Ein Bär mit Dysfunktionen

Harter Körperkontakt ist beim Football üblich. Der Trainer Mike Ditka schlägt auch mal jenseits des Spielfelds zu. von elke wittich

Manchmal, so ist zu vermuten, träumen Trainer davon, körperliche Gewalt gegen Spieler auszuüben. Sehr, sehr viel körperliche Gewalt, denn der durchschnittliche Sportler, so kann man Wochenende für Wochenende den Pressekonferenzen frustrierter Coaches entnehmen, tut vor allem eines mit Vorliebe: Er hört den äußerst durchdachten taktischen Anweisungen nicht zu.

Falls es die Angst vor schlimmen Konsequenzen ist, die Coaches davon abhält, ihren renitenten Schützlingen ab und an eine zu langen: Der US-amerikanische Footballtrainer Mike Ditka ist der lebende Beweis dafür, dass sich Spielerverhauen überhaupt nicht negativ auf die Karriere auswirken muss.

Er gilt, obwohl mittlerweile schon seit einiger Zeit im Ruhestand, nach wie vor als einer der besten Footballtrainer. Dabei hatte sich der am 18. Okotober 1939 geborene Sohn eines Stahlarbeiters auf der Aliquippa High School zunächst nicht so richtig auf eine Sportart festlegen wollen. Nach einer Weile entschied er sich dann jedoch für American Football, 1960 begann dann seine Profikarriere, nach einem sehr erfolgreichen Jahr als Universitätssportler, bei den Chicago Bears.

Eigentlich war er an die University of Pittsburgh gegangen, um Zahnarzt zu werden, doch »statt Zähne reparieren wurde Zähne ausschlagen seine Profession«, schrieb der US-Sportjournalist Ken Shouler später. Einer seiner Gegenspieler, so wird berichtet, habe dem jungen Mike einst vorgeworfen: »Ich dachte, du würdest mich umbringen!« Der antwortete ungerührt: »Das hätte ich auch getan, aber ich kam nicht nahe genug an dich heran.«

Mike Ditka agierte in den folgenden Jahren hauptsächlich als so genannter tight end, als Spieler, der offensiv ausgerichtet direkt neben der Angriffsreihe steht. Er definierte die bis dato lediglich als Block gesehene Postition jedoch um und agierte erstmals als eine Mischung zwischen Blocker und Receiver. 1988 sollte der als besonders durchsetzungsstark geltende Sportler mit dem passenden Motto »Schmerz hat mich noch nie sonderlich gestört« mit 427 gefangenen Bällen als erster tight end in die Pro Football Hall of Fame aufgenommen werden.

1972 dachte er jedoch wohl nicht darüber nach, wie er eines Tages geehrt werden würde. Nach zwölf Jahren als Football-Profi hatte er seine aktive Karriere beendet. »Ich konnte einfach nicht mehr, mein gesamter Körper schmerzte, es ging einfach nicht länger. Bedauert habe ich das aber nie«, sagte er später. Schließlich begann sofort eine neue Karriere: Er wurde auf der Stelle Assistenztrainer bei Tom Landry, einem der berühmtesten Coaches der USA, nach dem heute ein Autobahnteilstück und ein Stadion benannt sind. Gemeinsam feierten die beiden zwischen 1972 und 1981 mit den Dallas Cowboys sechs Ligatitel, drei Meisterschaften der NFC und den Gewinn des Super Bowl im Jahr 1977.

1982 bat der 87jährige Gründer und damalige Interims-Headcoach der Chicago Bears, George »Papa Bear« Halas, überraschend Mike Ditka, an seiner Stelle den Posten des Cheftrainers bei den Bären zu übernehmen. Die letzte Saison war katastrophal verlaufen, gefragt waren neue Ideen und moderne Taktiken. Ditka zögerte nicht, obwohl der an Halas’ Küchentisch ausgehandelte Vertrag mit 100 000 Dollar Jahreseinkommen der niedrigstdotierte der gesamten Liga war, und zog nach Chicago.

Er richtete die Mannschaft nach seinen Vorstellungen aus, wobei er es mit dem berühmten Zitat von Vince Lombardi hielt: »Football ist kein Kontaktsport, Football ist Kollisionssport. Tanzen ist Kontaktsport.« Wobei die viel beschworene Fairness für den Coach immer eine sekundäre Tugend war. »Ich weiß, dass es in unserer Gesellschaft sehr unpopulär ist, so etwas zu sagen, weil man den Kindern ja ständig beibringt, sich an bestehende Regeln zu halten. Aber die Wahrheit ist doch: Wenn du deinen Gegner härter schlägst als er dich, dann wirst du jeden Kampf gewinnen. Und gewonnene Kämpfe sind wichtig, um den ganzen Krieg zu gewinnen. Keine komplizierte Sache eigentlich, also sollten wir sie auch nicht zu einer machen.«

Was aber war mit dem von Ditka höchstpersönlich verhauenen Spieler? Das Ganze ereignete sich, als Quarterback Jim Harbaugh eine Anordnung des Trainers eigenmächtig änderte und der Mannschaft neue Anweisungen gab. Ein Touchdown für den Gegner war die Folge – und Ditka explodierte. Er schlug Harbaugh, was von den Kameras des übertragenden Fernsehsenders ESPN gefilmt und am nächsten Morgen das Highlight der Frühstücksshows überall in den USA wurde. Jahre später entschuldigte sich der Coach: »Ich war einfach so verbissen, wollte so dringend gewinnen, dass ich völlig außer mir war. Das war komplett falsch, natürlich, ich wollte damals meinem Image als tough guy entsprechen. Heute weiß ich, ich bin kein tough guy, ich bin nur ein ganz gewöhnlicher guy.«

Er geriet wegen seiner Temperamentsausbrüche immer wieder in die Schlagzeilen. Mal brach er sich während einer überaus emotionalen Halbzeitansprache an sein Team das Handgelenk, als er voller Wut gegen einen der metallenen Schränke in der Umkleidekabine schlug. Einem Fan der San Francisco 49ers, der ihm durch Zwischenrufe während eines Spiels immens auf die Nerven gegangen war, ließ er eine gigantische Kaugummi-Blase ins Gesicht platzen.

Während der Saison 1988 erlitt der Choleriker Ditka einen Herzinfarkt, erholte sich allerdings rasch und saß bald wieder auf der Trainerbank. Vier Jahre später wurde er jedoch von den Bears gefeuert. Wie viele ehemalige Trainer oder Profis wurde auch der ehemalige Bär Fernsehkommentator, für NBC analysierte er im Studio die Spiele der National Football League. Er absolvierte Gastauftritte in verschiedenen Shows und Serien, der Höhepunkt war jedoch in diesem Jahr ein Gastauftritt im Film »Kicking and Screaming«. In dem Streifen über einen Mann, der als kleiner Junge unter dem Ehrgeiz seines footballverrückten Vaters litt und der nun, als er das Team seines Sohnes coacht, entdeckt, dass er ziemlich ähnliche Verhaltsweisen an den Tag legt, spielte Ditka sich selbst – und wurde für sein schauspielerisches Talent einhellig gelobt.

1997 begann sein Comeback als Coach, er übernahm den Trainerposten bei den New Orleans Saints, und es begann das, was er aufgrund des sportlichen Misserfolgs später rückblickend als »die drei schlimmsten Jahre meines Lebens« bezeichnen sollte. Er beendete seine Trainerlaufbahn und gründete ein eigenes Restaurant, das zu führen ihm nach eigenen Bekunden immer noch großen Spaß macht. Alle Versuche, ihn wieder zurück zum Football zu holen, fruchteten bislang nicht.

Aber auch aus anderen Karriereplänen wurde nichts: Im Juli 2004 wollte Mike Ditka eigentlich für einen Sitz im Senat kandidieren. Kurze Zeit später teilte er jedoch mit, dass er doch nicht antreten werde. Seine Frau Diana hatte sich vehement gegen die Kandidatur und den damit verbundenen Stress ausgesprochen. Im gleichen Jahr überraschte der Konservative seine Fans: Bei einer Superbowl-Party in Houston rechtfertigte er sein Engagement für Levitra, ein Mittel gegen Erektionsstörungen, mit den Worten: »Es ist schwer, es zuzugeben, aber viel schwerer ist es, es nicht zuzugeben. Warum sollte man damit leben wollen?« Er selber habe jahrelang unter erektiver Dysfunktion gelitten. »Man fühlt sich einfach nicht vollwertig, und das ist kein schöner Zustand, glauben Sie mir. Ein echter Mann kann über so etwas übrigens reden.«