Sicherer Hafen

Durch die immer strengeren Sicherheitsbestimmungen in den Häfen wird vor allem für Seeleute aus muslimischen Staaten der Landgang erschwert. Im Hamburger Hafen umgehört hat sich knut henkel

Hamburg ist für Hakki Ismael Ibrahim ein vertrauter Hafen, wo er ohne große Umstände das Schiff verlassen und an Land gehen kann. Ein Anruf bei der Seemannsmission genügt, und einer der drei Kleinbusse holt ihn ab. Ein seltener Moment für den irakischen Seemann, dessen Schiff alle 70 Tage Hamburg anläuft.

»In Singapur brauchen wir ein Visum, um von Bord zu gehen«, ärgert sich der bullige Mann mit dem buschigen, graumelierten Schnauzer. Auch in Italien habe er schlechte Erfahrungen gemacht. »Dort bin ich nicht aus dem Hafen gekommen, weil die Sicherheitsleute am Pier mich misstrauisch beäugten und schließlich nicht passieren ließen.«

Verzweifelt habe er sich damals in die Koje gelegt, denn nur beim Landgang kann Ibrahim einigermaßen billig mit seiner Ehefrau in Bagdad telefonieren. Zehn US-Dollar kostet ein zwölfminütiges Gespräch vom »Duckdalben«, dem Hamburger Club der deutschen Seemannsmission, nach Hause.

Das ist viel billiger als von Bord aus, denn die Seemannsclubs in den Häfen haben spezielle Tarife mit den Telefongesellschaften ausgehandelt. Telefonieren, Sport treiben, Billard oder Tischtennis spielen und ein Bier mit den Kollegen von anderen Schiffen trinken – das schätzt der irakische Koch am Landgang. Ablenkung und Entspannung vom eintönigen Alltag an Bord bietet die zumeist kurze Visite auf festem Boden. Der Landgang wird unter Seeleuten als etwas Heiliges angesehen, als »elementares Grundrecht der Seeleute«, wie es die Deutsche Seemannsmission einmal formulierte.

Doch er wird den Matrosen immer schwerer gemacht. »In den USA würde ich mich erst gar nicht bemühen, von Bord zu kommen. Dort sind viele meiner irakischen Kollegen stundenlang verhört worden«, sagt der 51jährige Familienvater und reibt sich den Schnauzbart. »Dass einzige, was sie sich haben zuschulden kommen lassen, ist es, Iraker zu sein.«

Diskriminiert und verdächtigt fühlt sich der Schiffskoch, der seit über 20 Jahren zur See fährt. »Wir sind doch keine Terroristen«, bricht es aus ihm heraus. Schließlich seien die Iraker »friedfertige Menschen«. Daran zweifeln nicht nur die Amerikaner und die Briten, die für besonders rigide Kontrollen in ihren Häfen bekannt sind.

Seit dem 11. September 2001 haben sich die Arbeitsbedingungen für Seeleute merklich verändert, insbesondere wenn sie aus muslimischen Ländern stammen. Die USA haben darauf gedrängt, die Sicherheitsstandards in den internationalen Häfen und an Bord von Schiffen mit mehr als 500 Bruttoregistertonnen zu verschärfen.

Erfolgreich, denn schon Ende 2002 wurde der International Ship and Port Facility Security Code (ISPS) angenommen. Er ist seitdem Bestandteil der internationalen »Konvention zur Sicherheit von Leben auf See« und seit dem 1. Juli 2004 verbindlich für Schiffe und Hafenanlagen.

Seither weht ein anderer Wind in den Häfen. Auch in Hamburg. An einigen Kaianlagen wurden Drahtzäune und Eingangstüren gebaut, damit die Seeleute nicht einfach über die Reling auf den Pier springen können. Und die meisten Terminals sind mit Schranken, Wachhäuschen und Sicherheitspersonal versehen, damit niemand ohne Genehmigung die Schiffe besuchen oder verlassen kann.

Faktisch ist der Hafen zum Sperrgebiet geworden, wovon auch die Seemannsmission betroffen ist. »Früher sind wir mit Blaulicht unter den Containerbrücken hindurch zu den Schiffen gefahren und haben die Seeleute in Empfang genommen«, erinnert sich Seemannsdiakon Jan Oltmanns. Heute holen die Kleinbusse der Seemannsmission die Seeleute an den weit entfernten Gates ab.

Dort stehen die Container der Sicherheitsunternehmen, die die Seeleute und die Busse der Mission kontrollieren, damit kein Unbefugter zu den Schiffen gelangt. An einigen Kais, wie etwa dem Eurokai, gibt es einen Shuttleservice vom Schiff zum Gate, an anderen müssen die Seeleute vom Pier zum Gate laufen.

Einblicke in den Alltag an Bord bekommen die Mitarbeiter der Mission so kaum noch: »Vor zwei, drei Jahren wurden wir oft noch auf einen Pott Kaffee in die Messe eingeladen. Das ist vorbei«, erzählt Oltmanns, dessen Ausweis um seinen Hals baumelt.

Heute dürfen nur ausgewiesene Bordbetreuer die Schiffe betreten und auch sie müssen sich offiziell anmelden. Einer von ihnen ist Sina Rajah, der mittwochs seinen Besuchstag hat. An manchen Gates muss er ein Bestätigungsfax vorweisen, die Fahrt direkt auf den Pier ist gestrichen.

»In Deutschland werden die neuen Bestimmungen zwar strikt eingehalten, aber insgesamt können sich die Seeleute darauf verlassen, ihren Landgang machen zu können«, berichtet Rajah, der einst als Musiker aus Malaysia nach Deutschland kam. »Genauso können wir Bordbetreuer uns darauf verlassen, auf die Schiffe zu kommen.« Ganz anders sieht es ihm zufolge außerhalb Europas und vor allem in den USA aus. »Die Seeleute, vor allem aus dem Nahen Osten, aber auch aus Indonesien, werden verdächtigt, diskriminiert und kriminalisiert«, sagt er. Immer wieder hätten sich Seeleute bei ihm darüber beschwert, dass sie gedemütigt und beleidigt würden oder ihnen das Recht zum Landgang verwehrt werde.

Manche Reedereien heuern Seeleute wegen ihres Glaubens oder ihrer Herkunft nicht mehr an. Ihr Argument lautet: Wir haben keine Zeit auf dich zu warten, wenn du in Kontrollen steckst. Das bestätigen Berichte unter anderem von der Internationalen Arbeitsorganisation ILO.

Für die Seeleute bedeutet der international verbindliche Sicherheitscode zudem eine ordentliche Portion Mehrarbeit. Mit diesen Bestimmungen sollen Schiffe und Hafenanlagen vor Terroranschlägen geschützt und die Verwundbarkeit des Seeverkehrs soll reduziert werden. So könnte ein Anschlag im Hamburger Hafen eine der wichtigsten Wasserstraßen der Welt lahm legen, zum Beispiel durch die Sprengung eines Frachters in der Fahrrinne.

Damit das nicht passiert, muss die Besatzung aller Schiffe über 500 Bruttoregistertonnen seit dem 1. Juli vorigen Jahres »Gefahrenabwehr« betreiben. Vor allem bedeutet das: Wache schieben. An der Gangway hat seitdem ein Matrose aufzupassen und die Personalien von Leuten zu kontrollieren, die an Bord wollen.

Für jedes Schiff muss eine »Risikoanalyse« erstellt werden. Dazu gehört die Vorbereitung geeigneter Maßnahmen. Die variieren zwischen den einzelnen Sicherheitsstufen. Drei davon gibt es, wobei die niedrigste den normalen Betriebszustand anzeigt und die höchste die Extremsituation, bei der die Lade- bzw. Löscharbeit eingestellt und das Schiff hermetisch abgeriegelt werden muss.

Alle Maßnahmen werden, wie es im Jargon heißt, vom »Gefahrenabwehrbeauftragten« koordiniert. Er arbeitet eng mit dem »Schiffssicherheitsoffizier« zusammen, der in der Regel der Kapitän selbst oder einer der leitenden Offiziere ist.

Für die Reedereien bedeutet dies einen beträchtlichen und teuren Aufwand. Verstoßen sie gegen die Vorschriften, riskieren sie ein Hafenverbot.

Mindestens 80 Prozent der international verkehrenden Schiffe wurden bisher im Sinne des ISPS-Codes zertifiziert. Für die Besatzung bedeutet das, dass sie gerade dann, wenn das Schiff in den Hafen einläuft, zusätzliche Arbeit erledigen muss. Ihre Freizeit wird folglich knapper. Und die fünf oder sechs Stunden, die Containerschiffe im Hafen verbringen, sind ohnehin recht knapp für den Landgang. Längere Liegezeiten kosten Geld, und so müssen sich die Matrosen sputen, um von Bord zu kommen.

»Die Seeleute werden ausgequetscht wie Zitronen. Ihre Heuerverträge werden immer länger, und kaum jemand fragt, wie viele Stunden die Männer in Wirklichkeit arbeiten«, schimpft Jan Oltmanns, der seit fast 20 Jahren im Seemannsclub »Duckdalben« beschäftigt ist.

Steven zum Beispiel arbeitet zehn bis zwölf Stunden am Tag an Bord eines britischen Schiffes. Sein Heuervertrag läuft über neun Monate. Während ein deutscher Seemann kaum einen Vertrag für fünf Monate unterschreiben würde, heuern beispielsweise Filipinos wie Steven mitunter für zwölf Monate an, obwohl alle Beteiligten wissen, wie hart das ist. Zwei bis drei Monate Pause macht er bei seiner Familie in Manila, bevor es wieder losgeht.

Von dem Sicherheitscode hält er nicht viel, denn die vollständige Durchsuchung des Schiffes vor dem Auslaufen, die Kontrolle der gesamten Ladung und eventuell an Bord genommener Ausrüstung und Nahrungsmittel hält er für wenig realistisch. Zudem könne niemand garantieren, dass die oft lausig bezahlten Seeleute nicht gegen Entgelt dieses oder jenes an Bord schmuggeln.

Auch die Verpflichtung, sämtliche Zugänge zur Brücke bis auf eine Tür zu verschließen, berge ein Risiko. Die Crew sitze im geschlossenen Käfig, und bei einem Feuer seien möglicherweise die Fluchtwege versperrt. Dieses zusätzliche Risiko wird von vielen Kapitänen kritisiert.

Doch am meisten Widerstand regt sich gegen das Vorgehen der US-amerikanischen Behörden in den dortigen Häfen. In der Vergangenheit kam es zu willkürlichen Durchsuchungen der Wohnbereiche an Bord wie zum Verbot von Landgängen. Die Seeleute sehen darin eine Verletzung ihrer Rechte, die dem Ansehen des Sicherheitscodes und der Bereitschaft, ihn zu beachten, nicht sonderlich gut tue. So argumentiert ein Autor im Hansa International Maritime Journal.

Steven teilt diese Ansicht. Er hält die Auslegung des ISPS-Codes in den USA für übertrieben. »Um von Bord zu gehen, muss man ein Ausreisevisum vorlegen«, sagt er. »Ein unzumutbarer Aufwand, nur um an Land ein Bier zu trinken.«

Kritisiert wurde diese Praxis von verschiedenen Parlamentariern auch im Bundestag, ohne dass das Thema öffentliche Aufmerksamkeit erlangt hätte. Die Öffentlichkeit interessiere sich nicht für die Belange der Seeleute, klagt Oltmanns.

Daran dürfte sich in absehbarer Zeit nichts ändern, zumal die Zahl deutscher Seeleute ohnehin rückläufig und der Job nicht sonderlich attraktiv ist angesichts des extremen Zeitdrucks an Bord.

Das gibt Malte Magdorn zu, der gerade sein Nautikstudium beendet hat und sein praktisches Jahr an Bord absolviert. Er will später auf einem Kühlschiff oder Massengutfrachter fahren. »Die liegen länger im Hafen, und man hat noch die Chance, etwas vom Land zu sehen«, erzählt er.

Dafür muss man allerdings das Schiff erst verlassen dürfen. Da sieht er mit seinem deutschen Pass keine Probleme. Er bedauert hingegen die Kollegen aus islamischen Ländern. An den Sicherheitsbestimmungen können die Seeleute nichts ändern, sagt er resigniert. Er würde lieber heute als morgen den Job an den Nagel hängen. »Die Schiffe sind zum Gefängnis geworden«, sagt er und nippt an seinem Bier am Tresen vom »Duckdalben«. Doch leisten kann es sich auch der 28jährige Seemann nicht, seinen Beruf aufzugeben. Zwar warten nicht Frau und Kind auf ihn zuhause, wohl aber seine Eltern, die er mit den US-Dollars seiner Heuer unterstützt.