Erziehung vor Falluja

Der Krieg gegen den Terror zeigt kaum Erfolge, die militärische Verbreitung der Demokratie stagniert. Mit einer Annäherung an den Realismus wollen Neokonservative der Krise begegnen. von william hiscott

Der Krieg gegen den Terror geht weiter«, verkündete ein sichtlich schockierter George W. Bush einen Tag nach den ersten Anschlägen in London. Danach wiederholte er kurz und knapp die außenpolitische Linie des Weißen Hauses: »Wir werden die Terroristen finden und verurteilen. Zugleich werden wir eine Ideologie der Hoffnung und des Mitgefühls verbreiten, die ihre Ideologie des Hasses überwältigen wird.« Doch diesmal klangen seine Worte keineswegs so machistisch-siegessicher wie sonst, sondern wie eine verzweifelte Durchhalteparole.

Nur wenige Tage zuvor ließ er die neokonservative Linie noch einmal in ihrem alten idealistischen Glanz erstrahlen. Ende Juni sprach er vor einem stramm stehenden Militärpublikum in Fort Bragg über die Fortschritte des »globalen Krieges gegen den Terror«. Insbesondere im Irak, auf dem »neuesten Schlachtfeld«, seien die Erfolge unübersehbar. »Wir helfen den Irakern beim Aufbau einer freien Nation und schaffen einen Alliierten im Krieg gegen den Terror. Wir verbreiten die Freiheit im gesamten Nahen Osten. Und wir legen das Fundament des Friedens für unsere Kinder und Enkelkinder.«

Seit den Anschlägen in London und Sharm al-Sheikh ist der Ton in Washington deutlich verhaltener geworden. Vor allem wurde die Blamage der »Fliegenfänger«-Strategie deutlich, die die Neokonservativen in den vergangenen Monaten propagiert hatten und die behauptete, die Terroristen aus der ganzen Welt würden sich wie die Fliegen im Irak sammeln, was nicht nur die Sicherheit in der restlichen Welt erhöhen würde, sondern obendrein auch die Möglichkeit böte, sie alle auf einmal außer Gefecht zu setzen.

Umfragen zufolge steigt in der US-Bevölkerung wieder die Angst vor erneuten Anschlägen. Auch die Zahl derer, die den Irak-Krieg ablehnen, nimmt zu, während zugleich die Zweifel daran wachsen, dass sich Bush vor dem Beginn des Krieges aufrichtig verhalten hat.

Auch in der Presse häuft sich die Kritik. So fordert beispielsweise die linksliberale Tageszeitung San Francisco Chronicle eine »realistische und ehrliche Analyse des Verlaufs des Krieges gegen den Terror«. Die jüngsten Anschläge verdeutlichten, dass »die Terroristen ihr blutiges Zerstörungswerk verbreiten können, wo immer sie es wollen«. Es müssten »alternative Strategien« her anstelle eines »verbissenen Beharrens darauf, den jetzigen Kurs beizubehalten«.

Wie bestellt brachen der Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und die Außenministerin Condoleezza Rice kurz nach den Anschlägen von London in den Nahen Osten auf, um kleine, aber bedeutsame Korrekturen an der neokonservativen Politik einzuleiten. Rumsfeld nutzte einen Besuch im Irak, um bekannt zu geben, dass die US-Armee voraussichtlich im Jahr 2006 einen allmählichen Rückzug einleiten werde. Bis dahin müsse aber die irakische Regierung ihre Angelegenheiten in den Griff bekommen. Damit scheint die Regierung Bush der Forderung nach einem Zeitplan für den Abzug nachzukommen. Frühere Ankündigungen, so lange im Irak zu bleiben, bis die Demokratisierung erfolgreich abgeschlossen ist, sind mit dieser Äußerung wohl hinfällig.

Daneben nutzte Rumsfeld die Gelegenheit für rhetorische Korrekturen an der neokonservativen Ideologie. Anstatt des Begriffs »Krieges gegen den Terror« schlug er vor, von einem »globalen Kampf gegen gewaltsame Extremisten« zu reden. Diese Formulierung entspreche viel eher dem Umstand einer langfristigen und dezentralen Auseinandersetzung, die nicht allein militärisch geführt werden könne. Notwendig sei zudem eine ideologische Auseinandersetzung, um demokratische Werte zu verbreiten. Noch einen Schritt weiter ging ein leitender Offizier aus seinem Generalstab: Er lehne die Vorstellung eines »Krieges« ab, weil sie den Eindruck erwecke, dass »Menschen in Uniform die Lösung seien«. Die Lösung aber läge in diplomatischen, ökonomischen und politischen Mitteln, weniger in militärischen. Diese sprachliche Verschiebung sei eine Möglichkeit, »die bedrückende Vorstellung« eines Krieges zu ersetzen durch die »positive Alternative« einer ideologischen Offensive für die Freiheit, erläuterte der Nationale Sicherheitsberater Stephen Hadley.

Einem ähnlichen Zweck diente der Besuch der Außenministerin in Ägypten. In einer öffentlichen Rede in Kairo forderte Rice die demokratische Öffnung aller Regime im Nahen Osten. Die USA würden »die Ausreden, mit denen man der harten Arbeit der Demokratisierung zu entkommen sucht«, nicht länger dulden. »60 Jahre lang haben die USA nur auf die Stabilität in der Region geachtet, was zu Lasten der Demokratie ging. Erreicht haben wir nichts von beidem. Jetzt schlagen wir einen neuen Kurs ein.« Sie übte scharfe Kritik an der ägyptischen Regierung sowie am saudischen Königshaus, zwei bislang unangefochtenen Verbündeten in der Region.

Dennoch blieben die kritisierten Regierungen gelassen. Denn anders als in den öffentlichen Reden, ging es am Verhandlungstisch allein um Fragen der Stabilität, also um die Prinzipien des außenpolitischen Realismus, die Rice zuvor kritisiert hatte. Hier kommt, ähnlich wie in Rumsfelds Äußerungen, eine starke realistische Komponente in der Politik der Regierung Bush zum Vorschein. Allerdings dürfte es sich dabei keineswegs um eine Rückkehr zum außenpolitischen Realismus mit einer neokonservativen Rhetorik handeln, wie der altkonservative Realist Donald Devine meint. Als Zugeständnis an die gegenwärtigen Umstände gibt sich Rice zwar bereit, ganz die Realistin zu spielen. Ähnlich verhält sich Rumsfeld mit seinen Abzugsplänen. Trotzdem scheinen beide prinzipiell weiterhin an der neokonservativen Ideologie festhalten zu wollen.

Obwohl Neokonservative wie Victor Davis Hanson nach wie vor unvermindert den Export der US-amerikanischen Freiheit und Demokratie fordern, scheint die Unterstützung für dieses Vorhaben allmählich zu schwinden. Hatte der vormalige neokonservative Chefideologe Francis Fukuyama schon im November 2004 in der Zeitschrift Commentary eine zunehmende »Realitätsferne« dieser Linie kritisiert, beginnt auch der einflussreiche Neocon Charles Krauthammer seine Vorstellungen zu revidieren. In der aktuellen Ausgabe dieses neokonservativen Organs plädiert er für eine Kurskorrektur und fordert die Übernahme einiger Prinzipien des Realismus in den Neokonservatismus. Schließlich kämen Rice, Rumsfeld, Vizepräsident Dick Cheney aus der realistischen Schule und hätten sich erst infolge des 11. September 2001 den Neokonservativen angeschlossen. Eine »Annäherung« beider Schulen sei ein »Kompromiss mit der Realität«. Darin sieht Krauthammer das »Heranreifen« eines nunmehr realistisch gewordenen Neokonservatismus.