Der Kurzschluss

Nach den Bomben in London von carlos kunze

Die Toten der Anschläge in London sind noch nicht erkaltet, schon findet eine lebhafte Polemik um den war on terror und Tony Blairs Zusammenarbeit mit der US-Regierung im Irak-Krieg statt. Zweifellos hat die Argumentation der Protagonisten des war on terror ihre Schwächen. Hieß es nach dem 11. September 2001 noch: »Bringt mir den Kopf von bin Laden, und der Spuk ist zu Ende«, ist nunmehr nach dem Massaker in London zu vernehmen: »Es war zu erwarten. Solche Anschläge lassen sich nicht verhindern – lasst uns Ruhe bewahren!«

Die Welt ist seit 9/11 nicht sicherer geworden, und zweifellos ist es das theatre of war im Irak, welches das Herz jedes Gotteskriegers mit besonderer Freude erfüllt. Es ist ein neues Operationsgebiet. Wo sonst könnte man sich leichter das Kriegshandwerk in seiner jihadistischen Form aneignen, köpfen, Gurgeln durchschneiden, Autobomben in Menschenmengen hochgehen lassen und Sprengstoffgürtel basteln lernen? Zudem dient der Irak-Krieg den Islamisten im nebulösen al-Qaida-Netzwerk als neue Rechtfertigung ihrer Taten, wie sich den diversen Bekennerschreiben entnehmen lässt.

Diese Rechtfertigungsstrategie scheint aber auch bei westlichen Kommentatoren auf fruchtbaren Boden zu fallen. Ein schönes Beispiel dafür ist ein Text von Tariq Ali, der in zwei unterschiedlichen Fassungen in der linksliberalen britischen Zeitung Guardian, auf dem linken amerikanischen Internetportal Counterpunch, auf der Islamisten-Webpage jihadunspun.com und übersetzt in der taz zu finden war. Der »Krieg gegen den Terror«, so argumentiert Tariq Ali, sei unmoralisch und kontraproduktiv, eine Lösung müsse nicht auf militärischem, sondern auf politischem Gebiet gefunden werden. Und da hat er einen brillanten Vorschlag: »Die wirkliche Lösung liegt in der schnellen Beendigung der Besetzung des Iraks, Afghanistans und Palästinas.« So einfach ist das.

Die Sache hat einen Haken. Ali scheint es vollkommen egal zu sein, was nach der »Beendigung der Besatzung« in den jeweiligen Gesellschaften passiert, welche gesellschaftlichen Kräfte sich durchsetzen oder welche Gesellschaftsform entsteht.

Zudem hat er einiges übersehen. Die Beschwerden der al-Qaida-Islamisten beschränken sich keineswegs auf diese drei Konfliktfelder, auch wenn sie aus taktischen Gründen in den Vordergrund gespielt werden.

Konsequenterweise müsste Ali weitere Forderungen stellen, die ebenfalls von al-Qaida-Islamisten erhoben werden. Zum Beispiel den Sturz der saudischen Dynastie und der Militärdiktatur in Pakistan zugunsten der rivalisierenden, mit al-Qaida verbandelten Fraktionen, die in beiden Staaten insbesondere im Geheimdienst und im Militär stark sind. Eine solche Forderung wäre offenkundig irrsinnig, weil damit zwei Ziele der al-Qaida-Islamisten erfüllt würden, nämlich die Verfügungsgewalt über die pakistanische Atombombe und über das saudische Öl. Deshalb verliert er darüber auch kein Wort. Aber der Machtkampf, der in beiden Ländern tobt, ist dennoch Realität und verschwindet nicht allein dadurch, dass man ihn schlicht ignoriert.

Im Übrigen müsste Ali auch einigen weiteren, eher gesellschaftspolitischen Forderungen der Jihadisten entgegenkommen. Weitere »Lösungen« in seinem Sinne wären die Abschaffung des Kopftuchverbots in Frankreich, das Verbot von Filmen wie die von Theo van Gogh, das Verbot der »Satanischen Verse« von Salman Rushdie.

All das sind Konsequenzen, die Tariq Ali wohl nicht ziehen möchte, die aber notwendig aus der Logik seiner Argumentation resultieren. In diesem Lichte lässt sich die Ernsthaftigkeit seiner »Lösung« ermessen.