Der Kampf um Post und Posten

Der japanische Premierminister Koizumi nutzt die Niederlage bei der Abstimmung über die Postreform, um sich seiner parteiinternen Widersacher zu entledigen. von hans-martin krämer

Nach einer persönlichen Niederlage beschließt der japanische Ministerpräsident, Junichiro Koizumi, das Parlament neu wählen zu lassen. Auf den ersten Blick scheint er nachzuahmen, was Gerhard Schröder im Mai nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen vorgemacht hat. Nachdem das Oberhaus das Gesetz zur Reform der Post abgelehnt hatte, löste er das Unterhaus auf und setzte für den 11. September Neuwahlen an.

Bei genauerem Hinsehen überwiegen indes die Unterschiede. So ist viel weniger Zeit bis zum Wahltermin. Andererseits war die Entscheidung in Japan viel weniger überraschend. Bereits vor seiner Niederlage stellte Koizumi diese Konsequenz in Aussicht. Die AbweichlerInnen im Oberhaus wussten also, dass sie den Bestand ihrer Regierung riskierten. Auch werden vorzeitige Neuwahlen in Japan als weit weniger dramatisches Ereignis wahrgenommen als in Deutschland. Immerhin werden es die 23. Wahlen zum Unterhaus seit 1946 sein.

Koizumis Gesetzesvorhaben sah im Wesentlichen für die Post gleiche Wettbewerbsbedingungen wie für den Privatsektor vor. Die drei Geschäftsbereiche Post, Bank und Versicherung sollten aufgeteilt und privatisiert und die Aktien auf dem freien Markt verkauft werden. Die Post ist der letzte große Staatsbetrieb, der noch nicht wenigstens teilweise privatisiert worden ist.

Bereits Mitte der achtziger Jahre waren die staatliche Tabakgesellschaft, die Bahn, die Fluggesellschaft Jal und die Telekommunikationsgesellschaft NTT an der Reihe. In den fünf Regierungsjahren Koizumis gab es eine zweite, kleinere Welle. Gegen viel Widerstand aus der eigenen Partei konnte er die Privatisierung der Autobahnen durchsetzen, auch die staatlichen Universitäten wurden teilweise privatisiert.

Meist handelte es sich jedoch um defizitäre Unternehmen, die der Staat rasch loswerden wollte. Bei der Post ist die Lage anders. Sie ist mit ihren drei Teilbereichen für den japanischen Staat kein Verlustunternehmen. Im Gegenteil, die Regierung nutzt die Einlagen der SparerInnen bei der Postbank zur Finanzierung von staatlichen Vorhaben. Die der Postbank zur Verfügung stehenden Mittel dienen so dem Staat als eine Art zweiter Haushalt neben dem regulären Jahresbudget. Die so finanzierten Ausgaben müssen nicht vom Parlament abgesegnet werden. Es überrascht daher nicht, dass öffentliche Prestigeprojekte häufig aus diesem Topf bezahlt werden.

Diese Praxis ist wiederum eng mit der langen Herrschaft der Liberaldemokratischen Partei (LDP) verbunden. Abgeordnete sichern sich ihre Wiederwahl, indem sie ihrem Wahlbezirk aus öffentlichen Geldern finanzierte Projekte zukommen lassen. Und diese sind eben besonders leicht dem gut versteckten zweiten Haushalt zu entnehmen.

Wenn nunmehr Koizumi die Postbank aus dem öffentlichen Sektor entfernen will, ist dies in erster Linie ein Versuch, die eigene Partei zu reformieren. Er greift also mit der Postreform einmal mehr die Verwicklung von Politik und Staatsbürokratie an, zumindest rhetorisch sein Lieblingsthema seit dem Amtsantritt. So hat er auch bei der Postreform stets versucht, in der Öffentlichkeit möglichst wenig über Inhalte des Gesetzes zu reden, und stattdessen gebetsmühlenartig den Dualismus von »Reformern« und »Blockierer« bemüht.

Damit scheint er erstaunlich erfolgreich zu sein. Haben ausländische Kommentatoren nach der Abstimmung schon ein baldiges Ende der Ära Koizumi vorhergesagt, stellt sich die Lage in den japanischen Medien mittlerweile anders dar.

Der Partei- und Regierungschef hat in kürzester Zeit die denkbar härteste Bestrafung der von den Medien schon zur »Rebellengruppe« stilisierten AbweichlerInnen durchgesetzt. Die 37 Mitglieder seiner Partei, die im Unterhaus die Postreform abgelehnt haben, wurden zunächst vom parteiinternen »Komitee für Ethik in der Politik« gezwungen, bis zum 10. August eine schriftliche Stellungnahme abzugeben. Wer sich nicht von seiner bisherigen Haltung distanzierte, darf nicht für die LDP zur Wahl im September antreten.

Die Parteiführung sorgt zudem dafür, dass in jedem einzelnen der 37 Wahlkreise VertreterInnen der Linie Koizumis als Konkurrenz zu den »VerräterInnen« antreten. Das hat bei den AbweichlerInnen zu Wutausbrüchen und zur Rede von einer »Politik der gezielten Tötungen« geführt. Offenkundig wird ein Gutteil der linientreuen Parteiprominenz eigens in andere Wahlkreise versetzt, um die Wiederwahl der AbweichlerInnen zu verhindern.

Koizumis scheinbar suizidale Entscheidung ist also eher ein Versuch, die dissidenten »Blockierer« aus der Partei zu drängen und trotz dieser personellen Schwächung die Wahl zu gewinnen. Sollte ihm dies gelingen, würde es bessere Voraussetzungen für eine wirksame und weitreichende Parteireform schaffen, die auch der traditionellen Aufsplitterung der LDP in Interessengruppen ein Ende machen könnte. Die Anti-Reform-Fraktion hat ihre vor der Abstimmung kursierenden Pläne, eine neue Partei zu gründen, mittlerweile wegen der knappen Zeit bis zu den Neuwahlen aufgegeben.

Besiegen muss Koizumi jedoch nicht nur die innerparteilichen Gegner, sondern auch die einzig verbliebene bedeutende Oppositionspartei, die Demokratische Partei Japans (DPJ). Ihr größtes Problem ist derzeit, dass sie nur in der Außenpolitik von der LDP wirklich abweichende Positionen vertritt.

Innenpolitisch hat sie stets versucht, sich als die eigentliche »Reformkraft« zu präsentieren – dumm nur, dass sie geschlossen gegen die Postreform gestimmt hat, so dass die LDP sie nun leicht als »Blockierer« darstellen kann. Betrachtet man das Medienecho unmittelbar nach der Entscheidung für Neuwahlen, scheint Koizumis Rechnung bereits aufgegangen zu sein.

Nirgends wird über die politischen Inhalte und Ziele der DPJ gesprochen. Stattdessen findet sich durchgehend das Leitmotiv: »Der mutige Reformer Koizumi kämpft gegen Beharrungskräfte in seiner eigenen Partei.« Dem stellvertretenden Parteivorsitzenden der DPJ wurde die Sache in der vorigen Woche zu bunt. Kurz entschlossen schickte er ein Fax an die wichtigsten Zeitungen, in dem er sich über die einseitige Berichterstattung, die »nur Nachrichten aus der LDP zuneige«, beschwerte. »Bitte berichten Sie fortan gerecht und fair!«