Keine Atempause

John Sandford produziert Krimis am laufenden Band. rené martens traf den Vielschreiber.

Trotz schönen Großstadtwetters trägt John Sandford einen grauen Anzug und eine Krawatte, und so wirkt der 61jährige weniger wie ein Krimiautor als wie der Boss eines großen mittelständischen Unternehmens. Geschäftstüchtig ist der Gentleman aus Minneapolis allemal. Seine erste Karriere startete er als Journalist – er arbeitete für die Miami Herald Tribune, die noch weitere bekannte Krimiautoren hervorgebracht hat, etwa Edna Buchanan und Carl Hiaassen –, aber Ende der achtziger Jahre merkte er, »dass ich mir es nicht leisten konnte, meinen Kindern das College zu finanzieren«.

Journalisten, erläutert Sandford, stünden in den USA auf einer Einkommensstufe mit Polizisten und Lehrern, die Bezahlung sei »okay«, aber »nicht gut«. Er verdiente damals 50 000 bis 60 000 Dollar pro Jahr – obwohl er immerhin Pulitzer-Preisträger war –, und deshalb »entschied ich mich, es als Fiction-Autor zu versuchen«.

Eine kühle Begründung für einen kühnen Schritt. Aber die Karriere- und Finanzplanung des ehemaligen Polizeireporters ging auf. Die Reihe mit Romanen um den Polizei-Detective Lucas Davenport, in der bisher 16 Bücher erschienen sind, erreichte in den USA eine Millionenauflage; mit einer Krimireihe um den Computer-Hacker Kidd hat Sandford, der bürgerlich John Camp heißt, noch ein zweites Standbein. Das Pseudonym musste her, weil beide Reihen 1989 fast gleichzeitig starteten.

Der Erfolg der Davenport-Reihe ist unter anderem auf den Wiedererkennungscharakter der Titel zurückzuführen. Stets kommt das Wort »prey« (Opfer) vor: »Kalter Schlaf«, gerade auf Deutsch erschienen, heißt im Original »Hidden Prey«, der aktuelle Roman in den USA »Broken Prey«.

Sandfords Held ist ein Gegenmodell zu den meisten Krimipolizisten. Diese sind oft einsam und hadern mit ihrem Job und ihrer Bezahlung, Davenport dagegen ist ein Porsche fahrender Womanizer, der keine finanziellen Sorgen hat, weil ihm einst eine erfolgreiche Softwarefirma gehörte. »Vor allem mag er seinen Beruf, er mag es, Mörder zu jagen, wie viele Polizisten, die ich getroffen habe«, sagt sein Schöpfer.

Bei der Konstruktion seiner Frauenfiguren denkt Sandford immer auch daran, dass »die meisten meiner Leser weiblich sind«. Deshalb wolle er »Charaktere schaffen, mit denen Frauen sympathisieren können«. Auch die kriminellen, gewalttätigen Frauen sind stets attraktiv. So hat die in mehreren Romanen auftauchende Serienkillerin Clara Rinker ebenso Identifikationspotenzial wie in »Kalter Schlaf« eine durch Drogen in die Obdachlosigkeit abgestürzte ehemalige Anwältin, die in die turbulenten Nachwehen des Kalten Kriegs gerät und dabei die märchenhafte Chance bekommt, sich aus dem Elend zu ziehen. »Ich sitze manchmal da wie ein Marketingexperte und denke darüber nach, was dem Leser gefallen könnte«, gibt Sandford zu und klingt eher wie der Produzent einer Daily Soap. Andererseits: Das Kino, das Fernsehen und die Popmusik bringen reichlich ausgeklügelte Massenware hervor, die teilweise sehr gut unterhält – warum soll es so etwas in der Literatur nicht geben? Sandfords Stärke ist sein rasantes Tempo, oft überschlagen sich die Ereignisse, wobei die Plots zwar nur bedingt realistisch, aber auch nie eskapistisch sind.

22 Romane hat er seit 1989 geschrieben, aber Ausruhen kommt nicht in Frage. »Prey« sei ein Markenname, sagt er, und wer diese Marke kaufe, erwarte zu einer bestimmten Zeit des Jahres, dass ein neuer Roman kommt. »Ich kann nicht zwei Jahre pausieren«, sagt Sandford. »Das wäre so, als würde Coca Cola zwei Jahre die Produktion einstellen und Pepsi den Markt überlassen.«

Hinzu kommt, dass einige direkte Konkurrenten auf dem Mainstream-Thriller-Markt weitaus größere Player sind. Die Schriftsteller, die die Devise, dass der Markt permanent zu penetrieren sei, am stärksten verinnerlicht haben, dürften James Patterson und Tom Clancy sein. Zwar ist auf vielen ihrer Bücher jeweils ein Co-Autor vermerkt, doch beide arbeiten in der Regel mit mehreren Assistenten; hinter den populären Schriftstellernamen verbirgt sich fließbandartiges Teamwork. Deshalb konnten 2004 unter dem Label »James Patterson« gleich fünf neue Bücher erscheinen (Paperbacks nicht mitgerechnet), und auch in diesem Jahr sind es bereits wieder fünf.

»25 bis 40 Millionen Dollar jährlich« verdiene Patterson, schätzt Sandford. Die Diversifizierung des Produkts »Tom Clancy« ist noch weiter fortgeschritten, zumal mit seinem Namen auch Computerspiele verkauft werden. Aber nicht überall, wo Clancy draufsteht, ist auch wirklich Clancy drin. Das gilt etwa für die Bücher aus der Reihe »Tom Clancy’s Op-Center«, die auf einer US-amerikanischen Fernsehserie basieren. Wird das industrialisierte Romanschreiben noch mehr Verbreitung finden? »Ich hoffe nicht«, sagt Sandford. Dabei praktiziert er selbst eine Light-Variante, hat er doch Tochter und Sohn eingespannt, um für zwei Bücher der »Kidd«-Reihe zu recherchieren.

Der Einfall, Romane in einem größeren Team zu produzieren, ist überraschend alt, und bei der Erinnerung daran muss sogar der distinguierte Mister Sandford schmunzeln. Ende der sechziger Jahre überredete Mike McGrady, Redakteur der Zeitung Newsday, zwei Dutzend seiner Kollegen, ein Kapitel eines Romans zu schreiben. Die Grundidee war, eine Parodie auf miese Pornoliteratur zu fabrizieren. »Naked came a stranger«, in der Endabmischung auf 14 Kapitel eingedampft, erschien unter dem Pseudonym »Penelope Ashe«, und auf dem Umschlag war »die sehr gut aussehende Schwägerin eines Journalisten abgebildet«, wie Sandford sich erinnert. Das Wissen, dass gar kein Autor im klassischen Sinne am Werk war, störte das Publikum nicht, im Gegenteil: Nachdem die Presse die Entstehungsgeschichte enthüllt hatte, stiegen die Verkaufszahlen rasant an und das Buch wurde zum Bestseller.

John Sandford: Kalter Schlaf. Goldmann, München 2005, 448 Seiten, 8,95 Euro