Korsaren vor Korsika

Bei den Protesten gegen die Privatisierung der Schifffahrtsgesellschaft SNCM spielt die nationalistische korsische Gewerkschaft eine wichtige Rolle. von bernhard schmid

Für spektakuläre Bilder sorgten vorige Woche die Seeleute der in Marseille ansässigen Schifffahrtsgesellschaft SNCM. 40 Matrosen hatten das Schiff »Pascal Paoli« am Dienstag aus dem Marseiller Hafen in die nordkorsische Hafenstadt Bastia »entführt«. Einen Tag später stürmten Mitglieder des Sondereinsatzkommandos GIGN das Schiff. Die Angehörigen der Polizeitruppe, die dem Verteidigungsministerium untersteht, seilten sich aus Helikoptern auf das Deck ab und legen den »Piraten« Handschellen an. Die meisten von ihnen wurden inzwischen wieder entlassen. Die Bevölkerung auf Korsika empfing die Freigelassenen mit großem Jubel.

Die Hafenarbeiter und Seeleute der Schifffahrtsgesellschaft wehren sich gegen die drohende Zerschlagung der SNCM. Die Gesellschaft, die seit Jahrzehnten die Fährlinien nach Korsika und Algerien betreibt, schreibt seit der Öffnung ihres Sektors für private Konkurrenz im Jahr 1996 rote Zahlen. Mitverantwortlich dafür ist der französische Staat, dem bisher 100 Prozent der Anteile gehörten. Er verpflichtete die SNCM dazu, Schiffe nur von französischen Werften zu kaufen. Allerdings gab es keine staatlichen Zuschüsse, als durch die Bevorzugung der französischen Werften höhere Kosten entstanden. Die SNCM hat aber auch höhere Personalkosten als die Konkurrenz, da sie mehr Leute beschäftigt und kämpferische Gewerkschaften für die Einhaltung der Tarifverträge sorgen.

Der ursprüngliche Plan der Pariser Regierung sah vor, die Gesellschaft zu 100 Prozent zu privatisieren und an einen französisch-amerikanischen Investmentfonds zu verkaufen. Dieser plante freilich nicht, die SNCM zu behalten, sondern wollte sie ausschlachten und weiterverkaufen. Wegen des starken Widerstands gegen diesen Plan gab die Regierung am Donnerstag voriger Woche bekannt, sie plane nur noch eine Teilprivatisierung. Dem widersetzen sich nach wie vor die Gewerkschaften. Sie fordern eine staatliche Mehrheitsbeteiligung als Schutz vor Anlegern, die nur an steigender Rentabilität interessiert sind.

Die Auseinandersetzung um die Fährgesellschaft ist allerdings mehr als ein reiner Arbeitskampf. Es geht um das Gefühl, ständig benachteiligt zu werden, das bei einem Teil der korsischen Bevölkerung vorhanden ist. Tatsächlich wurde die Insel zwei Jahrhunderte lang vom französischen Staat vernachlässigt. Auch heutzutage wird der Mythos von der Kolonialsituation von der korsisch-nationalistischen Bewegung, die sich in den siebziger Jahren herausbildete, weiter verbreitet. Die Separatisten träumen von einem »nationalen Befreiungskampf auf Korsika gegen die Kolonialmacht Frankreich«.

Die 40 »Meuterer« gehören der nationalistischen Inselgewerkschaft Syndicat des travailleurs corses (STC, Gewerkschaft der korsischen Arbeiter) an. Dabei sind die korsischen Nationalisten freilich inkonsequent, was ihre ideologischen Prinzipien angeht, denn der aktuelle Arbeitskampf richtet sich gegen den Rückzug des französischen Staats aus der SNCM.

Im September vergangenen Jahres hatten die STC und die anderen Gewerkschaften am Marseiller Sitz der Fährgesellschaft allerdings noch gegeneinander gestreikt. Zunächst hatte die nationalistische korsische Gewerkschaft für die bevorzugte Einstellung von Einwohnern der Insel bei der SNCM gestreikt. Daraufhin riefen andere Gewerkschaften für die Rücknahme dieser »Diskriminierung« und zum Ausstand auf.

Dennoch ist viel versprechend, wie groß die Unterstützung für die Protestierenden bei SNCM inzwischen ist. In den Häfen von Marseille und Sète, aber auch im Ölhafen von Fos-sur-Mer befinden sich seit Tagen die Mitarbeiter im Ausstand. Sie protestieren gegen die Zerschlagung der Fährgesellschaft, aber auch gegen Pläne zur Privatisierung des gesamten Marseiller Hafens.