Friede den Mullahs!

Die Verfassungsdebatte im Irak von thomas v.d. osten-sacken

Das Herz eines jeden Globalisierungskritikers müsste höher schlagen: Frauen demonstrieren für Gleichheit und eine Quote von 50 Prozent in Parlament und Regierung. Von reaktionären Milizionären schikaniert und ihres Magistrates überdrüssig, organisieren sich die Bewohner einer Stadt in einem »People’s Parliament«, das dann von diesen Milizen gewaltsam aufgelöst wird. Ereignisse, die hierzulande eigentlich den Stoff abgeben müssten für unzählige Flugblätter, Solidaritätsadressen und Protestaktionen.

Doch nichts dergleichen geschieht. Denn die Frauendemonstrationen fanden vergangene Woche in Bagdad und Najaf statt, und das People’s Parliament wurde im südirakischen Samawa gegründet. Der Fehler dieser Menschen ist es, sich für einen demokratischen und säkularen Irak einzusetzen, also das Versprechen ernst zu nehmen, das die USA den Irakis 2003 gaben. Würde schließlich gelingen, was sich viele Irakis erhoffen, könnte die Transformation als Erfolg der verhassten USA verbucht werden. Deshalb unterstützen die einen gleich den »Widerstand«, die anderen verfassen lange Artikel darüber, warum man Demokratie im Nahen Osten nicht von außen implementieren könne.

Dabei sind ausgerechnet jene Neocons, die als Inbegriff des imperialistischen Bösen gelten, inzwischen scharfe Kritiker der US-amerikanischen Irak-Politik. Washington lasse die irakischen Demokraten im Stich und betreibe stattdessen Appeasement mit Mullahs und anderen Reaktionären. Zu Recht stellen Autoren wie Michael Rubin vom American Enterprise Institute fest, dass die USA, statt den demokratischen Umbau des Irak auch gegen den Willen einflussreicher schiitischer Parteien und Kleriker voranzutreiben, sich nunmehr vornehmlich auf eine schnelle Befriedung des Landes konzentrierten.

Demokratisierung und Stabilität aber schließen sich zumindest kurzfristig aus. Seit langem lassen die irakische Regierung und die Koalitionstruppen in großen Teilen des Landes schiitischen Milizen freie Hand, weil diese effektiv den sunnitisch-islamistischen und ba’athistischen Terror bekämpfen. Nur richten sie eben ihre Waffen auch gegen ihre anderen Feinde: unverschleierte Frauen, säkulare Studenten, westlich ausgerichtete Liberale. Erst in der vergangenen Woche setzte die Badr-Miliz, die dem »Supreme Council of the Islamic Resistance in Iraq« (Sciri) untersteht, den Bürgermeister von Bagdad, Alaa al-Tamimi, gewaltsam ab, der als parteiunabhängig und politisch moderat galt.

Auch in der Debatte um die neue Verfassung nutzen vor allem die schiitischen Parteien ihre momentane Macht, um ihr Ziel einer Islamisierung des Landes durchzusetzen. Insbesondere säkulare Frauenorganisationen, aber auch kurdische und liberale Gruppierungen kritisieren deshalb den von den USA vorgegebenen rigiden Zeitplan. Bis zum 15. August soll der endgültige Verfassungsentwurf dem Parlament vorliegen. Doch erst jetzt begännen sich landesweit all jene zu organisieren, die sich für einen »modernen, demokratischen und in die Zukunft blickenden« Irak einsetzten, stellte Rend Rahim Francke, die irakische Botschafterin in den USA, fest.

Doch sowohl die USA als auch die Mullahs im Süden des Irak wünschen, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, dass die neue Verfassung so schnell wie möglich verabschiedet wird. Es scheint, als würden einmal mehr, wie in den letzten 50 Jahren so oft, ausgerechnet diejenigen im Stich gelassen, die einzig den notwendigen Wandel im Nahen Osten vorantreiben könnten.