Opel schlägt zurück

Nach dem wilden Streik bei Opel Bochum im vergangenen Herbst kündigte das Unternehmen einem Arbeiter und versucht, einen Betriebsrat loszuwerden. von tom binger

Mit dem Urteil gegen Richard K. sei der Fall »von einer strafrechtlichen zu einer politischen Auseinandersetzung« geworden, sagt Rainer Einenkel, der Betriebsratsvorsitzende von Opel Bochum. Am 19. Juli bestätigte das Arbeitsgericht Bochum die Kündigung des Opel-Arbeiters Richard K. Der 45jährige, der in der Wagenendmontage tätig war, hatte gegen seine fristlose Entlassung nach dem wilden Streik im vergangenen Herbst geklagt. Das Gericht wandelte lediglich die fristlose in eine fristgerechte Kündigung um, die Klage auf Wiedereinstellung in den Betrieb wies es ab. Damit steht Richard K. nach 25 Jahren Betriebszugehörigkeit und 18 Jahren am Montageband auf der Straße.

Die Personaldirektion des Bochumer Opelwerkes hatte nach der einwöchigen Arbeitsniederlegung im Oktober vorigen Jahres zugesagt, keine arbeitsrechtlichen Schritte gegen die Streikenden und ihre »Rädelsführer« einzuleiten. Dennoch entließ Opel Bochum nicht nur Richard K., sondern versucht auch, einen Betriebsrat aus dem Werk II, Turhan Ersin, loszuwerden. Mit Jürgen Rosenthal erhielt zudem ein im Streik sehr aktiver Vertrauensmann unter verschiedenen Vorwänden gleich drei Abmahnungen. Für Opel handelt es sich bei den Kündigungen um »Sonderfälle«, da die Betroffenen ihre Arbeitskollegen zur Arbeitsniederlegung gedrängt und Streikbrecher bedroht hätten. Entsprechende Anzeigen seien bei der Personalabteilung des Unternehmens eingegangen.

Im Prozess gegen Richard K. erwiesen sich die angeführten Kündigungsgründe als nicht haltbar. Vier Belastungszeugen des Unternehmens zogen vor Gericht ihre Anschuldigungen zurück. Lediglich ein leitender Angestellter blieb bei seinen Aussagen, bemerkte aber auch: »Ich hatte keine Angst vor dem Kläger.« Trotzdem bot der zuständige Richter van der Leeden nur einen Vergleich mit fristgerechter Kündigung und Abfindung an. Darauf ging Richard K. nicht ein. »Ich will zurück an meinen Arbeitsplatz!«, sagte er.

Die mündliche Urteilsbegründung des Gerichts benannte neue Argumente für die Kündigung. Bei der Arbeitsniederlegung habe es sich eindeutig um einen rechtswidrigen wilden Streik gehandelt. Dass der Kläger andere dazu ermuntert habe, an dieser Aktion teilzunehmen, »war eine Aufforderung zum Vertragsbruch und damit eine schwere Störung des Betriebsfriedens«. Mit dieser Begründung könnte man die Mehrheit der 9 600 Beschäftigten bei Opel Bochum auf die Anklagebank setzen, die sich an der spontanen Arbeitsniederlegung für den Erhalt des Werks und ihrer Arbeitsplätze beteiligt haben.

In einer Protesterklärung gegen das »Skandalurteil« fordern Richard K.s Kollegen aus der Wagenendmontage seine Wiedereinstellung. »Während es legal ist, wenn Konzerne Tausende Arbeitsplätze vernichten, werden Arbeiter wie Kriminelle behandelt, wenn sie sich dagegen wehren«, heißt es in der einstimmig beschlossenen Resolution.

Dem Betriebsrat Turhan Ersin wirft die Leitung der Adam Opel AG vor, Kollegen verbal genötigt zu haben, indem er sie namentlich als Streikbrecher benannte. Da der Betriebsrat seine Zustimmung zur Kündigung verweigerte, versucht Opel, ihn aus dem Betrieb zu klagen, was in einer ersten mündlichen Verhandlung am 28. April vor dem Bochumer Arbeitsgericht an rein formalen verfahrensrechtlichen Fragen scheiterte. Die am Bochumer Opel-Werk beteiligten Unternehmen Opel Powertrain GmbH und GM-Fiat Worldwide Purchasing GmbH waren nicht in das Kündigungsverfahren einbezogen worden. Deshalb bleibt die Verhandlung vorerst ausgesetzt und Ersin Mitglied des Betriebsrates.

Vom diesem fordert Ersin, aus Solidarität mit dem rechtlich weniger geschützten Richard K. alle Anträge der Geschäftsleitung auf Mehrarbeit bis zur Rücknahme der Kündigung zu verweigern. »Mich muss Opel aus dem Betrieb klagen, der Kollege muss klagen, um wieder in den Betrieb zu kommen. Ich finde es traurig, dass da nicht mehr gemacht wird, um das Unternehmen unter Druck zu setzen.« Wegen solcher Äußerungen hat die Adam Opel AG, falls sie mit der Kündigung nicht durchkommt, beantragt, Ersin zumindest aus dem Betriebsrat zu entfernen.

Er gehörte auch zu jenen Betriebsratsmitgliedern, die mit dem Ende des Streiks im Oktober nicht einverstanden waren. Als das Bochumer Werk bereits über eine Woche lahm gelegt und es zu ersten Lieferschwierigkeiten und Produktionsausfällen in anderen europäischen Opel-Werken gekommen war, sollte die Belegschaft in einer Versammlung über Fortsetzung oder Abbruch der Aktion entscheiden. Doch anders als am Vortag im Betriebsrat abgestimmt, lautete die Frage auf dem Stimmzettel: »Soll der Betriebsrat die Verhandlungen mit der Geschäftsführung weiter führen und die Arbeit wieder aufgenommen werden?« Indem sie die Fortsetzung der Verhandlungen an einen Abbruch der Arbeitsniederlegung koppelten, erreichten die Betriebsratsführung und die Gewerkschaft eine Zwei-Drittelmehrheit für das Ende des Ausstands. Auch eine Ausweitung der Aktionen auf andere Opel-Werke in Deutschland wurde von der IG Metall verhindert. »Ein Spruch der IG Metall lautet: Nur gemeinsam sind wir stark. Aber das wird in letzter Zeit leider nur wenig praktiziert und deshalb kämpft jedes Werk für sich«, sagt Ersin.

Darüber hinaus lässt die Solidarität der Gewerkschaft mit den Entlassenen zu wünschen übrig. »Die IG Metall, deren Mitglied Turhan Ersin ist, hat sich völlig bedeckt gehalten und nichts gegen die Kündigungen unternommen«, resümiert Ersins Anwalt, Michael Dornieden. Ludger Hinse, der Bochumer IG Metall-Bevollmächtigte, sieht auch nach dem Urteil gegen Richard K. keine Notwendigkeit zu handeln, schließlich könne an den Anschuldigungen ja etwas dran sein. Außerdem hätten sich die Betroffenen nicht auf den Rechtsschutz der IG Metall verlassen, sondern ihre eigenen Anwälte beauftragt. »Erst machen sie ihr eigenes Ding, und dann beschweren sie sich über die mangelnde Unterstützung«, sagte er der Jungle World.

Aus der Belegschaft wurde dagegen das defensive Verhalten der Betriebsratsführung kritisiert. So habe der Betriebsrat vor dem Ende der Arbeitsniederlegung auf die sonst übliche Schutzklausel verzichtet und dadurch das Vorgehen gegen die Kollegen erleichtert. Rainer Einenkel, der Bochumer Betriebsratsvorsitzende, räumt im Gespräch mit der Jungle World ein, dass der Verzicht auf den Abschluss einer »Maßregelklausel« ein Fehler gewesen sei. Für ihn ist die Entlassung der beiden Kollegen dennoch eine »riesengroße Sauerei«. »Wenn bereits die Aufforderung zur Arbeitsniederlegung für eine Entlassung reicht, dann müsste ich als Erster rausfliegen«, sagt Einenkel. Von der IG Metall erwartet er eine eindeutige Äußerung zu diesem politischen Prozess. Man darf gespannt sein.