Die Konservativen haben den Hut auf

Bei den polnischen Parlamentswahlen können rechtskonservative Parteien mit einer deutlichen Mehrheit rechnen. Die sozialdemokratische Regierungspartei kommt mit Glück auf zehn Prozent. von oliver hinz

Das Markenzeichen von Jan Rokita ist sein altmodischer weißer Hut. Der 46jährige Krakauer gilt als Favorit für das Amt des polnischen Premierministers. Seine Parole »Nizza oder der Tod« machte den Fraktionschef der konservativen Bürgerplattform (PO) vor zwei Jahren europaweit als Gegner des EU-Verfassungsentwurfs bekannt. Bei der Parlamentswahl am kommenden Sonntag deuten alle Umfragen auf einen klaren Sieg der rechtspopulistischen Partei »Recht und Gerechtigkeit« (PiS) und der Bürgerplattform hin, die gemeinsam die Regierung stellen wollen. Möglicherweise erreichen sie zusammen sogar eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament.

Rokita gibt inzwischen zwar nicht mehr den EU-Skeptiker, doch nimmt er weiterhin kein Blatt vor den Mund. Jüngster Anlass war der von Russland und Deutschland beschlossene Bau einer Ostsee-Gaspipeline zwischen beiden Ländern. Die Pipeline wird Polen noch abhängiger von Russland machen. Bislang hängen Deutschland und Polen an derselben russischen Pipeline, so dass das Erdgas nicht so einfach als Druckmittel gegen Polen eingesetzt werden kann. Als »unverschämt« bezeichnete Rokita es daher, dass Bundeskanzler Gerhard Schröder die Einwände Polens einfach abkanzelte. Dreist hatte Schröder bei einer Wahlkampfrede am 8. September in Dortmund gesagt, er müsse sich öffentlich über den polnischen Präsidenten Aleksander Kwasniewski »beschweren«, weil dieser den Pipeline-Vertrag kritisiert und Angela Merkel aufgefordert hatte, ihn rückgängig zu machen. Schröder spielte wieder einmal auf der nationalistischen Klaviatur: »Es kann nicht angehen, dass Deutsche ihre Interessen nicht selbstbewusst vertreten können. Dafür steht der deutsche Bundeskanzler. Energiepolitik wird in Berlin entschieden und nirgendwo anders.«

Umso mehr war das rechte polnische Lager über das gute Abschneiden der SPD bei der Bundestagswahl enttäuscht. Bei einem klaren Sieg der Union war erwartet worden, dass die neue Bundesregierung größere Rücksichten auf die Interessen Polens nehmen würde, wie es Angela Merkel vor einem Monat in Warschau versprochen hatte. Der frühere Außenminister Wladyslaw Bartoszewski äußerte sich jedoch positiv über eine große Koalition in Deutschland: CDU und CSU würden den Antiamerikanismus der SPD im Zaun halten und die Sozialdemokraten dem Geschichtsrevisionismus der Union einen Riegel vor schieben.

Polnische Meinungsforschungsinstitute sehen die PO, das polnische Pendant zur CDU, bei 32 bis 40 Prozent der Stimmen. Im Wahlkampf wirbt sie mit dem Slogan »Dreimal 15 Prozent«, der für die Senkung der Mehrwertsteuer, der Einkommenssteuer und der Gewerbesteuer steht. Sie macht sich für einen wirtschaftsliberalen Kurs stark. Moderat tritt die künftige Regierungspartei inzwischen im Konflikt mit den deutschen Vertriebenen auf, die mit Hilfe der »Preußischen Treuhand« Entschädigungen von Polen einklagen wollen. Im August verhinderte die PO, dass das polnische Parlament dafür den 1953 erklärten Reparationsverzicht für den Zweiten Weltkrieg aufhob. Sie bekannte sich allerdings nicht zu der von der russischen Regierung auferlegten Verzichtserklärung, sondern ließ die Abstimmung im Fachausschuss am Quorum scheitern, indem ihre Abgeordneten einfach den Saal verließen. Vor einem Jahr hatte sich Rokita noch für die einstimmig beschlossene Parlamentsresolution stark gemacht, die Verhandlungen mit Deutschland über Kriegsreparationen forderte.

Die antideutsche Rhetorik hat hingegen ihr mutmaßlicher Koalitionspartner, die PiS, beibehalten. Ihre Anführer, die Zwillingsbrüder Jaroslaw und Lech Kaczynski, werfen der Bundesrepublik vor, sie wolle die Geschichte umschreiben und nur noch Juden und Deutsche als Opfer sehen. Peinlich nur, dass Lech Anfang des Monats in einer Rede vor ausländischen Botschaftern deshalb mehrmals Helmut Kohl attackierte und erst später merkte, dass der richtige Adressat Gerhard Schröder gewesen wäre.

Die PiS konterkariert die Wirtschaftspolitik der PO, indem sie für einen starken Staat plädiert. Die Gewerkschaft Solidarnosc beschloss deshalb, für die Präsidentschaftswahlen am 9. Oktober eine Wahlempfehlung für Lech Kaczynski auszusprechen. Lech Walesa, der Gründer von Solidarnosc, kommentierte abfällig: »Die Gewerkschaft soll machen, was sie will, ich hätte ihn nicht unterstützt.« Walesas Sohn Jaroslaw kandidiert bei den Parlamentswahlen für die unternehmerfreundliche Bürgerplattform.

Freuen kann sich die PiS über die überraschende Unterstützung des rechtsextremen und klerikalen »Radio Maryja«, das täglich bis vier Millionen Hörer einschalten. Positiv aufgefallen ist die PiS dem Radio und der dazugehörigen überregionalen Tageszeitung Nasz Dziennik unter anderem, weil die Partei einen stärkeren Gottesbezug in die Verfassung aufnehmen will. Der Chef von »Radio Maryja«, der Mönch Tadeusz Rydzyk, vollzog im Sommer den Kurswechsel nach jahrelanger Werbung für die nationalistisch-klerikale Liga polnischer Familien (LPR): »Der Liga glaube ich keine fünf Sekunden mehr. Die ist ja wie ein Judas, der zum letzten Abendmahl kam.«

Der Vorsitzende der LPR, Roman Giertych, hat sich längst auch in seiner ganz auf ihn zugeschnittenen Partei Feinde gemacht. Der Europa-Abgeordnete Boguslaw Rogalski kehrte im August der LPR den Rücken: »Wir haben die familiäre Partei satt. Ich gebe zu, dass ich Mitglied der Sekte Giertychs war. Ich danke Gott, dass ich eine Erleuchtung erlebt habe, und trete aus der Sekte aus.« Gleichwohl hat die Partei gute Chancen, am Sonntag mit etwa zehn Prozent auf Platz drei zu landen. Giertych, der zumeist alte Leute mit seinen Parolen für sich gewinnt, wirbt allerdings bei seinen Hausbesuchen auch nicht mehr für einen Austritt aus der EU.

Der andere große Populist, Andrzej Lepper, der Parteiführer der Samoobrona (»Selbstverteidigung«), bietet zum Stimmenfang bei Schlagerfesten Bands wie »Ich Troje« auf, die Polen beim Grand Prix d’Eurovision de la Chanson vertrat. Seiner Partei werden fünf bis zehn Prozent prognostiziert.

Polens bisherige Regierungspartei, die sozialdemokratische SLD, wird wohl wieder ins Parlament einziehen. Wegen ihrer vielen Korruptionsskandale kann sie allerdings mit höchstens zehn Prozent rechnen. Der Regierungschef Marek Belka kümmert sich schon um einen Führungsposten bei der OSZE in Paris. Er hat die SLD bereits verlassen und kandidiert für die neue Demokratische Partei, die aber froh sein kann, wenn sie drei Prozent der Stimmen erhält. Dann würden ihr zumindest die Wahlkampfkosten erstattet werden.

In ganz und gar schlechtem Zustand befindet sich die SLD vor der Präsidentschaftswahl, die am 9. Oktober stattfindet. Wlodzimierz Cimoszewicz, der bis Januar Außenminister und seither Parlamentspräsident war, zog vor einer Woche seine Präsidentschaftskandidatur wegen einer Aktienaffäre zurück. Damit steht die SLD ohne Kandidaten da. Cimoszewicz und der Vorsitzende der SLD, Wojciech Olejniczak, erklärten, sie könnten keinen der übrigen Bewerber wählen. Den in Polen sehr wichtigen Staatspräsidentenposten überlässt die Partei damit kampflos den Konservativen. In diesem Fall Donald Tusk, dem Vorsitzenden der PO.