich. von fritz geiger

Großbritanniens Premierminister Tony Blair war der Buhmann beim EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs vergangene Woche in Brüssel. Bundeskanzler Gerhard Schröder, der französische Staatspräsident Jacques Chirac und der EU-Ratspräsident Jean-Claude Juncker gaben ihm die Hauptschuld am Scheitern der Verhandlungen über die EU-Beitragszahlungen und damit für die, so hieß es, schwerste Krise in der Geschichte der EU. »Völlig uneinsichtig« sei die Haltung Großbritanniens und der Niederlande gewesen, erklärte Schröder. Und Chirac sprach vom »Egoismus von zwei oder drei Ländern«. Vor allem das Beharren Blairs auf dem Beitragsrabatt der Briten sei inakzeptabel.

Den so genannten Britenrabatt hat 1984 die damalige Premierministerin Margaret Thatcher ausgehandelt. Die Einführung wurde damals u.a. damit gerechtfertigt, dass Großbritannien ein vergleichsweise armes EU-Mitglied sei. Das Einkommen lag damals zehn Prozent unter dem EU-Durchschnitt. Zudem kommen die Agrarsubventionen kaum den Briten zugute, da auf der Insel relativ wenig Landwirtschaft betrieben wird. Diese Subventionen machen knapp die Hälfte des EU-Etats aus, während beispielsweise für Bildung, Forschung, Verkehr und Umwelt zusammen nur sechs Prozent des Geldes verwendet wird. Derzeit entspricht der Rabatt zwei Dritteln des britischen EU-Beitrags. Das Land zahlt jährlich 2,7 Milliarden Euro, das sind fünf Milliarden weniger, als wenn es den Rabatt, der nur für die Briten gültig ist, nicht gäbe. Ein Brite zahlt nur halb so viel ein wie ein Deutscher. Heute allerdings ist Großbritannien eines der reichsten EU-Länder, das Einkommen liegt elf Prozent über dem EU-Durchschnitt.

Dennoch ist Blairs Position verständlich. Denn er beharrt nicht so stur auf dem Rabatt, wie es manche deutschen Politiker glauben machen wollen. Er sei durchaus zu Zugeständnissen in der Beitragsfrage bereit, wenn das Geld nicht mehr hauptsächlich für Agrarsubventionen verwandt wird, sagte er auf dem Gipfel. Warum sollten die Briten Transferleistungen für Bauern finanzieren, die zu einem großen Teil in das wohlhabende Frankreich fließen? Wenn Blair sich durchsetzt und die Agrarsubventionen gekürzt würden, käme das vielen Menschen zugute. Nicht nur den EU-Bürgern, die mit ihren Steuern die Transferleistungen und die damit verbundene Bürokratie bezahlen müssen. Vor allem auch die Landwirte in Entwicklungsländern könnten vom Ende der Agrarsubventionen profitieren, denn sie ruinieren die Preise für ihre Erzeugnisse und verringern die Absatzmengen. Warum sollte das Geld stattdessen nicht besser für Bildung und Forschung, beispielsweise für die Entwicklung neuer Medikamente zur Behandlung bisher unheilbarer Krankheiten, verwendet werden?

Der Streit um die Beiträge hat die Beratungen der Staats- und Regierungschefs in Brüssel zusätzlich gebremst, nachdem sie zuvor bereits die Verhandlungen über die Ratifizierung der EU-Verfassung verschoben hatten. Wegen der Ablehnung der Verfassung bei den Referenden in Frankreich und den Niederlanden möchten die Politiker zunächst bei der Bevölkerung für den Entwurf werben. Wie erfolgreich sie damit sein werden, steht in den Sternen, denn den Text möchten sie so lassen, wie er ist – trotz aller Kritik an der wirtschaftsliberalen Ausrichtung.

Sozialer soll die Verfassung nicht werden, obwohl ein Staatenbündnis theoretisch die Möglichkeit bietet, die Reduzierung der sozialen Standards zu beenden. Derzeit versuchen die Regierungen der EU-Länder sich gegenseitig dabei zu übertreffen, für Unternehmen die besten Standortbedingungen zu bieten. Und sie neigen dazu, Sozialleistungen für Menschen, die auf dem kapitalistischen Markt nur schlecht oder gar nicht verwertbar sind, zu reduzieren. Dies geschieht in der nicht unbegründeten Angst, die Unternehmen und die Hochqualifizierten könnten andernfalls in ein anderes Land umsiedeln, wo sie Bedingungen vorfinden, die für sie vorteilhafter sind. Ein Beispiel für diese Entwicklung ist die zunehmende Verlagerung der Steuerbelastung von Kapitaleinkünften auf Arbeitseinkünfte, die die Regierungen vieler Länder in den vergangenen Jahrzehnten betrieben haben.

Diese Entwicklung könnte ein Staatenbündnis zumindest stoppen, wenn dort etwa einheitliche Mindeststandards bei Sozialleistungen oder Steuern vereinbart werden. Derartige Bestrebungen liegen der EU freilich fern. Über die Steuer- und Sozialpolitik wird in den meisten Fällen nicht in Brüssel entschieden, sondern in den einzelnen Ländern. Liberalisierungen auf EU-Ebene wie etwa die geplante Dienstleistungsfreiheit beschleunigen dagegen eher den Prozess der Reduzierung der Sozialstandards. Die EU-Verfassung in der derzeit vorgesehenen Form würde diese Entwicklung nicht aufhalten. Tritt sie nicht in Kraft und kommt die wirtschaftliche Integration der Union nicht voran, könnte dies möglicherweise sogar den Fortbestand der europäischen Einheitswährung gefährden. Denn wenn die Nationalökonomien der Eurozone weiterhin so unterschiedlich funktionieren wie derzeit, könnte ihnen die Währungsunion mehr schaden als nützen.

Der Vorteil einer Einheitswährung ist, dass sie grenzüberschreitende Transaktionen erleichtert. Der Preis dafür ist allerdings hoch. Die Geldpolitik der Zentralbank ist ein wichtiges Instrument der Steuerung von Konjunktur und Wirtschaftswachstum, das die einzelnen Länder bei der Währungsunion aus der Hand geben. Das führt dazu, dass manche Nationalökonomien wie derzeit etwa Spanien und Irland unter hohen Preisen leiden. Während anderen Ländern mit niedriger Inflation und schwachem Wachstum, wie momentan Deutschland und Italien, die am Durchschnitt aller Länder orientierte Geldpolitik der Europäischen Zentralbank Zinsen beschert, die so hoch sind, dass sie das Wachstum aufhalten und die Arbeitslosigkeit erhöhen. Ein Effekt, der von dem überhöhten Außenwert der Währung noch verstärkt wird. Die Bedeutung dieser Faktoren als mögliche Ursachen für schwaches Wirtschaftswachstum und hohe Erwerbslosigkeit in Deutschland seit der Währungsunion wurde bisher kaum beachtet.

Nur eine stärkere ökonomische Integration der Nationalökonomien der Eurozone kann dafür sorgen, dass die Einheitswährung ein Erfolg wird. Das Scheitern der EU-Verfassung und der Streit über die Beitragszahlungen könnten die in den vergangenen Tagen in Italien laut gewordenen Rufe nach der Wiedereinführung der Lira bald nicht mehr so skurril erscheinen lassen – trotz der erheblichen Probleme, die ein Ausscheiden aus der Währungsunion einem Staat zunächst bereiten würde.