Lernt begreifen!

Der letzte linke Student XXXVII

Immer muss der letzte linke Student verstehen. Genauer: Der letzte linke Student muss verstehen, was geschehen ist. Und: Der letzte linke Student muss verstehen, was kommen wird. Wenn einer versteht, was war, und zudem versteht, was sein wird: dann nennt man das Analyse. Zumindest: wenn einer ganz und gar versteht, was war und sein wird. Alles andere: nennt man Meinung. Der letzte linke Student jedoch hat keine Meinung. Er hat: Analysen.

Das kommt von Otto Weininger. Otto Weininger wusste: ein starker Mann analysiert. Ein schwacher: meint. Weininger nämlich: war nicht nur ein begnadeter Kritiker. Er war vor allem: ein begnadeter Selbstkritiker. Und erst die Selbstkritik: macht den Mann zum Mann. Und nur ein Mann: handelt. Der letzte linke Student weiß: Selbstkritik wiederum ist das A und O der sozialistischen Parteiarbeit. Otto Weininger selbst: war zwar kein Sozialist. Weil: die Revolution zu spät kam. Aber: Weininger dachte wie ein Sozialist. Das kannst du bei Kraus, Vogel und Freud nachlesen und wo überall noch.

Aktuell nun ist zu verstehen: der neue Kanzler ist eine Frau. Eine Frau aber: ist das Gegenteil von einem Mann. Der Mann, so weiß der letzte linke Student, kann sich in eine Pflanze, einen Topf, eine Frau verwandeln. Jetzt mal: charakterlich betrachtet. Eine Frau dagegen: bleibt eine Frau. Das ist ihr Wesen. Daher allerdings: ist die Frau auch nicht zur Selbstkritik bereit. Das wiederum verhindert: dass sie handeln kann.

Im konkreten Fall nun: beweist die Frau ihre gesamte Schwäche. Denn: sie will Kanzlerin werden. Weil sie: die Wahl gewonnen hat. Dabei: hat sie die Wahl auch verloren. Das verstünde die Frau: wenn sie Dialektik könnte. Dialektik heißt: ein Ding von beiden zwei Seiten betrachten zu können. Es ist: die Vorstufe zur Analyse. Analyse wiederum: ist männlich. Weil: Selbstkritik ist in der Analyse mit enthalten. Heißt: Frauen können Analyse nicht. Quod: erat demonstrandum.

Nun hat aber der letzte linke Student der Frau das Kanzleramt gewünscht. Denn »D. Kanzlerin steht für soz. Kälte. Daran wird zu messen sein, wie warm sozialist. Pol. ist. Daher sollte d. K’in an die Macht kommen. Denn dann wird d. K’in bald mit ihrer Kälte unsere Wärme beweisen. Und die Massen auf den richtigen Pfad treiben.« Diese Sätze stehen schon lange im besonderen Notizbuch. Jetzt jedoch: erkennt der letzte linke Student, dass er falsch analysiert hat. Heute: analysiert er richtig. Doch: er streicht die alten Sätze nicht durch. Denn: er will den Lernprozess verdeutlichen. Qua: Selbstkritik. Daher schreibt er unter den Eintrag: »Fehler in d. Analy.: bei K’in das weibl. Prinzip vergessen. Doch durch d. Frauen kommt Verwirrung in die Verhältnisse. Da Frauen nicht männl. denken, sondern nur Meinungen vertreten. Siehe Weininger.« Das schreibt der letzte linke Student. Doch: ist er dabei: nicht ganz zufrieden. Weil: die Maxime fehlt. Andererseits: zufrieden ist er auch. Denn: ein Lernprozess wird hier veranschaulicht. Und das sogar: beispielhaft. Daher: wäre der letzte linke Student jetzt gern mal tot. Weil: dann würde man seinen Nachlass sichten. Und dabei endlich: sein Genie erkennen. Und auch wir sollten uns heute ruhig einmal fragen, was denn letztendlich von uns übrig bleibt.

jörg sundermeier