Entziehungskur im Park

Einige Berliner Bezirke versuchen, das Trinken von Alkohol in der Öffentlichkeit zu verhindern. Warum nicht gleich drastische Strafen verhängen? sonja fahrenhorst war auf Kiezstreife

Die Außendienstmitarbeiter des Kreuzberger Ordnungsamts sind auf Streife im Görlitzer Park. Gerade haben sie einen Randalierer verwarnt. »Der Mann wollte Äpfel oder Ähnliches vom Baum schütteln und ist dabei ziemlich grob geworden«, sagt eine der weiblichen Kiezstreifen. An einer Gruppe Jugendlicher, die ein paar Meter weiter Bier trinkend im Gras sitzt, gehen die Kiezpolizisten kommentarlos vorbei. »Von dem Alkohol- und Trinkverbot, das seit neuestem mit Platzverweisen oder Bußgeldern in den Berliner Straßen und in den Parks durchgesetzt werden soll, haben wir zwar gehört«, sagt der uniformierte Herr mit Brille, »aber wir haben die Anweisung, das Trinken in der Öffentlichkeit nicht zu ahnden.«

In anderen Bezirken beruft man sich neuerdings auf ein Gesetz, das bereits seit dem Jahr 1999 existiert, aber bis vor kurzem wohl übersehen wurde. »Eine Erlaubnis (…) ist zu versagen, wenn öffentliche Interessen der Sondernutzung entgegenstehen. Ein öffentliches Interesse ist anzunehmen beim Nächtigen, Lagern und beim Niederlassen zum Alkoholverzehr außerhalb zugelassener Schankflächen auf öffentlichen Straßen«, heißt es konkret in dem Gesetz.

Im Bezirk Kreuzberg-Friedrichshain haben die Passanten und Parkbesucher noch einmal Glück gehabt. Von der Idee, das Trinken von Alkohol auf öffentlichen Flächen zu bestrafen, hält der Baustadtrat Franz Schulz (Grüne) nämlich nichts. Seiner Meinung nach ist Alkohol ein soziales Problem, das man nicht mit Verboten regeln könne.

»Ich kann es mir nicht vorstellen, dass man in den Parks, wo Leute grillen und feiern, kommt und zehn Euro abkassiert, wie sie es beispielsweise in Pankow machen wollen. Das ist schon ziemlich teuer«, sagt der Kreuzberger Kiezbeamte. Seine Kollegin gibt zu bedenken: »Also, bei Jugendlichen, die 3,8 Promille im Turm haben, dass man da sagt: Hey, jetzt ist mal Schluss! Das finde ich schon o.k.«

Die zweite Kiezpolizistin resümiert:«Man muss es von Fall zu Fall betrachten. Manchmal stört es die Leute, wenn sich mehrere Alkohol trinkende Personen in einer Gruppe auf der Straße ansammeln. Dann versucht man sie eben wegzubekommen. Aber im Prinzip kann man sie nur in Bewegung halten, dann trifft man sie eben woanders wieder. Bringen tut das alles nicht viel.«

Das sieht man bei den Ordnungsämtern der übrigen Bezirke etwas anders. In Mitte ist man sich zwar bewusst, dass Alkoholgenuss ein gesellschaftliches Problem darstelle. »Deshalb will man hier nun ganz verstärkt an die »Trinkerszene rangehen und ihnen eine Richtung vorschreiben, in die sie sich bewegen soll. Sie soll von den Ordnungsbeamten aus dem öffentlichen Raum in so genannte Trinkerstuben gedrückt werden«, beschreibt Herr Höft vom Ordnungsamt die neuen Maßnahmen und fügt hinzu, dass der im Park sitzende Familienvater mit einer Weinflasche in der Hand selbstverständlich nichts zu befürchten habe.

»Ich find’s generell nicht schlecht«, sagt Mirko, der im Park am Weinbergsweg im Bezirk Mitte auf einer Bank sitzt und eine Zigarette raucht. »In anderen Ländern ist es schon lange gang und gäbe, dass das Trinken in der Öffentlichkeit verboten ist. Aber wenn man das Gesetz genau nimmt, dürfte keiner einen Tisch vor der Tür stehen haben, an dem Alkohol getrunken wird. Entweder generell Alkoholverbot in der Öffentlichkeit, das heißt, man müsste vor die Kneipentische draußen Büsche oder Zäune bauen. Oder man kann überall trinken. Entweder man macht es richtig oder gar nicht.«

In Spandau wird seit kurzem energisch gegen den Alkoholkonsum an öffentlichen Orten eingeschritten. Es bleibt nicht mehr nur beim Verbot »des Verzehrs von Alkohol« auf den Bänken vor den Geschäften in der Altstadt. Auch an anderen Orten ist das Trinken nicht mehr erlaubt. »Am Rathaus Spandau, da ist so’n Brunnen, da sitzen wir gerne mal und trinken ein Bier«, sagt Nico aus Spandau. »Das dürfen wir jetzt nicht mehr. Gestern sind wir das erste Mal verscheucht worden. Wir mussten den Platz räumen. Jeder ist in seine Richtung gegangen, ich nach Hause. Seit gestern ist es so extrem. Gleich nach diesem Verbot sind die gekommen. Davor waren nur die Penner dran, jetzt sind es alle Gruppen.«

»Es hätte schon viel früher gegen das Trinken an öffentlichen Orten vorgegangen werden müssen. Jetzt ist es allerhöchste Eisenbahn«, sagt Michael Wegner (CDU), zuständiger Baustadtrat für das Ordnungsamt Reinickendorf. Wenn es nach ihm ginge, würde jegliches »wilde Trinken« auf den Straßen, genauso wie in den Parks, mit einem saftigen Bußgeld bestraft. »400 bis 500 Euro nehmen die dafür in Singapur«, sagt er, »und das sollte man auch hier einführen. Denn erst wenn’s richtig wehtut, dann merken sich’s die Leute.« Dass der eine oder andere Trinker vielleicht nicht so viel in der Tasche habe, sei völlig egal, meint er. »Dann sollen sie es eben abarbeiten!« Wer aber glaubt, er habe es nur auf die Armen abgesehen, der täuscht sich. Denn: »Durch eine heftige Disziplinierung kriegt auch jeder arrogante Yuppi eins auf den Deckel, wenn er seine Kippe auf dem Potsdamer Platz ausdrückt.« Um das Trinken in den Parks unter Kontrolle zu kriegen, schlägt er vor, Teile der Parks zu bewirtschaften und nur dort das Grillen und Trinken zu erlauben. Bei Verstößen müsste, wie gesagt, ein deftiges Bußgeld gezahlt werden.

Auch im »Problembezirk« Neukölln sollen nun Alkohol trinkende Gruppen, etwa in der Hasenheide, ermahnt und dazu aufgefordert werden, das Trinken zu unterlassen. Konkrete Richtlinien gebe es nicht, wie die Leiterin des Neuköllner Ordnungsamts, Sabine Heidrich-Joswig, der Berliner Zeitung sagte. Die Ordnungsstreifen würden jedoch mit viel Fingerspitzengefühl vorgehen.

Vor »Kaiser’s« im sicheren Kreuzberger Wrangelkiez erregt das Trinkverbot die Gemüter.

Heinz: »Das Gesetz kriegen sie sowieso nicht durch.«

Rainer: »Das kriegen sie schon durch. Die Dekadenz setzt sich durch, das ist ganz einfach. Kreuzberg ist im Arsch. Das ist nicht mehr der freie Bezirk, den wir mal hatten. Wo man leben durfte, wie man wollte, nicht unter Zwängen.«

Passant: »Vor solchen Läden soll es auch aufhören, das hat in den letzten Jahren Überhand genommen.«

Rainer: »Das ist ja lächerlich. Dann bist du genau so’n Spießer wie die anderen. Dann gehörst du genau zu denselben dekadenten Leuten, Alter.«

»Wenn unsere armen Leute hier mal Bier trinken, was ist denn da dabei?«, finden auch Margot und Waltraut, die mit ihren Enkeltöchtern im Kiez unterwegs sind, und haben eine Idee: »Die sollen mal den anderen alles verbieten und nicht immer den armen Deutschen!«