Wer gegen wen?

Landauf, landab kommt es bei der Bundestagwahl zu kuriosen Duellen um die Direktmandate. Drei davon stellen unsere Autoren vor

Merkel gegen Linke

»Eigentlich sind sich die beiden sehr ähnlich. Frau Merkel ist genau wie Frau Linke Naturwissenschaftlerin.« Doch im Wahlkampf kommt es auf die Unterschiede an. Das weiß auch der Mitarbeiter in Marianne Linkes Wahlkampfbüro. »Bei Angela Merkel merkt man aber, dass sie Naturwissenschaftlerin ist. Sie redet über Politik, als ginge es um Physik«, fügt er schnell hinzu.

Gegen die Physikerin Merkel tritt im Wahlkreis Stralsund-Nordvorpommern-Rügen die habilitierte Agrarmeteorologin Marianne Linke im Kampf um das Direktmandat an. Seit 2002 ist die PDS-Politikerin Sozialministerin in Mecklenburg-Vorpommern. Ihre Chancen gegen Merkel stehen nicht gut. Seit 1990 hat diese in jeder Bundestagswahl das Direktmandat gewonnen. Im Jahr 2002 erhielt sie knapp 42 Prozent der Stimmen. Die Kandidatin der PDS bekam 16 Prozent. Die Kanzlerkandidatin Merkel wird vielleicht noch mehr Stimmen erhalten.

Die schwere Gegnerin macht die Wahlkämpfer der Linkspartei ratlos. Eine eigene Strategie verfolge man für Linke nicht, heißt es im Wahlbüro. Auch bei der traditionellen »Ostsee-Bädertour« der Linkspartei, bei der die Parteiprominenz jedes Jahr die Küste Mecklenburg-Vorpommerns entlang tingelt und die dieses Jahr ganz im Zeichen der vorgezogenen Bundestagswahlen steht, gibt es keine besondere Unterstützung für Linke.

Man versucht sich an einer Imagekampagne. Merkel wird als kühle Karrieristin gezeichnet, die dem Osten den Rücken zugekehrt hat, Linke als die der Region von Herzen verbundene Politikerin. So wirft Linke ihrer Konkurrentin in Interviews gerne vor, dass sie keinen »ostspezifischen Wahlkampf« mache. Die Leute in Mecklenburg-Vorpommern nähmen Merkel »nicht unbedingt als Ostfrau« wahr. Linke dagegen mimt die Bodenständige, die »einen prächtigen Enkelsohn« hat und sich mit ihrer Familie und dem »Kater Mephisto, mittlerweile 15 Jahre alt«, sehr zu Hause fühlt in Mecklenburg-Vorpommern, wie es in einer Wahlbroschüre heißt. Dieser Familienkitsch könnte auch im Skript einer Vorabendserie des öffentlich-rechtlichen Fernsehens stehen.

Und wie steht es mit den politischen Inhalten? »Frau Linke hat ein völlig entgegengesetztes Programm zu Merkel«, sagt man im Wahlbüro der Linkspartei. Nein zur Marktwirtschaft, nein zum Kapitalismus? »Frau Linke setzt sich für die Bürgerversicherung ein. Angela Merkel will die Kopfpauschale. Das sind Welten.«

Gern hätte Linke mit Merkel diskutiert, Auge in Auge. Der DGB hat Anfang September eine Diskussionsveranstaltung angesetzt und alle drei Direktkandidaten in Merkels Wahlkreis eingeladen. Merkel jedoch hat abgesagt. Was juckt es den Elefanten, wenn Fliegen auf ihm herumtrampeln? Sie hätte gern an dem Gespräch teilgenommen, müsse sich aus Termingründen aber auf den Wahlkampf auf Bundesebene konzentrieren, sagt die Pressestelle der CDU. Linke und der Kandidat der SPD sind etwas sauer.

Allzu viel scheint Linke sowieso nicht an einem Einzug in den Bundestag zu liegen. Auf einen Platz auf der Landesliste hat sie verzichtet. Wenn Merkel das Direktmandat gewinnt, bleibt Linke die Sozialministerin in Mecklenburg-Vorpommern. Der Kampf um das Mandat ist eher Formsache. »Viel Feind, viel Ehr«, sagt der Herr aus dem Wahlbüro der Linkspartei. So wie es aussieht, wird auch dieses Mal wieder der Feind gewinnen.

markus ströhlein

Fischer gegen Steinbach

Die Linken mögen beide nicht. Dieser Satz lässt zwar offen, wer Subjekt und wer Objekt ist, also wer wen nicht mag. Das ist aber auch egal. Denn beides ist richtig. Erika Steinbach und Joschka Fischer mögen keine Linken, und die Linken mögen weder Erika Steinbach noch Joschka Fischer.

Zwar versteht sich Joschka Fischer durchaus als Linker, worüber die echten Linken nur müde lächeln können. Seit wann ist ein deutscher Außenminister, der mit den Worten »Nie wieder Auschwitz« zum Angriff auf Belgrad bläst, ein Linker? Andere, unbedarftere Linke werfen ihm schlichtweg Verrat vor. Darüber wiederum lächelt Fischer nur müde.

Steinbach ist eine passionierte Heimatvertriebene, das ist bekannt. Dass ihre Familie erst nach dem deutschen Überfall auf Polen dorthin zog, um dann vertrieben zu werden, hat sich auch langsam herumgesprochen. Aber wer weiß schon, dass sich die Wege Fischers und Steinbachs bereits 1974 in Frankfurt gekreuzt haben sollen? So will es zumindest der Mythos um die Politisierung Steinbachs, den die Zeit einst kolportierte. Demnach zog damals eine chaotische Spontidemonstration durch Frankfurt, Straßen wurden blockiert, womöglich flogen sogar Steine. Und an der Spitze, na klar, stand Joschka Fischer.

Kurz nach dieser Begegnung trat Steinbach angeblich in die CDU ein und bis zum heutigen Tage nicht mehr aus. Fischer treibt schließlich immer noch sein Unwesen, seit ein paar Jahren sogar als Außenminister. Von 1977 bis 1990 war sie zunächst Stadtverordnete in Frankfurt am Main, seit 1990 ist sie Bundestagsabgeordnete. Dass sie ab 1998 gegen Fischer um die Erststimmen der Wähler buhlen würde, hätte sie 1974 wohl kaum gedacht. Eine Knastkarriere des ehemaligen Outlaw wäre ihr wahrscheinlich lieber gewesen.

Es kam aber ganz anders. Es folgten der Marsch durch die Institutionen, der totale Werteverfall, und Fischer wurde zum beliebtesten deutschen Politiker. Im Wahlkreis 184, in dem beide kandidieren und der hauptsächlich aus den Frankfurter Innenstadtvierteln besteht, zeigt sich das Ganze sogar in verschärfter Form. Bei der Bundestagswahl 2002 gaben über 20 Prozent der Wähler Fischer ihre Erststimme, und 19,4 Prozent den Grünen auch ihre Zweitstimme. Am Ende gewann zwar die Kandidatin der SPD, Rita Streb-Hesse, das Direktmandat, Steinbach und Fischer zogen dennoch in den Bundestag ein, weil sie prominente Plätze auf den jeweiligen Landeslisten innehatten.

Frankfurt ist Fischers Stadt. Die kulturelle Hegemonie seiner Klientel ist hier allgegenwärtig. In völliger Ignoranz der bestens asphaltierten Straßen und Gehwege, die übrigens deshalb nicht mehr gepflastert sind, weil die Spontis keine Steine mehr zum Schmeißen haben sollten, schieben ökologisch bewusste Mittdreißiger ihre dreirädrigen Geländekinderwagen durch die Gegend. Den Kampf um die Straße haben die Konservativen zumindest in der Innenstadt verloren. Die Grünen sind sich ihrer selbst so sicher, dass sie sogar der Bitte der Frankfurter Sozialdemokraten, doch deren Kandidaten zu unterstützen, um Erika Steinbach eine Niederlage zu bescheren, nicht nachkommen. Sie verkünden stolz und selbstbewusst: »Für die Frankfurter Günen ist eines klar: Wir wählen Joschka!« Und ihre Wähler stimmen ein: Geländekinderwagen fürs Kosovo!

jesko bender

Thierse gegen Liebich

Der Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) und Stefan Liebich, der Vorsitzende der Berliner Linkspartei, sind die Favoriten im Kampf um die Erststimme im Wahlkreis 77 in Berlin-Pankow. Thierse konnte im Jahr 2002 die Wahl für sich entscheiden, nachdem er 1994 und 1998 das Direktmandat an die Kandidaten der PDS, Stefan Heym und Petra Pau, verloren hatte. Während er, der zusätzlich auf dem ersten Platz der Berliner Landesliste der SPD kandidiert, seinen Sitz im Bundestag sicher hat, hängt für Liebich alles am Direktmandat. Dennoch höhnt »der Aufsteiger mit dem offenen Lächeln«, wie die Berliner SPD Liebich nennt: »Der Präsident, so viel ist jetzt schon klar, wird nicht mehr Wolfgang Thierse sein.«

Für Liebich, der als 18jähriger im Jahr 1990 der PDS beitrat, sind »bürgerschaftliches Engagement, Solidarität und soziale Gerechtigkeit mehr als schöne Worte«. In seiner Wahlbroschüre erklärt er, was er darunter versteht: »Ich will dafür eintreten, dass mehr Arbeitsplätze entstehen.« Das haben wir befürchtet. Auf dem Parteitag der Berliner PDS Anfang August, auf dem diese sich in Linkspartei umbenannte, sagte er: »Streiten wir um die Sache, und wenn es sein muss, auch um Listenplätze.« Und wenn Wahlen anstehen, sind eben Listenplätze »die Sache«.

Liebich ist bemüht, die Beteiligung der PDS an der Stadtregierung als Erfolg darzustellen. Teureres Sozialticket, abgeschaffte Lernmittelfreiheit, 14 000 Beschäftigte weniger im öffentlichen Dienst seit 2001, Streichung von 230 Professorenstellen, Sicherung der Aktionärsrenditen der Wasserbetriebe – was noch? »Unser Kultursenator Thomas Flierl ermöglicht mit einem Drei-Euro-Ticket, dass auch arme Berlinerinnen und Berliner Opern und Theater besuchen können.« Was man mit sozialer Härte zerschlägt, möchte man mit Paternalismus kitten. Vielleicht legt Liebich demnächst noch einen Fünfer aus eigener Tasche drauf, damit sich die »Armen« in der Pause ein Glas Sekt leisten können.

Wolfgang Thierse hingegen ist das brabbelnde Gewissen der SPD. Unentwegt wendet er sich an seine Mitbürgerinnen und Mitbürger, an Jugendliche in Neustadt-Orla, Wurzen oder Wunsiedel. »Entgegen der medialen Konjunktur möchte ich regelmäßig über die Gefahren des Rechtsextremismus sprechen.« Er möchte »vermitteln« und »Brücken bauen«, posiert mit Strohhut auf dem Christopher-Street-Day, besucht interkulturelle Kindergärten, kommt als Ehrenmitglied des Bezirksverbands der Kleingärtner zur Krönung der »Rosenkönigin« und schaut später noch beim Mittelalterfest in Blankenburg vorbei. Er möchte kein Zentrum gegen Vertreibungen in Berlin, sondern lieber ein Zentrum für Versöhnung in Polen.

Er hält die vorgezogene Neuwahl für »zutiefst demokratisch, sogar patriotisch«, meint aber: »Ich bin kein Lokalpolitiker, sondern leite Bürgeranliegen an Lokalpolitiker weiter. Denen sage ich, kümmert euch.«

Wenn das Reden die Pflicht der Kandidaten ist, dann sind die Klamotten ihre Kür. Liebich, der »stromlinienförmige Streber« (taz), tritt dermaßen eloquent und aalglatt in seinen Anzügen auf, dass es einem die Sprache verschlägt. Thierse dagegen, der vom Magazin Men’s Health mehrfach unter die zehn am schlechtesten gekleideten Prominenten Deutschlands gewählt wurde, nimmt die Sache leicht: »Ich habe ja immer noch meinen Bart, und meine Frau stutzt ihn, und dann wächst er wieder, und dann stutzt sie ihn wieder.«

kai pohl