HE loves you

Beim »Freakstock«-Festival rocken junge Christen und verkünden die Botschaft Jesu Christi. von sebastian krüger (text) und christoph eckelt (fotos)

Für mehr Sonne hat er nicht gebetet. »Ein bisschen subtiler muss es schon sein«, sagt Martin Hünerhoff. »Wenn ich Gott um eine gute Zeit hier bitte, dann ist gutes Wetter inklusive.« Der Organisator des »Freakstock«-Festivals ist trotz des kräftigen Platzregens davon überzeugt, dass die Gebete der »Jesus Freaks« ankommen. »Die Leute hier tragen Jesus in sich, schon allein das ist so cool!«

Junge Christen aller Couleur und aus vielen Ländern Europas kommen jedes Jahr zum Festival auf die alte Galopprennbahn Boxberg bei Gotha. Man sieht Punks, Rastafaris, aber auch ganz unauffällige Leute. »Verknallt in Jesus« lautet dieses Mal das Motto, das knapp 10 000 christliche Rockfans für vier Tage und Nächte zum Campen und Rocken lockt. Das musikalische Angebot reicht von Dirty Gospel über Emo und Punk bis zu Death Metal.

Dass fast alle der 50 Bands aus Europa und den USA Amateure sind, mindert den Reiz der Veranstaltung nicht. Im Gegenteil. »Welcome home!« verkündet ein großes Schild über dem Eingang zur Rennbahn, für viele Besucher ist »Freakstock« eine Art Familientreffen. Man fühlt sich wohl und kommt wieder. Das hat sich auch Melanie aus Bielefeld schon vorgenommen, obwohl sie zum ersten Mal dabei ist. Mit ihren 37 Jahren liegt sie eindeutig über dem Altersdurchschnitt, fehl am Platze fühlt sie sich trotzdem nicht. Sie ist mit 16 anderen »Jesus Freaks« angereist. »Ich bin gar nicht in erster Linie wegen der Musik hier, sondern wegen der Gemeinschaft mit so vielen Gleichgesinnten.« Und die werden jedes Jahr mehr.

Martin Hünerhoff ist ein »Jesus Freak« der ersten Stunde. Er war dabei, als in den frühen neunziger Jahren einige Hamburger Punks mehr wollten als nur »diese ständige Gesellschaftsverweigerung« und sich, wie er erzählt, »auf ein Gegenüber namens Jesus« besannen.

Ihre unkonventionelle Art faszinierte Randgruppen aller Art: Bei ihren Gottesdiensten, auch »Jesus-Abhäng-Abende« genannt, wird statt Wein auch mal Bier gereicht. Ein »Jesus Freak« glaubt, dass hinter »der Sache mit Jesus« noch etwas anderes stecke – »trotz Hexenverbrennungen und langweiliger Kirchengottesdienste«. Diese neue Lehre verbreitete sich schnell in Mitteleuropa, heute gibt es nach eigenen Angaben allein in Deutschland rund 150 Gemeinden. Weltweit sollen es über 15 000 Anhänger sein, gerade gründet sich der erste Ableger in Chile. Die Gruppen sind eigenständig und nur lose miteinander verbunden. Ihr größtes Event ist »Freakstock«.

Zwischen zwei alten DDR-Bussen stehen die Zelte der Chemnitzer »Jesus Freaks«. Es herrscht Campingidylle, Klappstühle stehen im Kreis, ein Kocher in der Mitte, im Wind flattert eine sächsische Fahne. Die Chemnitzer sind mit ihrem eigenen »Pfarrer« angereist. Stephan Bartel heißt der, und er würde mit seinen kurzen Haaren und der Designerbrille ohne weiteres als Computerfreak durchgehen. Er ist gerade 27 Jahren alt und bereits ausgebildeter Theologe. Studiert hat er an der Freien Theologischen Akademie in Gießen. Mit einem Abschluss von dieser Hochschule für Charismatiker und Evangelikale kann er zwar kein Pfarramt in der evangelischen Landeskirche bekleiden, aber das hat er auch nicht vor. Seine Welt sind die »Jesus Freaks«, die in Chemnitz besonders stark sind. Seine Gemeinde besteht aus 60 Mitgliedern, zu den Gottesdiensten kommen dreimal so viele interessierte Jugendliche. »Ich biete zeitgemäße Formen an. Man erreicht junge Leute nur, wenn man ihre Sprache spricht.« Sein Rezept hat Erfolg. Von Anfang an hat er allen »Freakstock«-Festivals teilgenommen, und so groß wie in diesem Jahr war seine Delegation aus Chemnitz noch nie. Er selbst interessiert sich vor allem für die Workshops und Seminare, die vormittags angeboten werden.

Auffällig ist der hohe Anteil an »religiösen Quereinsteigern« unter den »Jesus Freaks«. Im Gegensatz zu den »Geburtschristen« können sie genau angeben, seit wann sie »mit Jesus leben« oder wann sie »den Schnitt gemacht haben« zwischen ihrem alten und ihrem neuen Leben.

Jana Henker aus Dresden ist seit dem 3. August 2001 dabei. Damals, vor vier Jahren auf dem »Freakstock«-Festival, war es plötzlich so weit. Sie wusste, dass fortan Jesus im Zentrum ihres Lebens stehen würde; durch ihn, mit ihm und in ihm. Die 25jährige Psychologin arbeitet beim Festival im Zelt der Drogenberatung. Ein Leben ohne Jesus ist für sie unvorstellbar. »Äußerlich geht nach dem Schnitt alles weiter wie bisher. Der Kaffee schmeckt nicht anders. Die Milch wird immer noch sauer, wenn sie nicht rechtzeitig in den Kühlschrank kommt«, sagt sie. Bloß der Sinn ist dann ein anderer.

Auch Roger Derwand, einer der Organisatoren, ist ein Quereinsteiger. Er ist seit sieben Jahren beim Herrn. Ihm sprüht das göttliche Feuer aus den Augen, und der Mund fließt ihm über, wenn er darüber spricht, wie er es schafft, sich monatelang für die Organisation des Festivals aufzureiben – ehrenamtlich: »Du musst für Jesus brennen! Dann schaffst du einfach alles!« Er ist 30 Jahre alt und sieht aus wie ein Guerillero: Militärkäppi, roter Stern auf olivgrünem Pulli, schwarze Hornbrille. Sein Geld verdient er als Halbtagskraft in einem Nürnberger Taschenladen. Unterschiede in der Glaubensintensität zu den Geburtschristen sieht er nicht. Seine Frau ist eine, und die sieht das alles genauso wie er.

Er und eine Handvoll anderer »Jesus Freaks« bilden das so genannte »Dreamteam«, die Macher des Festivals. Sie sind die Freaks mit der Vision. Wie es besser laufen kann und warum das eigentlich alles hier läuft: wegen Jesus nämlich. Sie tüfteln das »Freakstock« aus, 600 ehrenamtliche Helfer sorgen dann dafür, dass alles funktioniert. Das Ergebnis ist ein perfekt organisiertes Festival, mit Kino, Kindergarten und Kunstgalerie, mit Parkplatzwächtern, Köchen und vierschrötigen Ordnern.

Tagsüber finden die Workshops und Vorträge statt. Über das gesamte Innengelände der Galopprennbahn versammeln sich die Freaks unter freiem Himmel. Doch wer will, kann stattdesen auch am Fußballturnier teilnehmen. In der Nähe des Eingangs ist eine Budengasse aufgebaut, in der christliche Literatur, CDs, Nudelpfannen und Crepes feilgeboten werden. Ein Zelt ist dem »24-7-prayer« vorbehalten, einem nimmer endenden Gebetsmarathon. Man kann nach Belieben kommen, mitmachen und wieder gehen. Falls es mit dem Beten noch nicht so gut klappt, kann man in einem anderen Zelt auch für sich beten lassen.

Am Nachmittag, zwischen vier und sechs, erlischt die Geschäftigkeit. Die Buden lassen ihre Jalousien herab, die Pavillons und Zelte leeren sich – nur beim Gebetsmarathon bleibt jemand zurück. Alle strömen zur Hauptbühne, um am »Lobpreis« teilnzunehmen.

Roger Derwand begrüßt die Gemeinde mit salbungsvollen Worten, dann betet er im Namen aller für einen Mitarbeiter, der an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankt ist. Bevor es losgeht, ruft er dazu auf, Fundsachen beim Check-In abzugeben (»Auch Jesus hätte gefundene Sachen nicht einfach so mitgenommen«), und fragt, ob der eine oder andere nicht vielleicht nachträglich anstelle des Sozialeintritts von 50 Euro den vollen Preis in Höhe von 80 Euro bezahlen könne.

Die Finanzabteilung hat nämlich festgestellt, dass »Freakstock« mit einigen zehntausend Euro im Minus ist. Dann endlich greift die Lobpreis-Band zu ihren Instrumenten und stimmt die versammelte Gemeinde ein, mit Emo-Core, ergreifender Rockmusik. Viele halten die Augen geschlossen und lächeln entrückt, andere heben die Arme oder wiegen sich im Takt. Ein Prediger tritt ans Mikrophon. Er spricht mit Händen und Füßen, und mit einer Stimme, die so tief ist wie das irdische Jammertal und so hoch wie der biblische Berg Sinai. Zwischendurch stimmt die Lobpreis-Band immer wieder rockige Glaubenslieder an, die Texte werden mitgesungen, manchmal auch mitgebrüllt. Verhält sich ein Zuhörer irgendwie auffällig oder fällt er gar in Ekstase, eilt ein bereit stehender »Beter« hinzu, legt ihm die Hand auf die Schulter, betet für ihn, und alles wird wieder gut.

Erlaubt ist, was gefällt: Anstatt hier mitzumachen, kann man in seinem Zelt darauf warten, dass am Abend endlich die Konzerte beginnen. Bei denen ist es allerdings so laut, dass niemand mehr versteht, dass es auch in diesen Texten um nichts anderes als Jesus geht. Doch immer wieder fegt ein Platzregen das Areal vor der Hauptbühne leer. Doch ein Grund zur Panik ist das nicht. Für die Dauer der himmlischen Dusche weicht die Gemeinde aus in die Zelte »Rocket Club« (HipHop, Drum’n’Bass), »Marquee« (Hard Core, Metal, Industrial) oder »Coffee« (Unplugged).

Ein skurriles Highlight ist das »Dixie-Land«: 16 Dixi-Klos und ein DJ-Pult bilden einen weiten Kreis. In den Klos sind Stroboskopstrahler montiert, die an jene Beats gekoppelt sind, mit denen der DJ die Technofreunde rockt, die inmitten der Toiletten tanzen. In dieser originellen Location kann man sich so lange verausgaben, bis im Morgengrauen der Dixi-Service kommt, um die Klos abzupumpen.

Kein Wunder, dass die großen Volkskirchen in den Augen der »Jesus Freaks« ziemlich alt aussehen. Im traditionellen Gemeindeleben vermissen sie Enthusiasmus und Lebenslust. »Ich bin ein sehr emotionaler Mensch«, sagt Melanie, »wenn ich in der Kirche laut ›Amen‹ rufe, einfach weil mir danach ist, drehen sich alle um und zischen. Das ist mir zu verkrampft.« Bei Freakstock genießt sie es, sich beim Lobpreis ungestraft gehen lassen zu können. »Wenn ich richtig dabei bin, kommen mir oft die Tränen. Im ›normalen‹ Gottesdienst wird mir dann verstohlen ein Taschentuch zugesteckt – hallo?« Vor rund einem Jahr hat sie in Bielefeld die »Jesus Freaks« entdeckt, inzwischen engagiert sie sich mehr und mehr auch in deren Gemeinde. Zum Gottesdienst in ihrer alten katholischen Kirche dagegen geht sie immer seltener.

Die Distanz beruht auf Gegenseitigkeit. Die Amtskirchen sind den »Jesus Freaks« gegenüber skeptisch bis ablehnend eingestellt, weil vieles in ihrer Spiritualität dem Repertoire der charismatisch-evangelikalen Bewegungen entstammt, wie etwa die biblische Wortgläubigkeit oder die Schlichtheit der Botschaft. Sie lautet: »Jesus liebt dich, und er verändert dein Leben, du musst es nur wollen – jetzt und hier!« Diese rudimentäre Theologie wird mit Elementen der Jugendkultur vermischt.

Klaus-Ulrich Maneck, ein evangelischer Pfarrer in Gotha, spaziert inkognito über die Galopprennbahn. »Die offizielle Kirche hat schon längst nicht mehr das religiöse Monopol«, bemerkt er neidlos. Er schätzt das Engagement der »Jesus Freaks«, um Jugendliche für Gott und die Bibel zu interessieren. Doch für seine eigene Arbeit setzt er auf mehr Nachhaltigkeit. Jahrelanger Religionsunterricht bewirke mehr als ein großes Rockevent im Jahr.

Im Backstage-Bereich spielt eine andere Musik. Hier fällt nicht in jedem Satz der Name des Herrn, höchstens einmal pro Viertelstunde, wenn Derwand oder Hünerhoff nach dem Rechten sehen. Die Musiker lümmeln auf den Sofas, man ist unter sich. Kaum einem gelingt es, Profi zu werden, also wollen sie wenigstens so tun, als ob. Jeder von ihnen weiß, dass Musik ein knallhartes Geschäft ist. Der Erfolg bemisst sich an Airplays, Verkaufszahlen und der Größe der Hallen, in denen man speilt.

In den USA ist christliche Rockmusik ein großes Geschäft. Nicht so in Deutschland. Beim Rolling Stone, dem führenden Fachblatt für Rockmusik, ist man ratlos, wenn es darum geht. Redakteur Arne Willander, der nach eigener Auskunft früher Katholik war und heute Agnostiker ist, gibt zu: »Ich kenne niemanden aus dem ›Freakstock‹-Line-Up! Im deutschen Musikgewerbe ist christlicher Rock bedeutungslos. Aber der Herr ernährt sie doch, die vielen Bands. Gott segne sie!«

Dabei sind christliche Motive im Rock so alt wie diese Musik selbst. Erste Akzente setzte schon Elvis Presley. Johnny Cash, Randy Newman, Bruce Springsteen – viele Künstler lassen in ihrer Musik immer wieder etwas von der himmlischen Herrlichkeit durchscheinen. Bob Dylan nahm in seiner kurzen Zeit als christlicher Konvertit mit »Slow Train Coming«, »Shot of Love« und »Saved« gleich drei Alben zu Ehren Gottes auf, überlegte es sich später aber wieder anders. U2 und Nick Cave sind ohne Frömmigkeit undenkbar. Als Godfather des Jesus-Rock jedoch gilt Larry Norman, der als einer der ersten moderne Musik und religiöse Texte miteinander verband. Zum Credo für die gesamte christliche Rockkultur wurde sein 1972 veröffentlichter Song »Why should the Devil have all the Good Music?«

Die Dresdner Band »The Flying Windmill« sieht es ähnlich: »Wir spielen Poppunk! Oder ist es Punkpop? Egal, wir wollen Spaß haben!« sagt der Gitarrist Marko. Für die vier Jungs aus der Dresdner Neustadt ist Glaube Privatsache, zwei von ihnen finden Jesus cool, die anderen beiden haben nichts dagegen. Lodewijk von der Band »Satellite 7« aus Amsterdam jedoch geht das ständige Gerede um die Ernsthaftigkeit und Tiefe seines Glaubens auf die Nerven. »Es geht doch um die Musik!« Der Mittzwanziger stammt aus einem christlichen Elternhaus, er hat einen Halbtagsjob als Gabelstaplerfahrer. »Ich rauche, trinke und fluche. Dass ich in der Lage bin, Musik zu machen, ist ein Geschenk Gottes. Egal welche Botschaft ich mit meiner Musik rüberbringen will – die Musik muss gut sein. Sonst hört ja keiner zu. Und um gut zu sein, musst du verdammt hart üben!«

Amen.