Verstand statt Fatwa

Im Antiterrorkampf hofieren die USA autoritäre Herrscher, Geistliche und Warlords. Doch nur eine gesellschaftliche Demokratisierung kann den Islamismus schwächen. von jörn schulz

Wenn die Not groß genug ist, wächst die Bereitschaft, von ehemaligen Feinden zu lernen. Die Platzierung von politischen Offizieren in jeder Kompanie habe es der Sowjetunion erleichtert, die Arroganz und Brutalität unter Kontrolle zu bekommen, die eine Armee als Besatzungsmacht entwickelt, meint Greg Wilcox. Den USA dagegen sei es »nicht gelungen, unsere Soldaten so auszubilden, dass sie die Menschen im Irak mit Respekt behandeln«.

Wilcox ist kein Kriegsgegner, der ehemalige Oberstleutnant publizierte seine Kritik im Juli auf der Webseite Defense and the National Interest. Wie andere Kritiker aus dem Militärapparat fürchtet er jedoch, die USA könnten auf dem wichtigsten Schlachtfeld im »war on terror« unterliegen. »Amerikanische Regierungsvertreter glauben, dass Terrorbombardements den Widerstand spalten werden. Doch die gesamte Geschichte des Luftkrieges zeigt, dass das Gegenteil der Fall sein wird«, urteilt Oberst William S. Lind.

Die Militärtheoretiker Wilcox und Lind konstatieren eine Unterlegenheit der USA bei der psychologischen Kriegsführung. Jeder Bericht über »Kollateralschäden« und Folterpraktiken schwächt die Position der USA. Paradoxerweise haben die Bilder von Gewalttaten des irakischen »Widerstands« den gleichen Effekt, denn sie vermitteln der US-amerikanischen Öffentlichkeit den Eindruck, in einen verlustreichen Konflikt verwickelt zu sein, in dem ein Sieg unmöglich ist.

Dass die schwerfällige Militärmaschine der USA nicht effektiv gegen die irakischen Terrorgruppen und das al-Qaida-Netzwerk vorgehen kann, ist der politischen Führung nicht entgangen. Bereits im Oktober 2003 beklagte Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, das Pentagon könne »nicht schnell genug verändert werden, um den Krieg gegen den Terror erfolgreich führen zu können«. Doch die Umstrukturierung der Armee stößt auf kaum überwindliche Hindernisse. Die einflussreiche Rüstungsindustrie will weiterhin teures Militärgerät wie das neue Kampfflugzeug F22 verkaufen, obwohl die Luftüberlegenheit auch so auf Jahrzehnte gesichert wäre.

Ohnehin würden eine größere militärische Effektivität und ein freundlicherer Umgang der US-Soldaten mit den Irakis die al-Qaida nicht unbedingt beeindrucken. Dass der »war on terror« letztlich nur mit politischen Maßnahmen gewonnen werden kann, betonen die US-Regierung und ihre Kritiker gleichermaßen. Bush hat die Demokratisierung des Nahen und Mittleren Ostens zum wichtigsten Mittel erklärt, um dem Terror den Nährboden zu entziehen.

Der Reformdruck wird jedoch sorgsam entsprechend den außenpolitischen Zielen dosiert. Syrien wird immer wieder für die mangelnde Bereitschaft kritisiert, die Infiltration von Jihadisten in den Irak zu verhindern. Pakistan dagegen gilt als Vorbild im Antiterrorkampf, obwohl ständig Taliban- und al-Qaida-Kämpfer die Grenze zu Afghanistan überschreiten. Ussama bin Laden hält sich wahrscheinlich ebenfalls in Pakistan auf, doch er bleibt für die Regierung ebenso unauffindbar wie die Trainingslager der Terroristen. Journalisten des pakistanischen Magazins Herald dagegen gelang es vor kurzem, ein solches Lager nahe Peshawar aufzuspüren.

Präsident Pervez Musharraf muss Rücksicht nehmen auf die im Staatsapparat einflussreichen Islamisten. Die US-Regierung akzeptiert dies ebenso wie Musharrafs mangelnde Bereitschaft, seine Position als Militärherrscher aufzugeben. Weiterhin können Präsidenten wie Musharraf und Ägyptens Hosni Mubarak ihre autoritäre Herrschaft mit dem Hinweis auf die drohende islamistische Gefahr rechtfertigen.

Bereits in seiner Rede vor dem Kongress am 20. September 2001 bezeichnete Bush al-Qaida als »eine Randbewegung, die die friedlichen Lehren des Islam pervertiert«. Dieser Sprachregelung haben sich die europäischen und fast alle islamischen Regierungen, aber auch große Teile der Linken angeschlossen. Die Schlussfolgerung ist fast immer, dass der Dialog mit »dem Islam« verstärkt geführt werden müsse, um den Terror zu bekämpfen. Bush und seine Kritiker glauben gleichermaßen, dass in islamischen Ländern lebende Menschen vor allem als Muslime angesprochen werden wollen.

Als Propagandisten eines »gemäßigten« Islam sollen die Imame und Theologen dienen, die in letzter Zeit etwas größere Bereitschaft zeigen, Fatwas gegen den Terror auszustellen. Fast alle sind jedoch Regierungsangestellte, die im staatlichen Auftrag einen reaktionären Staatsislam verbreiten. In Ägypten, Pakistan, Algerien und vielen anderen Ländern war es der offiziell geförderte Staatsislam, der eine ideologische Basis für den islamistischen Terror bereit stellte und das Wachtum militanter Gruppen begünstigte.

Träger eines Demokratisierungsprozesses kann die muslimische Geistlichkeit ebenso wenig sein wie die irgendeiner anderen Religion. Eine Politik, die Menschen dazu anhält, auf eine Fatwa zu hören, statt sie zu ermutigen, sich selbst eine Meinung zu bilden, stärkt autoritäre Strukturen. Das entspricht der Logik des Konzepts für das nation building, das die USA, aber auch die EU und die Uno vertreten. Es erschöpft sich in der Neuverteilung der Macht unter den einflussreichen politischen Gruppen im Rahmen eines formell parlamentarischen Systems. Nichts fürchten westliche Politiker mehr als Destabilisierung. Gesellschaftliche Demokratisierung aber ist in autoritären Regimen destabilisierend, sie ist ein Angriff auf die Macht der Patriarchen, vom Präsidenten bis zum Familienvater.

Die Ansprechpartner für den Dialog mit »dem Islam« müssten eigentlich jene sein, die ein elementares Interesse daran haben, den islamistischen Terror zu beenden: die Frauen im afghanischen Herat, die ihre Burka als Tarnung benutzen, wenn sie sich mit ihren Liebhabern im Park treffen, die von ba’athistischen Killern bedrohten Gewerkschafter im Irak und die saudischen Jugendlichen, die die Hauswände Jeddahs mit Hip-Hop-Parolen verzieren.

Es ist nicht erstaunlich, dass Irakis und Afghanen, die von den Errungenschaften der westlichen Zivilisation nur die Streubomben kennen lernen, die Demokratisierungsrhetorik für pure Heuchelei halten. In einem Kampf, der nicht zuletzt eine Auseinandersetzung um Werte und Lebenweisen ist, sollte es für Liberale eigentlich nahe liegen, jene »westliche Dekadenz« der freien Partnerwahl und der Popkultur zu fördern, die die Islamisten so fürchten: Kondome für Kabul, Gitarren für Gaza, Bier für Bagdad.

Religiöse Konservative wie Bush, die vorehelichen Sex ablehnen, und europäische Politiker, die beim Dialog mit dem Islam ständig die Außenhandelsbilanz im Blick haben, zeigen jedoch wenig Interesse daran, die für eine Demokratisierung notwendige gesellschaftliche Polarisierung zu fördern. Je größer die Probleme beim nation building werden, desto mehr hofieren sie die alten Machthaber, ob afghanische Warlords oder irakische Ba’athisten. Selbst eine erfolgreiche Demokratisierung würde den islamistischen Terror nicht schlagartig beenden. Sie würde jedoch das aus reaktionären Geistlichen, sympathisierenden Geschäftsleuten und Helfern im Staatsapparat bestehende Umfeld entmachten, ohne das eine Organisation wie al-Qaida auf Dauer nicht handlungsfähig wäre.