Rollerblades für Rafsanjani

Eine hohe Beteiligung und eine Niederlage der Reformislamisten melden die offiziellen Stellen nach den Wahlen im Iran. Oppositionelle sprechen von Wahlbetrug. von arne behrensen

Für das religiöse Oberhaupt Ayatollah Ali Khamenei stand der Verlierer der iranischen Präsidentschaftswahlen schon vor der Bekanntgabe der Ergebnisse fest: George W. Bush. Kandidiert hatte der US-Präsident zwar nicht. Doch der »Verbrecher von Abu Ghraib« sei durch »die finanzielle Unterstützung zionistischer Unternehmen an die Macht gekommen, um deren illegitime Interessen durchzusetzen«. Deswegen habe er auch die iranischen Präsidentschaftswahlen als undemokratisch denunziert. Das iranische Volk habe aber die nationale Unabhängigkeit und die islamische Demokratie verteidigt.

Der Gewinner dagegen steht noch nicht fest. Da keiner der sieben Kandidaten mehr als 50 Prozent der Stimmen erhielt, soll innerhalb der nächsten zwei Wochen eine Stichwahl stattfinden. Als Favorit gilt der konservativ-pragmatische Haschemi Rafsanjani, der bereits von 1989 bis 1997 als Präsident amtierte. Er erhielt 21,2 Prozent der Stimmen.

Überraschend belegte der zuvor als chancenlos gehandelte ehemalige Kommandeur der Revolutionsgarden und Teheraner Bürgermeister, Mahmoud Ahmadinejad, den zweiten Platz. Dem Hardliner wurde ein Stimmenanteil von 19,2 Prozent zugesprochen, er wird Rafsanjanis Gegenkandidat bei der Stichwahl sein.

Nicht nur Oppositionelle führen Ahmadinejads Erfolg jedoch auf Wahlbetrug zurück. Bei der Stimmenauszählung kam es bereits zu einer spektakulären Auseinandersetzung zwischen dem federführenden und von Reformislamisten geleiteten Innenministerium und dem Wächterrat, einem aus konservativen, von Khamenei ernannten Mullahs bestehenden Gremium. Der Wächterrat hatte eigenmächtig vorläufige Ergebnisse bekannt gegeben, die im Widerspruch zu denen des Innenministeriums standen und unter anderem sechs Millionen abgegebene Stimmen mehr zählten.

Repräsentanten des Regimes stehen im Verdacht, mit gefälschten Dokumenten mehrmals gewählt und Wahlurnen nachträglich aufgefüllt zu haben. Nicht ohne Grund verwehrt der Iran internationalen Beobachtern den Zugang zu den Wahllokalen.

Die offiziell unterlegenen reformislamistischen Kandidaten sprechen offen von Wahlfälschung. Der gemäßigte Mehdi Karrubi erhielt 17,5 Prozent der Stimmen, der radikalere Mostafa Moin nur knapp 14. Während Karrubi eine Überprüfung des Ergebnisses forderte, warnte Moin vor einer faschistischen Gefahr, sein prominenter Unterstützer Ebrahim Yazdi rief die Bevölkerung zum Protest auf.

Oppositionelle, die zum Wahlboykott aufgerufen hatten, bezeichnen vor allem die offiziell mit 62 Prozent angegebene Wahlbeteiligung als dreiste Fälschung. Viel hängt nun davon ab, ob es gelingt, Wahlfälschungen nachzuweisen, und ob sich daran gegebenenfalls Proteste entzünden. Wenn sich jedoch die offiziellen Zahlen bestätigen, haben sowohl Reformislamisten als auch Oppositionelle, die zum Boykott aufriefen, eine Niederlage erlitten.

Unabhängig vom tatsächlichen Ergebnis zeigten die Wahlkampagnen, dass die islamistischen Hardliner die kulturelle Hegemonie verloren haben. Die antiamerikanischen Dogmen des Regimes hinderten die Kandidaten nicht daran, einen Wahlkampf im amerikanischen Stil zu führen. Fast einhellig versprachen sie eine Normalisierung der Beziehungen zum offiziellen Erzfeind USA, mehr persönliche Freiheiten, ein Ende der Korruption und mehr Wohlstand. Karrubi gab sich dabei besonders populistisch: Er versprach jedem Iraner über 18 zukünftig 50 000 Toman (45 Euro) monatlich aus den Öleinnahmen.

Rafsanjani seinerseits bezahlte dutzende modisch gekleidete junge Männer und Frauen dafür, auf Rollerblades durch die Straßen Teherans zu düsen und für ihn zu werben. Seine Wahlkampffilme ließ er von einem prominenten regimekritischen Filmemacher drehen. In einem davon vergießt er Tränen angesichts einer Studentin, die wütend das ganze politische System verwirft. Sie lässt sich dann aber doch von ihm überzeugen.

Immerhin konnte die Opposition den Wahlkampf jenseits der Boykottaufrufe für Aktionen nutzen. Am Sonntag vor der Wahl demonstrierten erstmals unabhängige Frauengruppen gegen ihre verfassungsrechtliche Diskriminierung. An der nicht genehmigten Kundgebung vor der Teheraner Universität nahmen trotz starker Behinderung durch die Sicherheitskräfte etwa 1 000 Frauen teil. Der iranische Schriftstellerverband rief für den Mittwoch der vergangenen Woche zu einer Kundgebung vor dem berüchtigten Teheraner Evin-Gefängnis auf, um sich mit den dort inhaftierten politischen Gefangenen zu solidarisieren.

Das größte Aufsehen erregte jedoch eine Reihe von Anschlägen in der Stadt Ahwaz. Dort detonierten am Sonntag vor der Wahl vier Bomben in und vor staatlichen Einrichtungen, acht Menschen starben. Zu den Anschlägen haben sich bis dahin unbekannte Brigaden der Revolutionären Märtyrer von al-Ahwaz bekannt, die zum Kampf gegen die »Besatzer« und zum Boykott der Präsidentschaftswahlen aufrufen. Obwohl den iranischen Geheimdiensten prinzipiell vieles zuzutrauen ist, deutet alles daraufhin, dass die Erklärung authentisch ist.

Ahwaz ist die Hauptstadt der ölreichen, aber verarmten Provinz Khuzistan an der Grenze zum Irak, in der mehrheitlich arabische Sunniten wohnen. Wie bereits das Regime des Schahs unterwirft die schiitisch-islamistische Diktatur der Mullahs die Region einem repressiven Kontrollregime. Ahwazi-Organisationen im Exil verurteilten die Bombenanschläge. »Das diskreditiert unser Anliegen. Wir treten für gewaltfreien Widerstand ein und sind nicht separatistisch. Wenn das Regime jedoch auf friedliche Demonstranten schießen lässt, dann ist es auch dafür verantwortlich, dass eine kleine Minderheit mit militanten Anschlägen reagiert«, sagt Nasser Ban-Assad, der Sprecher der British Ahwazi Friendship Society.

Am 15. April hatten Sicherheitskräfte in Ahwaz das Feuer auf eine Demonstration von 4 000 Menschen eröffnet. Human Rights Watch geht von mindestens 50 Toten aus, die Regierung spricht von sieben Toten und versucht, eine unabhängige Berichterstattung aus Ahwaz zu unterbinden.

Die Bereitschaft diskrimierter Bevölkerungsgruppen zum Protest scheint zu wachsen. Unruhe gab es auch in der überwiegend von Kurden bewohnten Stadt Mahabad. Dort feierten nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Irna 300 Menschen die Wahl Massoud Barzanis zum Präsidenten der kurdischen Regionalregierung im Irak. Die Aufforderung zur Auflösung der Demonstration beantworteten die Feiernden mit Steinwürfen auf die Sicherheitskräfte und einer Revolte, die eine mit Steinen und abgerissenen Wahlplakaten übersäte Hauptstraße hinterließ.