Hexen fliegen durch die Nacht

Die Ausstellung »Africa Screams« zeigt das Böse in Kino, Kunst und Kult. von anke schwarzer

Deformierte, verletzte Körper, Totenköpfe, wehende Vorhänge, Donner, Blitz und Blut. Die Insignien des Bösen sind bestens bekannt. »An der Peripherie des Bewusstseins, den Rändern der bewohnten Welt liegen seit jeher die Zonen des Bedrohlichen und des Ungeordneten: die Projektionsräume für das Fantastische und das imaginäre Andere. Hier wuchern und ranken sich – im Halbschatten der wertvollen Kulturgattungen – jene literarischen und visuellen Genres, zu denen die Maskengestalt ebenso gehört wie der Gruselroman oder Horrorfilm«, so der Kulturanthropologe und Filmemacher Tobias Wendl. Er hat das Konzept der Ausstellung entwickelt, die derzeit im Frankfurter Museum der Weltkulturen zu sehen ist. Sie widmet sich ganz dem Bösen in Kunst, Kultur und Kult – freigegeben ab 16 Jahren.

Allerdings sind dort nicht die präparierten Leichen eines Gunther von Hagens, nicht die Hexenmasken eines alemannischen Fastnachtumzugs, nicht die blutrünstigen Darstellungen des gekreuzigten Jesus und auch nicht die Splattervideos made in USA zu sehen. »Africa Screams« bezieht sich vielmehr auf den Kontext der Kunst- und Kulturgeschichte des afrikanischen Kontinents und präsentiert rund 250 Werke von Künstlern und Künstlerinnen, Filmproduktionen aus Westafrika (vor allem aus Nigeria, Togo, Kamerun und Sierra Leone) sowie aus Angola und Südafrika.

Die Ausstellungsmacher sind sich bewusst, dass sie sich zwischen den beiden zentralen europäischen Afrika-Diskursen bewegen. Der eine speist sich aus der selektiven Aufmerksamkeit der Medien und liefert die bekannten Katastrophenbilder: Afrika als Krisenkontinent und Alptraum aller Entwicklungsplaner. Der zweite Diskurs rückt die Kreativität des großen Kontinents in den Mittelpunkt, seine Musik und Kultur – zunehmend auch die moderne und zeitgenössische Kunst.

»Das Ausstellungsprojekt ›Africa Screams‹ versucht hier einen ersten Brückenschlag. Denn ebenso wenig wie sich die Krisen und Schrecken Afrikas ignorieren lassen, kann man sie zu den bloßen Artefakten einer monströsen, westlichen Medienberichterstattung schön reden«, so die Ausstellungsmacher. Sie wollen herausfinden, wie sich die postkolonialen Krisen in der Kunst und der populären Kultur artikulieren. Die Themen des kongolesischen Künstlers Cheri Cherin etwa sind die Schreckensherrschaft des Diktators Mobutu Sese Seku, aber auch die Komik und die Abgründe des alltäglichen Lebens. In »Mystique congolaise« (1999) entsteigt ein gehörnter Teufel dem Himmel und schickt sich an, die Welt mit ihren Scheinheiligen und Korrumpierten zu zerstören – die Zahl 666 auf seiner Stirn verweist auf die Johannes-Apokalypse. Der Heiler Pandakufi entpuppt sich als Scharlatan, wie die Eule auf dem Dach zu verstehen gibt; die Krokodile sind angriffslustig; die Nixenfrau Mama Water hält den Telefonhörer falsch herum; eine fanatische Christengruppe preist einen Prediger, der selbst in Sünde lebt; die Toten spuken auf dem Friedhof; die Hexen fliegen durch die Nacht.

Die reiche Hexenfolklore Afrikas hat in den letzten Jahren mit dem Siegeszug der Videotechnologie einen ungeheuren Boom erlebt, so Wendl. Jährlich kommen in Ghana 40 bis 50 lokal produzierte Filme auf den Markt, Nigeria hat sich mit einer Jahresproduktion von über 500 Titeln neben Ägypten zur führenden afrikanischen Filmnation aufgeschwungen.

Zahlreiche Videocover werden in der Ausstellung gezeigt, ebenso die großflächig und bunt gemalten Werbeplakate für neue Filme. Neben diversen Werbetrailern für »Magic Money«, »Igodo«, »Last Burial 2« und »Final Burial« ist auch der Film »Above Death« zu sehen: Das Böse in Vogelgestalt dringt in das Schlafzimmer des neugeborenen Oli und infiziert ihn, indem er mit dem Hexenfläschchen gestillt wird. Als Heranwachsender begeht er eine Grausamkeit nach der anderen. Die aus dem euroamerikanischen Horrorkino bekannten Splatterorgien, die die Zerstörung des menschlichen Körpers um der puren Destruktion willen zelebrieren, sucht man vergebens. Die Zerstörung des menschlichen Körpers im afrikanischen Film steht immer im Zusammenhang mit dem Thema der Bereicherung, so Wendl. Der mit Abstand populärste Topos des afrikanischen Horrorfilms ist das Thema Juju-Geld, auch Zaubergeld (magic money) oder Blutgeld (blood money). Die Juju-Männer, Mad Scientists à la Dr. Jekyll, überschätzen in der Regel ihre Kräfte, und ihre Kreationen geraten außer Kontrolle. Das wichtigste Motiv ist auch hier die Erzeugung von Reichtum.

Wendls Arbeiten beeindrucken, weil sie Afrika nicht als Inbegriff der Alterität zeichnen, sondern seine moderne Ungleichzeitigkeit zeigen. Mit den Filmausschnitten wird das vielseitige moderne Afrika präsentiert: traditionale Dorf-Settings ebenso wie urbane Einfamilienhäuser der ghanaischen und nigerianischen Middle-Class mit ihren teppichbezogenen Treppenhäusern, rosa Schlafzimmereinrichtungen und Einbauküchen.

Ebenso interessant wie irritierend ist der Mix in der Ausstellungskonzeption. So komponiert Wendl die so genannte Hohe Kunst, Populärkunst und Kult zu einer Gruselschau. Die groben Mapiko-Masken aus Tansania werden neben fein ausgearbeiteten Ölgemälden und den poppig illustrierten Kalenderblättern präsentiert, die die Sensationslust des Publikums bedienen. Diese DIN A-0 großen Plakate gehen auf Kalenderblätter der Kolonialzeit zurück, auf denen politische Persönlichkeiten, etwa die Queen, zu sehen waren und die als Gratifikationen an afrikanische Angestellte der kolonialen Administration vergeben wurden. Neben Mensch-Tier-Wesen und geldgierigen Heilern werden auch Ereignisse von globaler Bedeutung abgebildet, etwa die brennenden Twin-Towers des 11. September oder der Krieg im Irak.

Candice Breitz aus Südafrika beschäftigt sich in ihren Fotomontagen mit der Gewalttätigkeit bildlicher Repräsentationsformen. In ihrem Zyklus »Ghost Series« (1996) verwendet sie touristische Postkartenmotive, die barbusige Dorf-Frauen im Bastrock beim Getreidestampfen zeigt. Es sind Aufnahmen, die schwülen Exotismus bedienen und die Frauen in Posen der »Völkerkunde-Fotografie« ablichten. Die Künstlerin übermalte die Körper mit Tipp-Ex und verweist damit auf die Entindividualisierung des weiblichen Körpers.

In diesen Arbeiten deutet sich eine weitere Tendenz an, die für die Ausstellung kennzeichnend ist: Das imaginäre, obgleich gesellschaftlich tatsächlich wirksame Böse wird mit dem realen politisch-ökonomischen Grauen zusammengedacht. Die unter dem Label »Gesellschaftskritik« ausgestellte Installation des Beniner Künstlers Dominique Zinkpé wirkt allerdings recht trivial. Sie beschäftigt sich mit dem klassischen, wenn nicht schon klischeehaften Bild aus den Dritte-Welt-Zeitschriften der achtziger Jahre: Der afrikanische Patient, ein dünnes, schlaffes Opfer, liegt apathisch auf dem Krankenbett. Er hängt an den Tröpfen der reichen Welt. Mit bunten Flüssigkeiten gefüllte Beutel, die mit »USA«, »GTZ«, »Prinz Claus«, »Unicef«, »France« beschriftet sind, hängen über dem Kranken, die Flüssigkeit fließt durch seinen Körper und wieder zurück in die Plastikbeutel.

Unklar bleibt leider, wo die Unterschiede zwischen den schamanischen Masken, den makabren Kannibalismus-Comics und den modernen Werken, die etwa den Genozid in Ruanda (»The Scars of Memory« von Kofi Setordji) oder den jahrzehntelangen Krieg in Angola (Arbeiten von Fernando Alvim) aufgreifen, liegen. Welche Distanz haben Künstler und Betrachter zum gezeigten Grauen, welche Rolle spielt die Magie der Bilder, welche der künstlerisch-ästhetische Aspekt?

Wendl setzt die Hochkonjunktur des Okkulten mit den krassen Verwerfungen und der Enttäuschung im postkolonialen Afrika in Beziehung: Die zunehmende Erfahrung von Gewalt und Agonie spiegele sich in einer immer fantastischeren hybriden Mythologie, in der das Imaginäre und Reale sich wechselseitig durchdringen, so Wendl. Problematisch ist es allerdings, wenn die afrikanischen Reaktionen auf die Folgen des Kolonialismus und die Auswirkungen des Kapitalismus auf okkulte Praktiken und Repräsentationen des Bösen reduziert werden. Die vielfältigen politisch-kulturellen Widerstandsstrategien gegen Naturzerstörung, Armut, Krieg und Korruption fallen hier unter den Tisch; zementiert wird ein Bild, wonach Afrika eben finster-bedrohlich sei und im voraufgeklärten Zustand verharre. Die Ausstellung bleibt zudem die Antwort auf die Frage schuldig, wie verbreitet mythologisches Denken tatsächlich ist und in welchen Milieus Zaubervorstellungen konserviert oder auch erneuert werden.

Der Katalog ist deshalb eine wertvolle Ergänzung zur Ausstellung. Er enthält nicht nur zahlreiche Farbtafeln von Werken, die in Frankfurt nicht zu sehen sind. 20 Autoren, Historiker, Kulturwissenschaftler und Künstler stellen die Exponate in einen historischen und einen politisch-kulturellen Zusammenhang. Sie beschäftigen sich auch mit Regionen, die in der Ausstellung nur am Rande vorkommen, zum Beispiel Äthiopien (Das Böse in der populären Kunst) und Tansania (Horror- und Fantasycomics). Einzelne Aspekte wie Nacktheit oder Hexerei werden erläutert und das Phänomen Kannibalismus auf seinen realen und imaginären Gehalt hin untersucht. Wer sich Zeit für die Ausstellung und den Katalog zur Hand nimmt, erhält mit »Africa Screams« spannende Einblicke.

»Africa Screams«. Museum der Weltkulturen, Frankfurt am Main. Bis 12. März 2006Tobias Wendl (Hg.): Africa Screams. Das Böse in Kino, Kunst und Kult. Peter Hammer Verlag, Wuppertal, 2004. 288 Seiten, 31 Euro