Einheit vor Klarheit

Die Bemühungen um eine koordinierte Terrorbekämpfung in der EU sind politisch planlos und von unterschiedlichen nationalen Interessen geprägt. von udo wolter

Weil Israel seit Jahren islamistische Terroranschläge wie jetzt Europa erlebe, fragte die Süddeutsche Zeitung in der vergangenen Woche den israelischen Vizepremier Shimon Perez nach einem Rat. »Europa ist nicht organisiert in Bezug auf Terror. Es besitzt keine gemeinsame militärische Anti-Terror-Einheit und auch keine gemeinsame Sicherheitstruppe«, stellte Peres fest. Europa müsse »zwar keine Europa-Armee gründen, aber ein gemeinsames Anti-Terror-Netz bilden«. Die SZ titelte in großen Lettern: »Europa braucht Anti-Terror-Truppe«. Ansonsten rief der Vorschlag nur wenige Reaktionen hervor. Nur der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) und die Gewerkschaft der Polizei begrüßten ihn, eine Umsetzung aber halten sie aufgrund mangelnder Kooperationsbereitschaft der Behörden für unrealistisch.

Zur Koordinierung der Terrorismusbekämpfung wurde nach den Anschlägen von Madrid im März 2004 eine Erklärung des Europäischen Rats mit einem ganzen Katalog von Maßnahmenforderungen verabschiedet, im selben Jahr vorgelegte Aktionspläne befinden sich seither im Implementierungsprozess. In diesem Zusammenhang wurde auch die Stelle eines Anti-Terrorismus-Koordinators der EU geschaffen und mit dem Niederländer Gijs de Vries besetzt, der zuvor stellvertretender Innenminister der Niederlande und Fraktionschef der Liberalen im Europa-Parlament war.

Der Diplomat wird nicht müde, darauf hinzuweisen, dass die EU schon über 100 Maßnahmen beschlossen und die Hälfte davon bereits umgesetzt habe. Stichworte sind dabei unter anderem der Austausch von Beweismitteln und Informationen zwischen den Exekutivorganen, Austrocknung der Finanzquellen des Terrors und bessere Kontrolle des Marktes für Explosivstoffe; schließlich eine gemeinsame EU-Außenpolitik, die zusammen mit Drittstaaten die Hintermänner und Ausbildungslager der Mordbanden aufspüren und unschädlich machen soll.

Allerdings klagt auch de Vries über zu geringe Kooperationsbereitschaft der nationalen Geheimdienste und mangelnde Ausstattung mit Mitteln und Kompetenzen. Die nämlich sind vor allem bei der EU-Kommission unter ihrem Präsidenten, José Manuel Barroso, und dem für die Terrorbekämpfung zuständigen Justiz- und Sicherheitskommissar, Franco Frattini, konzentriert, während im Europäischen Rat die Regierungen der Mitgliedsländer das Sagen haben. Da liegt es nahe, dass sich allerlei Nebeneinanderher und Kompetenzgerangel entwickelt. Diverse Sicherheitsexperten sehen daher die größten Hindernisse für eine gemeinsame EU-Strategie gegen den jihadistischen Terror auf einzelstaatlicher Ebene.

Umgekehrt wird die EU-Ebene von Innenministern der Einzelstaaten genutzt, um Verschärfungen beim Ausbau des Überwachungs- und Sicherheitsstaats voranzutreiben, bei denen sie Widerstände in den heimischen Parlamenten oder gar in ihren eigenen Regierungskoalitionen zu erwarten haben.

Ein typisches Beispiel für diese Gemengelage ist die dieser Tage viel diskutierte Überwachung und Vorratsspeicherung aller Telekommunikationsdaten (insbesondere Telefon und Internet), bei der neben Großbritannien vor allem der bundesdeutsche Innenminister Otto Schily auf EU-Ebene vorgeprescht ist. Widerstand auf bundesdeutscher Ebene kam allerdings weniger von besorgten Bürgerrechtlern oder gar aus den Reihen des grünen Koalitionspartners, sondern vielmehr von Medienunternehmen, die sich um eine Kostenexplosion durch die damit verbundene technische Aufrüstung sorgen.

Auf EU-Ebene will nunmehr Justizkommissar Frattini den Ländervorstößen einen eigenen Vorschlag der EU-Kommission entgegensetzen, der möglichst bis zum nächsten informellen Treffen der Innen- und Justizminister im September vorliegen soll. Kritiker des Vorhabens verweisen auch innerhalb der EU nicht nur auf die Einschränkung der Bürgerrechte, sondern befürchten die Schaffung eines enorm teuren, aber wenig effizienten gigantischen Datenfriedhofs. Ein erster Anlauf zur pauschalen Vorratsspeicherung aller Kommunikationsdaten in der EU wurde im europäischen Parlament ausgebremst.

Auf außenpolitischer Ebene stellt sich dagegen die Frage, inwieweit die EU im Hinblick auf ihre bislang wenig rühmliche Rolle bei der Bekämpfung des islamistischen und palästinensischen Suicide-Terrors im Nahen Osten eine veränderte Position einzunehmen bereit ist und ob sie dabei mit einer Stimme sprechen kann. Selbstmordanschläge in Israel werden in weiten Teilen der europäischen Öffentlichkeit immer noch anders bewertet als Anschläge des al-Qaida-Netzwerks in europäischen Ländern. Während etwa zwischen einerseits der britischen und andererseits der französischen sowie deutschen Außenpolitik bei der Beteiligung am US-geführten Irak-Krieg kaum eine größere Diskrepanz innerhalb der EU denkbar war, ist im Falle Israels die britische der traditionell als »antizionistisch« eingestuften französischen Außenpolitik keineswegs so fern. In der Vergangenheit gab es immer wieder Hinweise, dass ein Teil der umfangreichen EU-Hilfsgelder für die Palästinenser in der Terrorfinanzierung dienende Kanäle flossen, von Hasspropaganda durch auch von der EU geförderte palästinensische Medien und Bildungseinrichtungen ganz abgesehen.

In den EU-Maßnahmepaketen zur Terrorismusbekämpfung ist nunmehr allerdings die Rede davon, bei der Trockenlegung der Finanzquellen des Terrors auch gegen den »Missbrauch« von Wohlfahrts- und Non-Profit-Organisationen vorzugehen.

Außerdem soll auch die »Radikalisierung und Rekrutierung« in Gefängnissen, Moscheen, Bildungseinrichtungen und Medien inklusive Internet verstärkt ins Auge gefasst werden. Im gleichen Unterpunkt des EU-Anti-Terrorplans ist jedoch auch die Rede von Kooperation nicht nur mit Regierungen, sondern auch der Zivilgesellschaft arabischer Länder »inklusive gewaltfreier islamistischer Parteien«.

Es fragt sich, was vor dem Hintergrund der von den meisten, auch den »gemäßigten«, islamistischen Gruppen und Führern im Nahen Osten mitgetragenen Legitimierung des antiisraelischen Terrors darunter zu verstehen ist. Bisher hat die EU weder die libanesische Hizbollah auf ihre Terrorliste gesetzt noch die sozialen Organisationen und Untergruppen der Hamas. Noch im Juni entschied die EU, auf unterer diplomatischer Ebene Kontakte mit Hamas-Wahlkandidaten aufzunehmen, ohne zu versuchen, diese, wie früher bei der PLO geschehen, als Vorbedingung auf eine gewaltfreie Konfliktlösung mit Israel festzulegen.

Im Widerspruch dazu fand nun ausgerechnet Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac im Vorfeld des Frankreich-Besuchs von Ariel Sharon überraschend klare Worte: »Die Hamas ist eine terroristische Organisation, die keine Gesprächspartnerin der internationalen Gemeinschaft sein kann, solange sie nicht auf Gewalt verzichtet und das Existenzrecht Israels anerkennt. Das ist die unzweideutige EU-Position, und sie wird nicht geändert.« Ähnlich scharfe Worte wählte Chirac gegenüber der Hizbollah und ihrem Paten Syrien. Eine Konferenz des Rats der EU-Außenminister hatte am 18. Juli bereits von Syrien die vollständige Umsetzung der UN-Resolution 1 559 gefordert, die eine Entwaffnung aller Milizen im Libanon verlangt.

Die EU-Außenpolitik gegenüber dem islamistischen Terror ist also weiter widersprüchlich. Ob die neuen Töne ein Abrücken von den bisherigen Double Standards gegenüber Israel und eine konsequentere Haltung zu islamistischen Organisationen bedeuten, ist derzeit unklar.