Friedensbulldozer

Israel vor dem Rückzug von deniz yücel

Der nationalreligiöse Traum von einem »Groß-Israel« ist ausgeträumt. Und es ist nicht die Arbeitspartei, die den Rückzug aus einem Teil der besetzten Gebiete einleitet, es sind auch nicht die »internationale Gemeinschaft« oder die Kämpfer für die palästinensische Sache, die sich mit diesem Erfolg brüsten können. Es ist niemand anderes als der Mann, der auf der Weltrangliste der am meisten verhassten Politiker mindestens auf dem zweiten Platz rangiert und der als Kriegsverbrecher, Hardliner und Araberfresser verschrien ist: der »Bulldozer« Ariel Sharon.

Noch im letzten Wahlkampf bezichtigte er seinen sozialdemokratischen Kontrahenten Amram Mitzna, der den Rückzug aus Gaza gefordert hatte, der »verantwortungslosen Kapitulation« und versicherte, dass er keine einzige Siedlung aufgeben werde. Allerdings hätte man damals schon – wie es im Übrigen auch nicht ratsam ist, jede Kraftmeierei palästinensischer Politiker ernst zu nehmen – wissen können, dass Sharon die Siedlungspolitik nicht unbedingt aus nationalreligiösen Motiven unterstützte. Es waren vielmehr sicherheitspolitische Erwägungen, die Israel in den siebziger Jahren zur Besiedlung der besetzten Gebiete veranlassten. Und es sind abermals sicherheitspolitische Erwägungen, die Israel nun zu einem Teilrückzug bewegen.

Nach dem Sechstagekrieg vermieden sämtliche israelische Regierungen eine endgültige Entscheidung über die Zukunft der Gebiete und gleichzeitig, insbesondere nach der ersten Machtübernahme des konservativen Likud-Blocks im Jahr 1977, trieben sie den Siedlungsbau voran, der zugleich religiös aufgeladen wurde. Sharons tut deshalb mehr, als bloß zwei Dutzend Siedlungen aufzugeben. Gegen den Widerstand in seiner Partei hat er die Zusammenarbeit mit der religiösen Rechten aufgekündigt, die, im Zuge des israelisch-palästinensischen Konflikts und ermuntert von allen Regierungen seit Menachem Begin, an Bedeutung gewonnen hat. Eine vergleichbare Situation gab es nur in Folge des Friedens mit Ägypten, als Israel den Sinai mitsamt der dort entstandenen Siedlungen räumte. Auch damals war es ein als Siedlerpatron berüchtigter Politiker des Likud, der den Konflikt mit den Nationalreligiösen austrug.

Dies war der Beginn einer extremistischen Siedlerbewegung, der auch jener israelische Deserteur zuzurechnen ist, der vorige Woche in Shfaram vier arabische Israelis erschoss. Sharon verurteilte den Amoklauf als »niederträchtige Tat eines blutdürstigen jüdischen Terroristen«. Der »Terrorismus von Bürgern gegen andere Bürger« sei die größte Gefahr für Israel und seine Demokratie. Um dieser Gefahr zu trotzen, werden die Qualitäten eines »Bulldozers« vielleicht noch gefragt sein. Die konkreten Umstände des Rückzugs sind dabei nicht allzu bulldozerartig. Während rund ein Fünftel aller Israelis unterhalb der Armutsgrenze lebt – auch eine Folge der Sozialeinsparungen unter Sharon –, erhalten die Siedler aus Gaza hohe Abfindungen. Ein Rückzug aus der Westbank kann nicht in gleicher Weise vonstatten gehen, weil dies schlicht unbezahlbar wäre.

Eine andere Frage lautet, ob der jetzige Rückzug der Beginn eines dauerhaften und gerechten Friedens ist, ob man dem Traum der meisten Israelis, die sich kein großes, sondern ein sicheres Israel wünschen, näher gekommen ist. Vieles spricht dafür, dass in Gaza, das durch die zweite Intifada noch weiter verelendet ist, die Hamas weiter an Zulauf gewinnen wird. Mit ihr ist auf absehbare Zeit kein Frieden möglich, ohne sie dummerweise auch nicht. Da ist Israel mit seinem Bulldozer im Dienste des Friedens einen wichtigen Schritt weiter.