Tschüss, Almanya!

Viele türkischstämmige Menschen, die in Deutschland aufgewachsen sind, leben heute in der Türkei. Mit einigen von ihnen sprach regina stötzel

Wer in Istanbul Bücher in deutscher Sprache sucht, wird im deutsch-türkischen Buchladen auf der Istiklal, der Fußgängerzone im Istanbuler Stadtteil Beyoglu, fündig. Deutschsprachige Schulen und Institute des Landes bestellen dort seit über 50 Jahren ihr Unterrichtsmaterial. »Wenn ich im Buchladen bin, sage ich: ›Jetzt bin ich in Deutschland‹, und wenn ich wieder auf die Straße gehe: ›Jetzt bin ich in der Türkei.‹« Die Liebe sei der Grund für seine Rückkehr in die Türkei gewesen, sagt Cengiz Timurdas und grinst. Im oberen Stockwerk, in der kunstledernen Sitzecke, erzählt der 33jährige, dass es doch ein wenig anders war. »Ich habe eben Blödsinn gemacht, wie man das in dem Alter manchmal macht.« Abgeschoben wurde er mit Anfang 20.

Im Jahr 1978 hatte der Vater die Familie nach Königswinter geholt. Cengiz ging zur Hauptschule, brach eine Ausbildung ab und machte ein paar Jahre »nichts«, jobbte gelegentlich. In der Türkei angekommen, war er auf die Unterstützung seiner Verwandten angewiesen. Auch die Eltern, die nach wie vor in Königswinter leben, halfen ihm. Es war eine harte Zeit für ihn, in der er Deutschland vermisste. »Da ist man ja aufgewachsen.«

Heute, mehr als zehn Jahre später, sieht er das alles etwas positiver: »Gut, dass ich hier bin.« Wegen seiner Sprachkenntnisse bekam er vor sieben Jahren den Job im Buchladen. »Ein guter Job«, sagt er, vermutlich besser als jeder, den er in Deutschland bekommen hätte. »Hier kann ich hingehen, wo ich will«, sagt er, und meint vor allem nächtliche Aktivitäten. Manchmal hätten ihn Türsteher nicht in deutsche Diskotheken hineingelassen, weil sie keine Ausländer mochten. »Und hier plant jeder für sich selbst, nicht der Staat.«

Die Vorteile Deutschlands? »Die Autos sind billiger«, sagt er und lacht. Auch Sport und andere Freizeitaktivitäten seien erschwinglicher als in Istanbul. In dem Viertel in Königswinter hatte er mit Spaniern, Portugiesen, Italienern und natürlich mit Deutschen zu tun, dort wohnten nur wenige türkische Leute. »Man hat mehr von anderen Nationalitäten mitbekommen.« Die Nachbarn, ein älteres deutsches Ehepaar, denen er öfters beim Einkaufen oder anderen Arbeiten half, waren wie Großeltern für ihn.

In diesem Jahr wollte er zum ersten Mal wieder nach Deutschland reisen. Doch weil seine Frau zum zweiten Mal schwanger ist, wurde die Reise verschoben, auf den Herbst nächsten Jahres. Auf das Weinfest freut er sich schon. Und auf die ganz banalen Dinge: »Ich will die Bäume, die Schule, die Straßen, alles sehen.«

Osman Murat Ülke war 15 Jahre alt, als seine Eltern ihn im Jahr 1985 in die Türkei schickten. »Es wurde nicht darüber geredet, es wurde mir eröffnet, dass ich fahren müsse.« Aus Pforzheim wegzugehen, bedeutete einen Schock für ihn. Gerade begann er, sich für Politik zu interessieren, und machte bei einer Schülerzeitung mit. Er schrieb Geschichten, sah sich bereits als Schriftsteller. In der Türkei ging ihm das alles verloren. Weil der Vater auf »Integration« bedacht war, wurde in seiner Familie vorwiegend Deutsch gesprochen, in Deutschland bleiben sollten die Kinder dennoch nicht. Zurück in der Türkei, sei er nicht einmal in der Lage gewesen, sich ein Eis zu kaufen – eine Geschichte, die er gern in diesem Zusammenhang erzählt, wie er sagt. Während der ersten Jahre, die er im Internat verbrachte, litt er an Depressionen.

Dann entschied er sich, wieder politisch tätig zu werden, und zwar in der Türkei und konsequent. Während des Studiums in Antalya unterstützte er eine linksradikale Zeitschrift sowie diverse Initiativen. Später gründete er in Izmir einen antimilitaristischen Verein, verweigerte den Militärdienst und saß dafür zwei Jahre im Knast. Deutschland bereiste er seither mehrfach, besuchte verschiedene Städte, blieb auch einmal für mehrere Monate. »Das war zum Teil befremdlich. Für Menschen in Deutschland scheint es viel selbstverständlicher zu sein, dass die eigenen Bedürfnisse Priorität haben.« An den Türken hat er auch seine Kritik, »aber ich habe mich daran gewöhnt«. Heute lebt er von sporadischen Übersetzungsaufträgen für politische Projekte. »Ich bin nie vollständig hier angekommen, aber ich gehöre auch nicht mehr dorthin.«

Für Arzu Yigiter war der Rassismus, den auch Osman in Deutschland kennen lernte, so unerträglich, dass sie ihre Familie Anfang der achtziger Jahre zum Umzug in die Türkei drängte. »Rückkehr« sei das falsche Wort – sie wurde in Deutschland geboren und lebte in Frankfurt am Main, bis sie 17 Jahre alt war. »Es war schrecklich. Ich war die einzige Türkin in meiner Klasse in der Realschule. Die Kinder schrieben an die Tafel: ›Wir werden die Ausländer verbrennen wie die Juden.‹« Ihr kleiner Bruder hatte es leichter mit seinen blonden Haaren, er wäre gern in Deutschland geblieben. »In der Türkei galt ich wieder als Ausländerin.« An deutsche Verhältnisse gewöhnt, empfand sie Istanbul als »Chaos«: »Hier braucht man Geld und Vettern, um etwas zu erreichen.« Bereut hat Arzu dennoch nichts. Mit den Jahren lebte sie sich ein, sie studierte Germanistik und unterrichtete Deutsch. Heute arbeitet sie als Grundschullehrerin, ist verheiratet und hat ein kleines Kind.

Wenn sie nicht gerade als Innenarchitektin tätig ist, verbringt Sebnem Öztürk ihre Zeit im modern eingerichteten Kaffeehaus am Tünnelplatz, dessen Miteigentümerin sie ist. Vier Jahre war sie alt, als ihre Familie im Jahr 1969 nach Deutschland ging. Inzwischen wohnt die Mutter wieder in Izmir, der Vater, ein pensionierter Beamter, pendelt zwischen München und Izmir, »weil er sich hier nicht mehr integrieren kann. Das ist meine Interpretation.«

Kaum hatte sie einen deutschen Pass bekommen, beschloss Sebnem, für eine Weile in die Türkei zu gehen, die sie nur von Urlaubsreisen kannte. Sechs Monate waren geplant, aber dann bekam sie einen Arbeitsauftrag. »Seitdem bin ich hier.« In einer anderen türkischen Stadt zu wohnen, kann sie sich nicht vorstellen, zurückzukehren ebenso wenig. »Wenn du eine Weile in Istanbul gelebt hast, kommt dir München wie ein Kurort vor.«

Sie hatte einen guten Job dort, als freie Mitarbeiterin in einem Architekturbüro. »In Deutschland ist es angenehmer zu arbeiten. Jeder ist bereit, Verantwortung zu übernehmen, und kann entscheiden, was geht und was nicht. Hier sagen die Handwerker bei allem: ›Klar. machen wir‹, und dann stellt sich heraus, dass es gar nicht geht.« Aber Deutschland macht sie »depressiv«. »Alles ist grau in grau und so geregelt. Die Deutschen wollen es immer allen Recht machen. Um die richtige Fahrkarte in München zu kaufen, braucht man ein Studium, so ausgetüftelt ist das System.«

Sebnem ist verheiratet und hat ein Kind. Ihren Lebensstandard konnte sie halten. »Ich habe mich aber auch was getraut in meiner Euphorie damals.« Sie erzählt von der Wohnung im heruntergekommenen Stadtteil Galata, die sie mit geliehenem Geld kaufte, obwohl ihre türkischen Freunde nur mit dem Kopf schüttelten. Mit der Aufwertung Galatas stieg auch der Wert der Wohnung, die sie nach und nach renovierte. »Man darf nicht zu viel mit Deutschland vergleichen. Dort hast du deine geregelten Arbeitszeiten, Kranken- und Rentenversicherung. Wer daran festhält, tut sich schwer hier.« Sie ist überzeugt, dass gerade die jungen Leute, die im Ausland studiert haben, die Gesellschaft in der Türkei verändern können. »Dass ich als Frau auf der Baustelle arbeite, das trägt dazu bei.«