Aufbruchstimmung

Mit dem Wahlbündnis der Linkspartei und der Wasg kann es der Linken gelingen, aus dem bisherigen Schattendasein herauszutreten. von joachim bischoff

Die Protagonisten des linken Wahlbündnisses stehen vor der Aufgabe, das bislang virtuelle Projekt in reales politisches Handeln umzusetzen, was die Überwindung vieler politischer Hindernisse, persönlicher Machtansprüche und Eitelkeiten einschließt. Neben der Verständigung auf wahlpolitische Alternativen darf die mittelfristige Perspektive nicht zum bloßen Wunschbild verkommen. Die eigentliche Aufgabe besteht darin, dass die Beteiligten bereit sind, über eine kurzfristig vereinbarte Wahlliste hinaus zu prüfen, ob genügend Potenzial für eine neue Formation vorhanden ist, die auch für andere linke Strömungen offen sein muss.

Eine solche Formation kann die Kraft entwickeln, unter den Bedingungen des Kapitalismus im 21. Jahrhundert und der Verstärkung der neoliberalen Offensive zum Kristallisationspunkt des gesellschaftlichen Widerstands zu werden. Diese Herausforderung ist zugleich eine Chance, das Abdriften größerer Teile der Wahlbevölkerung nach rechts zu verhindern oder zumindest zu begrenzen.

Gleichwohl gibt es innerhalb wie im Umfeld der Wasg und der Linkspartei deutliche Kritik an dem Projekt. Der Vorsitzende der Linkspartei, Lothar Bisky, verweist darauf, dass bereits zur Zeit der Gründung der PDS Hoffnung auf eine Neugründung der politischen Linken bestand. Warum diese Erwartung in den neunziger Jahren nicht eingelöst wurde, mit der Folge, dass sich die PDS in den alten Bundesländern in einem Zustand gesellschaftlicher Isolation einrichtete, ist bislang nicht befriedigend geklärt worden. Der »zweite Aufbruch« stützt sich nicht auf eine kritische Selbstreflexion des Scheiterns.

Der linke Flügel der PDS interpretiert die Annäherung der PDS an eine linkssozialdemokratische Sammlungsbewegung als einen von langer Hand geplanten Versuch der Vernichtung der sozialistischen Idee in Deutschland. Der politische Mainstream, so glaubt Sahra Wagenknecht, dränge auf die Vervollständigung des Anschlusses der DDR und die endgültige Auslöschung der Erinnerung an eine antikapitalistische Alternative.

Auch der ehemalige Linksgrüne Rainer Trampert sieht höhere Mächte walten: »Die Zeit war schon lange reif für eine neue Partei, die sich staatsloyal der Verbitterten annimmt.« Der Begriff Linkspartei sei »bloßer Betrug«, schreibt er (Jungle World, 28/05).

Diese Kritik ignoriert die mit dem Übergang zum Vermögenskapitalismus verbundenen Umbrüche. Die Hegemonie der Finanz- und Kapitalmärkte verändert die Wertschöpfungs- und Einkommenskreisläufe und letztlich die Klassenverhältnisse. Diese Transformation hat enorme politische Sprengkraft, weil die aus der Kapitalakkumulation resultierende Gewichtsverschiebung zugunsten des Finanzkapitals erst ihre Macht entfaltete, als die lange Zeit existierenden Kontroll- und Regulierungsmodi beseitigt wurden.

Diese Entfesselung des Kapitalismus erfolgte im Übergang vom 20. ins 21. Jahrhundert in Europa unter maßgeblichem Einfluss der Sozialdemokratie. »Gerade die Sozialdemokratie stand in den vergangenen Jahren für aktionärsorientierte Reformen und die Auflösung des organisierten, managerzentrierten Kapitalismus deutschen Typs«, schreibt Martin Höpner, ein Mitarbeiter des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung in Köln.

Hierzulande waren die Aufsprengung der Deutschland AG, die Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums zu den Kapital- und Vermögensbesitzern, die »Entriegelung« des Arbeitsmarktes und die antisozialstaatlichen »Reformen« die wichtigsten Bausteine für den Siegeszug des Vermögenskapitalismus.

Gegenüber dieser neoliberalen Offensive befinden sich Gewerkschaften, Sozialverbände und andere zivilgesellschaftliche Kräfte in der Defensive. Es gibt keinen Königsweg für die Veränderung der Kräfteverhältnisse. Es besteht immer die Gefahr, dass das neue Projekt sich in den Fallstricken des Parlamentarismus verfängt. Es existiert aber auch die Chance zu einer Veränderung der politischen Willensbildung.

Wir haben noch unterschiedliche Auffassungen, wie die sozialen Sicherungssysteme weiter zu entwickeln sind. Es bestehen Differenzen darüber, wie der Mix aus Lohnerhöhungen, Erhöhung von Mindesteinkommen, Arbeitszeitverkürzung und öffentlichen Investitionen zu gestalten ist, um das klassenpolitische Kräfteverhältnis dauerhaft zu verändern. Aber die Diskussion darüber ist eröffnet.

Der Autor gehört dem Bundesvorstand der Wasg an.