Alle unter einem Hut

Keynesianer, Antiimps und alte Bekannte: die Fraktion der Linkspartei im nächsten Bundestag wird eine bunte Truppe. Einen Überblick gibt ivo bozic
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Eine Vorgeschichte: Die PDS hielt ihren Parteitag ab in Gera im Jahr 2002. Nach zwei Jahren Führung unter Gabi Zimmer war die Partei kurz zuvor als Fraktion aus dem Bundestag geflogen. Nun kam der Tag der Abrechnung. Ein Machtkampf entbrannte zwischen den »Reformern«, also den Koryphäen Gregor Gysi, Lothar Bisky, Dietmar Bartsch, André Brie, Petra Pau auf der einen und den »Orthodoxen«, bestehend aus der Kommunistischen Plattform (KPF), den Westlinken und Teilen einer ostalgischen Basis, auf der anderen Seite. Er konzentrierte sich auf die Wahl der Bundesvorsitzenden, und schließlich gewann Zimmer noch einmal, dank der Unterstützung der Orthodoxen.

Dass sie, die inzwischen im Europa-Parlament sitzt, alles andere als eine Linke ist und vor allem wegen ihrer deutschnationalen Töne bekannt geworden war, hatte den vermeintlich linken Flügel nicht gestört. Mit ihr hievten die Linken als Stellvertreter den Musikproduzenten, früheren SPD-Mann und früheren Stasi-Zuträger Dieter Dehm und als Bundesgeschäftsführer den ehemaligen SPD-Bundestagsabgeordneten Uwe Hiksch ins Amt. Viele Vertreter des Reformerflügels ergriffen die Flucht und zogen sich ins Privatleben zurück.

Warum die Vorgeschichte? Weil gerne vergessen wird, dass es die KPF und ihre Klientel waren, die den Überläufern von der SPD in der PDS den Weg ebneten. Heute kritisieren sie die Abkehr vom Sozialismus und die geplante Fusion mit der Wasg. Aber nicht nur die Orthodoxen haben ein sozialdemokratisches Projekt in der PDS gestartet, sondern auch die Reformer: einerseits die Regierungskoalitionen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern und zum anderen das Bündnis Gysi-Lafontaine. Mehr Sozialdemokratie geht kaum.

Heute scheint die PDS, die sich jetzt Linkspartei nennt, Chancen zu haben, der SPD den Rang abzulaufen, zumindest im Osten. Die Umfragen sagen ihr bis 12 Prozent der Stimmen bei der Bundestagswahl voraus, aber auch wenn es weniger werden, wird sie eine beachtliche Fraktion bilden können, erstmals mit mehr west- als ostdeutschen Abgeordneten. Hinter Lafontaine und Gysi reihen sich einige Vertreter der Wasg ein, und in der Linkspartei finden sich plötzlich alle wieder, die sich in Gera fast die Schädel eingeschlagen haben.

Dazu gesellen sich bunte Vögel wie der Richter am Bundesgerichtshof, Wolfgang Neskovic, der mit seiner Forderung nach einem »Recht auf Rausch« bekannt geworden ist, die ehemalige Chefredakteurin des Hessischen Rundfunks, Luc Jochimsen, und die Sektenbeauftragte des Hamburger Senats, Ursula Caberta. Auch Dehm, der auf Platz eins der Liste in Schleswig-Holstein antritt, dürften wir bald im Bundestag reden hören. Er ist schon länger der Meinung, die Linke solle mit der »albernen Verwechslung von ›national‹ und ›nationalistisch‹ aufhören« und den transnationalen »Monopolen entgegentreten, die den nationalen Sozialstaat unterhöhlen wollen«. (Jungle World, 04/01). Seine Hauptsorge gilt der »Macht der Banken und Konzerne«, während er in der SPD Sprecher der mittelständischen Unternehmer war und sich auch in der Linkspartei besonders für den bodenständigen »Mittelstand« stark macht. Er glänzt heute vor allem dadurch, dass er immer wieder Künstler zu antiamerikanischen Bekenntnisaktionen zusammentrommelt. Auch für die Deutschquote im Radio tritt er ein.

Aber auch sein ärgster Gegner Dietmar Bartsch ist wieder da. Der frühere Bundesgeschäftsführer und Vertraute Gysis zog sich nach Gera ganz aus der Parteiarbeit zurück und führte seitdem beim Neuen Deutschland die Geschäfte. Nun ist er Spitzenkandidat in Mecklenburg-Vorpommern.

Das Lager der Reformer wird von bewährten Kräften vertreten: Der ehemalige stellvertretende Vorsitzende der PDS Wolfgang Gehrcke kehrt womöglich ins Parlament zurück, ebenso wie der ehemalige Parlamentarische Geschäftsführer Roland Claus. Erstmals könnte auch der Parteivorsitzende Lothar Bisky in den Bundestag einziehen. Dort sitzen bleiben werden aller Voraussicht nach die derzeit einzigen Bundestagsabgeordneten der Linkspartei, Petra Pau und Gesine Lötzsch.

Von der Wasg könnten Klaus Ernst und Ulrich Maurer für Aufmerksamkeit sorgen. Ernst, der Mitbegründer der Wasg, ist ein leidenschaftlicher volkstümlicher Redner. Maurer war lange Jahre Vorsitzender der SPD in Baden-Württemberg und ist seit seinem Übertritt am 1. Juli dieses Jahres das einzige Mitglied der Wasg mit Landtagsmandat. Er ist umstritten, weil er den Wahlkampf der SPD in Baden-Württemberg im Jahr 1996 unter anderem mit Forderungen nach einem Zuwanderungsstopp für deutschstämmige Aussiedler und für den Aufschub der Währungsunion bestritt.

Gestärkt werden dürfte auch die antiimperialistische Ausrichtung der Fraktion. Nicht nur mit Dehm, sondern vor allem auch mit Norman Paech, dem Spitzenkandidaten in Hamburg. Der Völkerrechtler äußerte in der Vergangenheit Verständnis für palästinensische Selbstmordattentäter und gab Israel eine Mitschuld am Antisemitismus in Deutschland (Jungle World, 31/05). In Bremen gab es hitzige Debatten um die 71jährige Antonie Brinkmann, weil sie einen Aufruf unter dem Titel »Freiheit für Milosevic« unterzeichnet hatte. Man gönnte ihr den zweiten Listenplatz.

Die Wirtschaftspolitik der Linksfraktion dürfte stark nachfrageorientiert sein. Mit Axel Troost und Herbert Schui ziehen womöglich zwei keynesianistische Wirtschaftswissenschaftler aus der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik in den Bundestag ein, und mit Jörg Huffschmid, der im wissenschaftlichen Beirat von Attac mitarbeitet, ein prominenter Vordenker der Tobin-Steuer.

Der jüngere, tendenziell linksalternative Flügel der Partei könnte in der neuen Fraktion unter anderem von der stellvertretenden Parteivorsitzenden Katja Kipping aus Leipzig, dem aus dem Reformerflügel stammenden Nachwuchspolitiker Jan Korte und dem Hamburger Yavuz Fersoglu vertreten sein. Der Letztgenannte hat die autonomen Bambule-Demos mitorganisiert und setzt sich für die türkischen Kurden und die Freilassung ihres Anführers Abdullah Öcalan ein.

Höchst umstritten war die Kandidatur von Hakki Keskin, dem bisherigen Vorsitzenden der Türkischen Gemeinde in Deutschland, der erst im Juli aus der SPD ausgetreten ist. Der Sprecher der Armenischen Gemeinde in Berlin, Vartkes Alyanak, warf Keskin vor, den Völkermord an den Armeniern zu leugnen.

Im Unterschied zu früher hat die Linkspartei alle prominenten Kandidaten auf den Listen gut abgesichert. Sie bietet so ziemlich alles auf, was in der Partei Rang und Namen hat. Lafontaine und Gysi werden diese breitgefächerte Fraktion nur führen können, wenn sie sich selbst in höchstem Maße diszipliniert oder von den beiden disziplinieren lässt. Aber das hat ja bisher immer relativ gut geklappt.