Zerfallende Hegemonie

Nicht der Reformismus der Linkspartei ist das Problem, sondern der fehlende Einfluss der radikalen Linken. Nur wenn sich dies ändert, könnte auch die Linkspartei nützlich werden. von werner rätz

Der neoliberale Umbau des Kapitalismus in Deutschland hat zwar kaum organisierte Gegenwehr gefunden, aber viele Menschen gründlich von der Politik abgeschreckt. Bisher blieben sie bei Wahlen einfach zu Hause; nun scheint es, als könnten sie die Linkspartei wählen. Der herrschende Block ist nicht mehr stabil, die Zustimmung zur Linkspartei ist Teil seines beginnenden Zerfalls. Das ist zu begrüßen, schafft aber keine unmittelbaren Handlungsmöglichkeiten für die radikale Linke. Es mag nützlich sein, wenn künftig im Bundestag auch eine Stimme zu hören ist, die der neoliberalen Einheit widerspricht. Die Themen der Linken könnten leichter zu platzieren sein. Würde damit ihr Einfluss steigen?

Selbstverständlich wäre es ihre Aufgabe, den Zerfall des herrschenden Blocks zu beschleunigen. Dazu hat sie aber kaum Optionen. Sie kann versuchen, bestimmte Themen und Inhalte im Gespräch zu halten und muss dabei gerade auch die Linkspartei mit Ansprüchen konfrontieren, die über deren eigene Position hinausgehen. Die klare Kritik an Oskar Lafontaines rechtsdemagogischen Ausfällen war ein solcher Versuch. Vielleicht hat sie dazu beigetragen, dass die Erklärung des Wasg-Vorstandes zum Thema Migration zwar hinter dem Wünschenswerten zurückblieb, sich jedoch inhaltlich von Lafontaine unterschied. Das ist erfreulich, aber die Gefahr, dass ein verhinderter Bundeskanzler neu definieren könnte, was »links« ist, ist längst nicht gebannt. Nach wie vor will die Linkspartei um rechte Wähler werben, nach wie vor gibt es ein Potenzial für ein Querfrontprojekt.

Es wird besonders spannend sein, ob und wie verschiedene politische Gruppierungen in den antisozialen Umbau eingreifen können. An diesem Punkt ist in den vergangenen Jahren der Unmut gewachsen, die neoliberale Hegemonie ist zwar noch nicht gebrochen, aber immerhin angekratzt. Die SPD hat ihre Mehrheitsfähigkeit verloren und die radikale Linke eine gewisse Stärke gewonnen, weil sie sowohl analytisch wie praktisch eigene Akzente zu setzen verstand: Mit der Wahrnehmung der zentralen Rolle der Prekarität der Lebensbedingungen schaffte sie es, sich von der traditionellen Fixierung auf die Lohnarbeit zu lösen. Und mit dem Vorschlag eines bedingungslosen Grundeinkommens stellt sie die entscheidende Frage, wie denn der Zugang zum gesellschaftlichen Reichtum, zum gesellschaftlichen Leben, zur Gesellschaft überhaupt zukünftig gestaltet werden kann.

Wegen solcher Forderungen ist ein erheblicher Dissens mit der Linkspartei zu erwarten. Das Personal der PDS wie der Wasg ist bisher nicht durch Offenheit gegenüber den Prekarisierten aufgefallen. Eher muss man bei vielen Beteiligten fürchten, dass sie eine Rückkehr zu überholten Vorstellungen von Vollbeschäftigung und Arbeitsgesellschaft anstreben. Viele linke GewerkschafterInnen in der Wasg engagieren sich für soziale Gerechtigkeit. Aber können sie die als individuelle Freiheit jenseits des fordistischen Arbeitsgefängnisses denken? Viele PDS-Mitglieder treten zwar für eine öffentliche Daseinsvorsorge und gegen Privatisierung ein, aber haben sie eine Vorstellung von bedingungslosen Rechten der Einzelnen? Was ist überhaupt von einem Projekt zu halten, dessen Hoffnungsträger gestandene Sozialdemokraten sind?

Mich stört dabei nicht in erster Linie, dass mit »Sozialdemokratie« reformistische Positionen verbunden sind. Was sollte heute eine Parlamentspartei in der Bundesrepublik anderes vertreten als reformistische Politik? Das Problem ist, dass es nicht einmal für die Durchsetzung dieser reformistischen Politik eine gesellschaftliche Mehrheit gibt.

Die parlamentarische Orientierung war immer ein Wagnis, weil die Machtapparate eine enorme Integrationsfähigkeit besitzen. Wir haben bei den Grünen erlebt, wie sie in knapp zwei Jahrzehnten alle emanzipatorischen Inhalte ablegten. Und das, obwohl sie aus einer starken sozialen Bewegung heraus entstanden waren und sich anfangs als parlamentarisches »Standbein« einer außerparlamentarischen Bewegung definierten. Der Linkspartei fehlt eine solche Basis völlig.

So bleibt der radikalen Linken nichts übrig, als nach den Wahlen zu tun, was sie in den letzten Jahren getan hat: Sie muss versuchen, die Deutungshoheit über die soziale Wirklichkeit zu gewinnen. Erst dann könnte die Existenz einer linken Parlamentsfraktion vielleicht etwas bewirken.

Werner Rätz ist Mitglied des Koordinierungskreises von Attac.