Siemens wird fit für mehr

Um Bereiche des Konzerns, die nicht die gewünschten Gewinne erzielen, profitabler zu machen, sollen die Arbeiter bei Siemens auf Löhne verzichten. Auch Massenentlassungen drohen. von steffen falk

Verspüren Sie auch diesen Tatendrang, wenn es programmatisch »Fit4More« heißt? Sich für den Wettbewerb »fit« zu machen, verlangt der Siemens-Konzern unter diesem Titel vorrangig von seiner Belegschaft. Auch nach der Bundestagswahl heißt es, wer hätte das gedacht: Weniger ist mehr.

Der Elektronikkonzern ist mustergültig nicht nur dafür, dass hiesige Großunternehmen und Vielbeschäftiger dem auf sie angewiesenen Standort ihre Kostenrechnung immer rasanter präsentieren, sondern auch für das Verständnis, das ihnen dabei entgegengebracht wird. Als Klaus Kleinfeld, der Vorstandsvorsitzende der Siemens AG, am Montag vergangener Woche das Sanierungskonzept für die drei so genannten Verlustbereiche des Konzerns vorstellte, wusste er, wie man eine um das Allgemeinwohl besorgte Öffentlichkeit vor vollendete Tatsachen stellt. Schmerzlich, aber unumgänglich sei die Sanierung, sagte Kleinfeld. Bei den drei Bereichen handelt es sich um Siemens Business Services (SBS), Communications (Com) und Logistic & Assembly Systems (L&A).

Allein beim IT-Dienstleister SBS will man bis zum Jahr 2007 die Kosten weltweit um 1,5 Milliarden Euro senken »und damit die Basis für weiteres gesundes Wachstum schaffen«, wie es in einer Pressemitteilung hieß. Von harten Einschnitten ist die Rede, vor allem bei den Löhnen soll gespart werden. So sollen allein bei SBS in den nächsten zwei Jahren 2 400 Stellen abgebaut und der IT-Bereich der Com nach Indien ausgelagert werden. Der Logistikbereich L&A soll aufgelöst, den dort Beschäftigten »soweit möglich Angebote zur Weiterbeschäftigung in anderen Bereichen unterbreitet« werden.

Alle Sparten sollen bis 2007 wieder die gesetzten Renditeziele erfüllen. Bilanziert werden bekanntlich Quartalswerte. Zum Beispiel die Com: Nach zwei Quartalen mit Verlusten im laufenden Geschäftsjahr kann die Firma wieder einen kleinen Gewinn vor Steuern und Zinsen vorweisen. Für 2004/2005 wird ein Gesamtgewinn von 201 Millionen Euro erwartet, das wären 1,2 Prozent Wachstum und somit erheblich weniger als die von Kleinfeld vorgegebenen acht bis elf Prozent.

Die Gewerkschaft übt sich einmal mehr darin, das Gewinninteresse des Unternehmens als vorrangig anzuerkennen, bestreitet aber die Notwendigkeit des Personalabbaus. So behauptete der Vorsitzende der IG Metall, Jürgen Peters, dass Siemens »kein Sanierungsfall« sei und bestehende Probleme auf Fehler des Managements zurückzuführen seien. Der Gewerkschaftsfunktionär macht sich Gedanken darüber, wie das Unternehmen richtig hätte wirtschaften sollen, so dass es hinterher, nach erzieltem Geschäftserfolg, nicht zu den unnötigen Einsparungen hätte kommen müssen.

Die Krise ist ein folgerichtiges Ergebnis dessen, dass Unternehmen in ihrem per se grenzenlosen Streben nach wachsendem Gewinn auf den Weltmarkt treten und sich in verschärfte Konkurrenz begeben. Probleme habe die Kommunikationssparte im Absatz von Netzwerken und Schnurlostelefonen, sagt die Unternehmensleitung von Siemens. Irgendwann ist die zahlungsfähige Menschheit eben mit Telefonen und intelligenten IT-Netzwerken versorgt, zumal auch die Konkurrenz nicht ruht. Der internationale Wettbewerb tobt daher nicht nur um die Absatzmärkte, sondern daran anschließend vor allem auch um die geringsten Löhne.

Eine Gelegenheit, sich als verständiger Unternehmensberater zu betätigen, hatte Peters in den Verhandlungen zwischen dem Management, dem Gesamtbetriebsrat und der IG Metall. Da die Vertreter der Lohnabhängigen offensichtlich nicht als »Blockierer« und »Bremser« des Wachstums bezeichnet werden wollten, konnte bereits am Donnerstag voriger Woche eine einvernehmliche Einigung für Siemens Com präsentiert werden. Die Arbeitszeit im Servicebereich wird von 35,8 auf 30 Wochenstunden mit entsprechenden Lohnkürzungen verringert und eine Altersteilzeit angeboten.

Nur diejenige Zeit soll bezahlt werden, in der die Arbeiter auch wirklich anwesend sind. Die dementsprechend sinkende Lebensqualität ist der Preis, den sie dafür bezahlen, um überhaupt noch einen Arbeitsplatz zu haben, sich den Lebensunterhalt zu verdienen und um »ihren« Betrieb wieder »weltmarkttauglich« zu machen. Außerdem soll eine so genannte betriebsorganisatorisch eigenständige Einheit (BEE) gegründet werden, in der Com-Arbeiter umgeschult und an andere Siemens-Einheiten weitervermittelt werden sollen.

»Dieses Ergebnis zeigt, dass es Alternativen zum fantasielosen Beschäftigungsabbau gibt und unsere Tarifverträge genau diesen Spielraum bieten«, sagte anschließend der stellvertretende Vorsitzende der IG Metall, Berthold Huber, der auch dem Aufsichtsrat von Siemens angehört. Die verantwortungsvollen Gewerkschaftsfunktionäre gestalten einmal mehr einen Stellenabbau sozialverträglich mit und schützen so die Gesellschaft vor den Opfern ihrer Wirtschaftsweise.

Die Hoffnung auf das Verständnis dieser Opfer ist nicht unbegründet. Ein Protest gegen das konstruktive Vorgehen des Gesamtbetriebsrats ist nicht zu erwarten, von organisierter Gegenwehr ganz zu schweigen. Einer ersten Stellungnahme des unabhängigen NCI (Network for Cooperation & Initiative) zufolge herrsche allerdings unter vielen Kollegen Verwirrung und auch vereinzelter Unmut nach der von der IG Metall bekannt gegebenen »Einigung zwischen Geschäftsleitung und IGM«. In dem Internet-Diskussionsforum der unabhängigen Gruppe von Beschäftigten beschweren sich manche vor allem über das Auftreten der offiziellen Interessenvertreter. »Ich wusste gar nicht, dass Verhandlungen aufgenommen wurden«, wird ein Mitarbeiter zitiert.

Alle beschlossenen Maßnahmen stehen im übrigen auch weiterhin permanent auf dem Prüfstand. »Die Wirkung der Vereinbarungen« müsse genau beobachtet werden, »um gegebenenfalls reagieren zu können«, sagte Eberhard Dombek, ein Pressesprecher von Siemens, der Jungle World. »Nur erfolgreiche Geschäfte sichern und schaffen Arbeitsplätze«, behauptet Klaus Kleinfeld. Die Sanierung soll all diejenigen »Fit4More« machen, die fälschlicherweise davon ausgehen, dass mit dem wachsenden Erfolg des Unternehmens die Arbeitsplätze sicherer werden. Zeigt das aktuelle Beispiel doch wieder einmal, dass ihr Lebensunterhalt in einem marktwirtschaftlichen Betrieb beständig nur als negative Größe vorkommt.

Bei SBS werden so genannte betriebsbedingte Kündigungen ausdrücklich nicht ausgeschlossen. »Wir werden den Abbau gemeinsam mit den Arbeitnehmervertretern so sozialverträglich wie möglich gestalten«, behauptete Thomas Ganswindt aus dem Vorstand von Siemens in einem Rundschreiben an die SBS-Beschäftigten. Auch dieses Versprechen soll beruhigen. Wer sonst, außer der Betrieb selbst, sollte eigentlich Kündigungen in dieser Größenordnung veranlassen? Wenn das Vorhaben gelingt, dürfen sich die dann Entlassenen glücklich schätzen, der Gesellschaft nicht zur Last zu fallen.