Den Kleinen aufs Maul

Die Berichterstattung nach dem Hurrikan war vor allem gekennzeichnet von Ressentiments gegen Afroamerikaner. von gaston kirsche

Die Fotos nach dem Hurrikan Katrina waren prägnant. Man betrachte drei Bildunterschriften aus der Fotostrecke unter dem Titel »Machtlos gegen Plünderungen« aus dem stern genauer. Unter dem ersten Foto ist zu lesen: »Die Besitzer des Getränkeladens verkaufen ihre Waren nur noch aus dem Fenster – aus Angst vor weiteren Plünderungen.« Unter dem zweiten: »Viele Bewohner stehen stundenlang an, um Wasser und Lebensmittel zu kaufen.« Und unter dem dritten: »Dieser Plünderer hat sich den Kofferraum voll Bier geladen.« Die Preisfrage aber lautet: Welche Hautfarbe haben die Menschen auf den ausgesuchten Fotos? Auf dem ersten sind Weiße, die Angst vor Plünderern haben, zu sehen, auf dem zweiten Schwarze und Weiße beim Einkaufen, und auf dem dritten Schwarze beim Plündern.

Auf dem nächsten Bild sind vier weiße Uniformierte mit einer Maschinenpistole im Anschlag auf einem Schützenpanzer zu sehen, die Unterzeile erklärt: »Das Militär muss nicht nur Menschen retten, sondern auch die Läden vor Plünderung schützen.« Auf diesen Fotos wird die rassistische Segregation reproduziert. Weiße tragen Verantwortung, Schwarze, kaum dass sie unbeaufsichtigt sind, tragen Waren aus den Läden, ohne zu bezahlen. »Ein starker Sturm und die Ordnung bricht zusammen«, lautet entsprechend die Unterschrift zu einem Foto, auf dem drei Schwarze zu sehen sind, die mit vollen Tüten durch eine Straße gehen.

In der deutschen Berichterstattung über die Tage nach dem Hurrikan in New Orleans gab es zwei sich ergänzende Szenarien: Horden von schwarzen Gesetzlosen einerseits, hilflose schwarze und einige weiße Opfer andererseits. Es handelt sich um die klassischen rassistischen Zuschreibungen: Schwarze bilden entweder kriminelle Banden oder sind bedauernswerte Objekte weißer Sozialbetreuung.

In der Welt wurde in dem Artikel »Mogadischu am Mississippi« ein Bedrohungsszenario aufgebaut: »Wie sehr die Szenen der Anarchie marodierender Schwarzer im Fernsehen Urängste der Weißen aufstacheln, ist kaum zu überschätzen (…) Vergewaltigende, brandschatzende, mordende schwarze Mobs tanzen durch den nationalen Alptraum Amerikas (…) Schwarze gegen Schwarze, auf grausame Art, die Wahnsinnigen vorbehalten ist (…) Unter dem dünnen Firnis aus Konvention und Kultur sind wilde Seelen, denen Unrecht widerfuhr.«

Wenn in Artikeln doch einmal Bewohner und Bewohnerinnen von New Orleans zu Wort kommen, so sind dies in der Regel Weiße. Derzeit überwiegen die Texte über den Wiederaufbau und die Rückkehr in die Stadt. Auch hier wiederholt sich das bekannte Muster: Weiße erscheinen als Individuen, Schwarze dagegen als amorphe Masse; individuelle Tatkraft und das Ärmelhochkrempeln stehen gegen die kollektive Lethargie und das Gejammer. Der Text »New Orleans beginnt wieder zu atmen« auf Spiegel-online ist mit vier Fotos bebildert: Dreimal sind weiße Geschäftsleute zu sehen, einmal ein Arbeiter mit einer Atemschutzmaske. Zitiert werden auschließlich weiße so genannte Selfmademen.

Die deutsche Berichterstattung über New Orleans war zum Großteil von einem Antiafroamerikanismus gekennzeichnet, der offensichtlich beim Anblick von Menschen mit schwarzer Haut abgerufen wird. Antiafroamerikanismus wurde auf vielfältigste Weise reproduziert, da nicht zu übersehen war, dass die Mehrheit der Opfer des Hurrikans der schwarzen Unterklasse angehören und Ausgegrenzte sind.

Sicherlich schwang immer auch etwas Antiamerikanismus mit, etwa wenn das Katastrophenmanagement kritisiert wurde. In Deutschland sei so etwas undenkbar, die Hilfeleistung über Tage hinweg zu unterlassen, hierzulande gebe es schließlich keine »Rassenfrage«, sondern eine Nation, die bei Überschwemmungen zusammenstehe wie ein Mann, und außerdem sei der deutsche ein tüchtiger Staat.

In dem ideologischen Gebräu zu New Orleans bildet ein manifester Rassismus, der Antiafroamerikanismus, die Basis. Das deutsche Erschauern vor einer Unterklasse rassistisch Ausgegrenzter, die anders als in Deutschland die übergroße Mehrheit der Stadtbevölkerung bildet, wurde zudem begleitet von der deutschen Empörung, dass in den USA ja wohl alles drunter und drüber gehe, weil die Amerikaner sich mit dem Krieg im Irak übernommen hätten.