Raus aus dem Keller

Der türkische HipHop verlässt den Underground. von markus ströhlein

An den Wänden hängen Picture-LPs von Slayer, Iron Maiden oder Cradle of Filth. Aus den Boxen dröhnt Death Metal. Das Publikum im Plattenladen trägt entweder lange Haare oder T-Shirts von Prügelbands. Heavy Metal is in the house. Eigentlich gilt »Hammer Müzik« als erste Adresse für türkischen Rap. Aber wo ist er, der HipHop?

Enis Kizikaya lächelt. »Wer HipHop hören möchte, ist bei uns richtig. Wir haben vor 15 Jahren mit einem Label und einem Plattenladen für extremen Metal angefangen. Aber schon Ende der Neunziger kam der HipHop dazu.« Enis ist für das Marketing und den internationalen Vertrieb zuständig. Er steht hinter der Theke und faltet die Inlays der neu eingetroffenen CDs. Das ist schnöde DIY-Handarbeit.

»›Hammer Müzik‹ ist das einzige Underground-Label in der Türkei«, sagt ein Gast. Underground ist es im wahrsten Sinn des Wortes. Der Laden befindet sich im Untergeschoss einer heruntergekommenen Einkaufspassage im Istanbuler Stadtteil Kadıköy. Es ist eng. Das Büro befindet sich im selben Raum hinter hohen Regalen.

Dass »Hammer Müzik« das Label für den türkischen HipHop ist, merkt man in der Ecke mit dem Merchandise. Dort hängen die T-Shirts von Ceza mit verschiedenen Motiven. Zwei Platten hat er bei der Firma veröffentlicht. Seit seinem Auftritt in Fatih Akıns Film »Crossing the bridge« ist er auch in Deutschland einem größeren Publikum bekannt. In der Türkei ist er der Star des HipHop. Nicht umsonst heißt sein aktuelles Album »Rapstar«. Über 100 000 Exemplare hat er bisher davon verkauft. Ceza hat die Tür zum Mainstream aufgestoßen.

Eine Mutter betritt mit ihrer Tochter den Plattenladen. Der Teenager will ein T-Shirt von Ceza. Mutti soll zahlen. Die gut gekleidete Frau wirkt wie ein Fremdkörper im Laden. Man sieht an ihrem Gesichtsausdruck, dass Death Metal nicht zu ihren musikalischen Vorlieben zählt. Sie zückt das Portemonnaie. Die Tochter ist zufrieden.

Dass Ceza außerhalb der kleinen HipHop-Szene eine wachsende Zahl von Fans hat, stößt bei den Dogmatikern des Underground nicht auf Begeisterung. Doch die Vorwürfe, den Ausverkauf des HipHop zu betreiben, lassen den Rapper kalt. »Dieses Gerede ist mir egal. Ich möchte, dass möglichst viele Leute meine Musik hören. Das ist für einen Musiker doch normal.«

Nicht alle Leute mögen ihn. Ceza wagt sich weit aus dem Fenster. Er rappt über die sozialen Probleme in der Türkei, über Rassismus, Faschismus und Terror. »Ich mache HipHop in einer sehr konservativen Gesellschaft. Ich sage Dinge, die provozieren. Das tun nicht viele in der Türkei.« Damit eckt er bei Leuten an, von denen man nicht unbedingt erwarten würde, dass er bei ihnen auf Ablehnung stößt. Als er beim Rock’n’Coke-Festival vor 50 000 Menschen auftritt, drehen ihm die Metal-Kids demonstrativ den Rücken zu, zeigen ihm den Mittelfinger und beschimpfen ihn laut im Chor als »Schwuchtel«. Ceza schlägt zurück. Er lässt einen Freestyle-Rap los, dessen Geschwindigkeit und dessen Menge an Schimpfwörtern schwer zu überbieten ist. Die Menge applaudiert. Sogar die Metal-Kids sind für eine kurze Zeit still.

Das sieht zunächst aus, als lieferten sich zwei bornierte Subkulturen einen Wettkampf der Engstirnigkeit. Doch für Ceza liegt dem Geschehen mehr als das Schema »Metal versus HipHop« zugrunde. »Viele der Metaller sehen im HipHop eine Form des amerikanischen Imperialismus. Das ist lächerlich. Pop ist keine türkische Erfindung. Rock kommt nicht aus der türkischen Kultur. Pop, Rock und HipHop sind internationale und universelle Kunstformen. Leute, die darin einen amerikanischen Imperialismus zu entdecken glauben, sind dumm.«

Auf Türkisch zu rappen, ist für Ceza kein nationales Bekenntnis. Es ist eine pragmatische Entscheidung. »Ich möchte die besten Texte abliefern, die mir möglich sind. Das geht nur auf Türkisch. Könnte ich fließend und akzentfrei englisch sprechen, würde ich auf Englisch rappen. Die Sprache ist zweitrangig. Rap muss aus der Seele kommen.«

Das klingt sehr smart. Überhaupt erfüllt Ceza nicht die Bedingungen, um bei einer Straßencrew zum Obergangster aufzusteigen. Er spricht schnell, aber leise, ist zurückhaltend und freundlich und gibt jedem, der ihn auf der Straße anspricht, geduldig die Hand und ein Autogramm.

Vielleicht geht es deshalb so schief, wenn er sich in der Pose des bösen Buben versucht. »Holocaust« heißt sein Song auf dem Soundtrack von »Crossing the bridge«. Es gehe nicht um Völkermord im Text, sagt Ceza. »Das Stück ist ein Battlerap, der sich gegen die miserablen Rapper da draußen richtet. Im übertragenen Sinn lösche ich die schlechten Reime der schlechten Rapper aus.« Ceza gibt den Krassen, den Härtesten der Härtesten. Der Holocaust wird dabei zur affirmativen Metapher.

Das ist abstoßend. Repräsentativ ist es nicht für das, was Ceza tut. Auf dem Festival holt er seine Schwester Ayben auf die Bühne. Sie rappt einen Song. Die Metal-Machos kochen vor Wut und brüllen: »Du Schlampe!«

Dass in der Türkei ausgerechnet das Genre, in dem Frauen des Öfteren als allzeit bereite Pornohäschen durch die Videos hopsen, dazu taugt, den gesellschaftlichen Männlichkeitswahn zu attackieren, hat die Rapperin Sultana bereits vor drei Jahren bewiesen. In ihrem Song »Kusu kalkmaz« beschied sie den türkischen Männern, zwar unheimlich viel und laut reden zu können und bei jeder Gelegenheit den harten Kerl zu mimen, im entscheidenden Moment an einer entscheidenden Körperstelle aber die Härte vermissen zu lassen. Öffentlich über die Erektionsprobleme der türkischen Machos zu lästern, kam nicht gut an. Der Song wurde aus dem airplay der Sender genommen, selbst die CD war nicht mehr erhältlich. Sultana arbeitet zurzeit an einem neuen Album. Dieses Mal will sie weniger offensiv auftreten. Provokation ist eines. Die Verkaufszahlen sind etwas anderes.

Einen Gastauftritt hatte bei Cezas Gig auf dem Rock’n’Coke-Festival Killa Hakan aus Berlin. Der Rapper aus Kreuzberg stellt sein neues Album »Semt semt sokak« in der Türkei vor. Die beiden Musiker kennen sich seit längerem. Schon 1984 hat Ceza Killa Hakan getroffen. Vor dem Festival hatten die beiden einen Auftritt auf Zypern und drei Gigs in Istanbul.

Ceza hat gute Kontakte nach Deutschland. Er hat in Berlin, Köln, Stuttgart und Hamburg gespielt. Auf dem neuen Album der Stuttgarter Band Massive Töne ist er als Gast dabei. Zur Record-Release-Party wird er nach Deutschland kommen.

Türkischer HipHop und türkischsprachiger HipHop aus Deutschland haben eine enge Beziehung zueinander. Und wie es bei engen Beziehungen so ist, gestaltet sie sich nicht unproblematisch. Die Gruppe Cartel wird oft als Begründerin des türkischen HipHop gehandelt. Mitte der Neunziger castete eine große Plattenfirma die türkischsprachigen Rapper aus Deutschland. Cartel hatte tatsächlich großen Erfolg in der Türkei. Das Album verkaufte sich annähernd eine Million Mal. Ceza hält jedoch nicht viel von der Band. »Cartel hat nicht mit dem türkischen HipHop begonnen. Die Band hat nichts für die Szene getan. Sie war von Anfang an auf einem großen Label und hat deshalb viele Platten verkauft. Als wir anfingen, gab es nur 40 oder 50 Leute, die an HipHop interessiert waren. Wir haben in kleinen Kellern geprobt. Wir waren in unserem eigenen HipHop-Ghetto.«