»Ich werde keiner Armee dienen«

Weil es in der Türkei kein Recht auf Kriegsdienstverweigerung gibt, werden immer wieder Antimilitaristen inhaftiert. Kürzlich stand Mehmet Tarhan vor Gericht. von osman murat ülke

Seit 1990 gibt es in der Türkei Kriegsdienstverweigerer, allerdings kein Recht auf die Kriegsdienstverweigerung. Seither organisiert eine kleine Bewegung von radikalen Antimilitaristen nicht nur Aktionen zur Verbreitung des Verweigerungskonzepts, sondern auch zu Krieg, Genderfragen, Gewaltfreiheit und anderen Themen. Doch alle paar Jahre gerät ein weiterer Verweigerer in Haft, woraufhin die Solidaritätsarbeit die Aktivitäten dominiert. Zuletzt wurde Mehmet Tarhan, ein schwuler Kriegsdienstverweigerer, am 8. April festgenommen.

Er wurde in »seine« Kaserne nach Tokat gebracht, wo er sogleich wegen Verweigerung jeglicher Befehle an das Militärgericht in Sivas überstellt und angeklagt wurde. Bevor er im dortigen Gefängnis ankam, wurden die Insassen von der Leitung über den erwarteten »Landesverräter« informiert. Kaum dort angekommen, fand er sich einem Lynchversuch ausgesetzt. Er erlitt schwere Prellungen, die Schwierigkeiten beim Essen und beim Gehen nach sich zogen. Hinzu kamen Morddrohungen. Erst nach dem Einschreiten seiner Anwältin und einer von ihr veranstalteten Pressekonferenz ließ man von Mehmet Tarhan ab und steckte ihn in eine Einzelzelle. Elementarer Rechte beraubt, fing er einen Hungerstreik an, den er am 28. Tag nach einer Einigung wieder beendete.

Die Solidaritätsbewegung hat seit April Delegationen für fünf Prozesstage organisiert. Antimilitaristische, anarchistische und schwul-lesbische Organisationen aus dem Ausland waren auch anwesend. Die vorläufig letzte Sitzung fand am 4. August statt. Mehmet Tarhan wurde zu einer Haftstrafe von vier Jahren verurteilt. Die Solidaritätsaktionen im In- und Ausland gehen weiter.

Am 4. August verlas Mehmet Tarhan vor Gericht einen Text, den wir hier gekürzt dokumentieren:

»Ich habe am 27. Oktober 2001 meine Kriegsdienstverweigerung erklärt. Ich werde keiner Armee oder sonstigen hierarchischen Organisation dienen und mich gegen die Ausbreitung des Militarismus wehren. Angesichts des Kriegswahns, der die Welt nach dem 11. September befallen hat, nimmt meine Gewissheit zu, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Denn die weltweit und auch in unserer Region anhaltenden Terroranschläge und Kriege verdeutlichen, dass die einzige menschliche Alternative eine gänzlich gewaltfreie Lebensweise ist.

Die Armeen sind eines der Haupthindernisse auf dem Weg zu einer gewaltfreien Welt, denn sie verdanken ihre Existenz, Macht und Kontinuität den Kriegen und der Aussicht auf sie. Phasen ohne bewaffnete Auseinandersetzungen sind dennoch Zeiten, in denen die Verbreitung der Herrschaftskultur innerhalb der Gesellschaft vorangetrieben, der Krieg vorbereitet und die Entfaltung des Friedens unterminiert wird.

Die Armee verbreitet durch den Kriegsdienst eine Kultur des Gehorsams. Das Individuum soll konditioniert und durch nicht infrage gestellten Gehorsam seiner Selbständigkeit beraubt und sogar zum Feind jeglicher Selbstbestimmung gemacht werden. Was einen Menschen von einer Maschine oder einem gut dressierten Hund unterscheidet, ist der Wille als Grundlage seiner Taten. Unbedingter Gehorsam ist also, gelinde gesagt, eine Entmenschlichung.

Ich wiederhole: Ich werde nie Befehle geben und entgegennehmen, da mir ein menschenwürdiges Leben, für alle Menschen und mich selbst, wichtig ist. Ich sehe es als tragikomisch an, dass in diesem Militärgebäude Epaulettenträger nach Gesetzen, die sie sich selbst gemacht haben, über mich entscheiden sollen. Ich verlange eine sofortige Beendung meiner Freiheitsberaubung.«

Osman Murat Ülke, bekannt als »Ossi«, war der erste inhaftierte Kriegsdienstverweigerer in der Türkei.