Den Großen aufs Auge

Die internationalen Reaktionen auf die Flutkatastrophe in New Orleans konnten ihren Antiamerikanismus nicht verhehlen. von horst pankow

Am 12. September bekam Jake Walles, US-Konsul in Jerusalem, Besuch von Rafik el-Husseini, Nachrichtenagenturen zufolge »Bürodirektor des Palästinenserpräsidenten«. Husseini war mit dem nicht alltäglichen Anliegen erschienen, dem Repräsentanten des »großen Satans« einen Scheck über 10 000 US-Dollar zu überreichen. Dessen Verwendungszweck sei es die »Solidarität der palästinensischen Flüchtlinge mit den amerikanischen Flüchtlingen zu demonstrieren.«

Gemeint waren die etwa 140 000 US-Amerikaner, die in Folge des Hurrikans Katrina obdachlos geworden waren. Auf sie umgelegt, ergibt die Spende pro Kopf den Betrag von ca.7 Cent. Die bescheidene Summe sollte nicht über mögliche politische Implikationen der Donation täuschen: Der Status eines palästinensischen Flüchtlings ist vererbbar, und wenn sich die obdachlosen Hurrikanopfer Mühe gäben, könnten sie ihre Zahl vielleicht wie ihre palästinensischen Flüchtlingskollegen in wenigen Jahren mehr als versiebenfachen und stellten so eine im Polit-Business nicht zu vernachlässigende Größe dar.

Auch sollte wohl die Bezeichnung »Flüchtlinge« darauf verweisen, dass deren Elend ein politisch produziertes sei, also auf das Konto des »großen Satans« gehe. Eine Einschätzung, die für die hierzulande zahlreichen wohlwollenden Beobachter des Islam auf den sich entfaltenden Pluralismus in der islamischen Welt verweisen dürfte. Hatte doch kurz zuvor noch ein hoher Beamter des kuwaitischen Ministeriums für religiöse Stiftungen in der Zeitung Al-Siyassa den Hurrikan als »Soldaten Allahs« gelobt, ausgeschickt, um die Ungläubigen zu strafen.

Erwähnenswert ist unter den bizarren Reaktionen auf die Katastrophe im Südosten der USA auch das Angebot des gerade zum Staatschef Albaniens gewählten Sali Berisha, albanische Hilfstrupps in die Katastrophenregion zu entsenden. Erwähnenswert wegen des offenkundigen Vorbilds seiner Intervention: Deutschland war es gelungen, die Zustimmung der USA zum Einsatz des Technischen Hilfswerks in der Flutregion zu erlangen, was eine Aufwertung der europäischen Vormacht darstellt.

Trotzdem eine ungern gewährte Hilfeleistung. War man hierzulande doch der Meinung, die Katastrophe sei »hausgemacht« wegen einer »verfehlten Klimapolitik«, außerdem seien die USA als Supermacht wohl in der Lage, »sich selbst zu helfen«. Dies äußerten mehrheitlich die von Demoskopen zu ihrem Spendenverhalten befragten Deutschen. Hatten sie es zu Jahresbeginn nach der Tsunami-Katastrophe in Südostasien zum »Spendenweltmeister« mit einem sensationellen Aufkommen von 7,2 Millionen Euro in einer Woche gebracht, machten sie nun im gleichen Zeitraum nur noch 174 000 Euro locker. Der grüne Dosenpfandminister frohlockte: »Anzeichen, dass Bush nicht nur der Gegenwind des Hurrikans Katrina ins Gesicht weht, mehren sich.«

Deutsche Massenmedien berauschten sich an »apokalyptischen Bildern«. Täglich wurde auf den Titelseiten eine steigende Zahl von Todesopfern prognostiziert. Waren es zunächst noch Hunderte, dann Tausende, meldete die Süddeutsche Zeitung am 5. September: »Durch die Flutkatastrophe sollen rund 10 000 Menschen ihr Leben verloren haben.« Das Neue Deutschland witterte »Todesgeruch über New Orleans« und behauptete: »Im gesamten Katastrophengebiet wird mit mehreren tausend Todesopfern gerechnet.«

Als das reale Ausmaß der Schäden sichtbar wurde, kamen die Dementis als schlecht geheuchelte Erleichterungsseufzer daher: »Weniger Opfer in US-Südstaaten als befürchtet« o.ä. waren die im Vergleich zu den Horrormeldungen miniaturhaft ausgefallenen Beiträge im Kellerbereich der Tageszeitungsseiten betitelt. Am 17. September hatte die von den US-Behörden registrierte Zahl der Toten die erschreckende Marke von 791 erreicht, war aber weit unter der in Deutschland phantasierten zurückgeblieben.

Dort hatte man bereits seit Tagen ein neues Thema gefunden: rassismusbedingte Armut. Beliebtes Thema aller, die vom Kapitalismus nicht reden wollen, können oder dürfen. Auch der US-Präsident hatte sich inzwischen dieses Themas bemächtigt. George W. Bush sagte: »Wir alle haben im Fernsehen gesehen, dass es auch eine tiefe, hartnäckige Armut in dieser Region gibt. Diese Armut hat ihre Wurzel in einer Geschichte der Rassendiskriminierung, die Generationen von den Möglichkeiten Amerikas abgeschnitten hat.« Was werden deutsche Berufene darauf wohl erwidern? Genau das.