Der Unantastbare

25 Jahre nach dem Putsch von yildirim türker

Wir hatten gerade den Garten seiner Sommervilla in Bodrum-Yalıkavak betreten, als plötzlich der »Harbiye«-Marsch ertönte. Kenan Evren, der siebte Präsident der Türkischen Republik, strahlte uns an. »Ich habe das einzige Mobiltelefon der Welt, das mit dem ›Harbiye‹-Marsch klingelt«, sagte der Pascha zufrieden.

Ungefähr so beginnt eine der vielen Reportagen, die an die Berichte über Stars und Sternchen in den Boulevardmagazinen der fünfziger Jahre erinnern. Die auflagenstärksten Zeitungen verpassen keine Gelegenheit, um den ehemaligen Putschistenführer und pensionierten General Evren in einer seiner Sommerresidenzen aufzusuchen und mit ihm über Gott und die Welt zu plaudern oder ihn zu den politischen Entwicklungen zu befragen.

Der Putsch jährte sich in dieser Woche zum 25. Mal. Nach jenen Septembertagen wurden 1,6 Millionen Menschen polizeilich erfasst, 650 000 verhaftet, 230 000 angeklagt, 14 000 wurde die Staatsbürgerschaft entzogen, 30 000 Menschen wurden ins Exil gezwungen und 50 hingerichtet. Der Hauptverantwortliche, Kenan Evren, ist dennoch bester Laune. »Ich kann nicht kommen, weil ich mich vor wilden Tieren fürchte, vor allem vor Krokodilen und Elefanten«, hatte er mal gesagt, als er eine Einladung aus Südafrika ausschlug. Solange sich der Pascha von Elefanten und Krokodilen fernhält, hat er nichts zu befürchten. Der Artikel 15 der türkischen Verfassung von 1982, der jede Anklage gegen die Putschisten von 1980 verbietet, ist nach wie vor in Kraft.

Nachdem er seine Uniform abgelegt hatte, durfte Evren über alles mögliche plaudern; über die gesundheitsfördernde Wirkung des Knoblauchs, über die Liebe zu seiner Ehefrau, über das Geheimnis des Jungbleibens. Seine Aquarelle, die er nach der Vorlage von Kalenderbildern malt, erfreuen sich insbesondere bei Provinzhonoratioren größter Beliebtheit. Aber schon der bloße Gedanke, seine verfassungsmäßige Unantastbarkeit in Frage zu stellen, erscheint absurd.

Selbst die Namen von ihm und seinesgleichen werden kaum ausgesprochen, ohne dass die Stimme vor ängstlicher Ehrfurcht erbebt. Nicht unschuldig daran sind die Massenmedien, die über den Mann, der mit dem Spruch: »Wäre es besser, sie zu füttern, statt sie zu hängen?« Menschen, die noch fast Kinder waren, an den Galgen brachte, als heldenhaften und erfahrenen, aber auch gütigen lausbübischen Opa darstellen. Die Vorstellung, dass das Militär ein unabdingbarer Teil der Nation ist, ist tief in den Herzen verankert, ebenso die Selbstverständlichkeit, mit der sein erdrückender Einfluss auf die Politik hingenommen wird.

Indem sie permanent die nationalen Werte anzweifelten, würden sie die Geduld und die Entschlossenheit der Nation und der Streitkräfte auf die Probe stellen, sagte jüngst der Generalstabschef Hilmi Özkok in Richtung einiger Intellektueller. Hängt denn in einer Demokratie das Verhältnis zwischen der Armee und der Nation an einem Geduldsfaden, der zerreißen kann? Was anderes als eine offene Drohung ist es, wenn ein Bewaffneter auf seine strapazierte Geduld hinweist? Gibt es irgendwen in diesem Land, der nicht wüsste, was jemand mit einer Pistole und ohne Geduld anrichten kann? Dass selbst Özkök, der in dem Ruf steht, der überzeugteste Demokrat unter den Soldaten zu sein, so daherreden kann, ohne von der Öffentlichkeit zurechtgewiesen zu werden, zeigt, wie schrankenlos die Macht der Paschas immer noch ist und wie unsicher es bleibt, ob die Türkei tatsächlich einer demokratischen Zukunft entgegenblickt.

Yıldırım Türker ist Kolumnist der linksliberalen Tageszeitung Radikal.