Mit viel Tamm Tamm

Künstler protestieren gegen ein geplantes Schifffahrtsmuseum, das die Stadt Hamburg großzügig fördert. von anke schwarzer

Unzählige gesichtslose, weiße Schaufensterpuppen stehen in mehreren Reihen hintereinander, tragen dunkelblaue Marineuniformen. Größtenteils in Glasvitrinen werden mehrere zehntausend Schiffsmodelle aller Art präsentiert – daumengroße bis Zimmer füllende Kriegs- und Frachtschiffe, Segler, Dampfer, Unterseeboote, Zerstörer. Rund 5 000 Gemälde von Schiffen auf tosender See oder in ruhigen Gewässern, 1,5 Millionen Fotografien, 50 000 Konstruktionspläne von Schiffen, Speisekarten berühmter Kombüsen, über 50 Originalbriefe des englischen Admirals Horatio Nelson sowie eine Vielzahl nautischer Geräte, Waffen, mit Hakenkreuzen bestückte Großadmiralsstäbe, Porzellan und Möbel sind zu bewundern. Hier und da grüßen Uniformpuppen von Kaiser Wilhelm II. oder Alfred von Tirpitz, der als Begründer der deutschen Hochseeflotte gilt.

Im Garten des »Wissenschaftlichen Instituts für Schifffahrts- und Marinegeschichte« an der Elbchaussee 277 in Hamburg stehen außerdem Kanonen, Torpedos und Grundminen. Am Eingang hängen drei programmatische Porträts: Da ist Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg, der im 17. Jahrhundert eine eigene Kriegsflotte aufbaute und mit Menschen-, Gold- und Elfenbeinhandel in Westafrika sein Geld verdiente. Neben ihm Otto von Bismarck, ehemals deutscher Reichskanzler, unter dem der deutsche Kolonialismus ab 1884 vorangetrieben wurde. Und schließlich Kaiser Wilhelm II., die Symbolfigur des deutschen Imperialismus. »Weltpolitik als Aufgabe, Weltmacht als Ziel, Flotte als Instrument«, lautete seine Devise.

Die private Sammlung gehört dem Multimillionär Peter Tamm. Der 76jährige ehemalige Leiter des Ullstein-Verlags war bis 1991 Vorstandsvorsitzender des Axel-Springer-Verlags und Besitzer der Verlagsgruppe Koehler-Mittler, die Militaria-Bücher herausgibt. Im letzten Jahr des Zweiten Weltkriegs hatte sich Tamm freiwillig als Seekadett zur Marine gemeldet. Der viel dekorierte und in den besseren Kreisen Hamburgs hoch geschätzte Mann hat nicht nur eine äußerst schlichte, konservativ-autoritäre Gesellschafts- und Staatsauffassung, sondern auch eine »Marinemeise«, wie er von sich selbst sagt.

Für das Produkt dieser »Marinemeise« stellt die Stadt Hamburg nunmehr 99 Jahre lang den 15 000 Quadratmeter großen Kaispeicher B unentgeltlich zur Verfügung. Dazu gibt sie 30 Millionen Euro Steuergelder für das zukünftige »Internationale Schifffahrts- und Meeresmuseum Peter Tamm«. Ein Mitbestimmungsrecht der Stadt bei der Gestaltung der den Nationalsozialismus beschönigenden Schau war im Preis nicht inbegriffen, Tamm kann autokratisch handeln.

Einige Jahre schon liefen die Verhandlungen, im vergangenen Jahr stimmte die Hamburger Bürgerschaft dem Vorhaben zu. Bis Ende 2006 soll der Umbau des Kaispeichers B in der neuen Hafen-City fertig und der Umzug der Exponate abgeschlossen sein. Dann wird in Hamburg das angeblich größte Schifffahrtsmuseum der Welt beheimatet sein. »Das neue Museum wird einen besonderen Akzent in Hamburgs neuem Stadtteil setzen. Mit diesem charakteristischen Anziehungspunkt, der seinesgleichen in der Welt sucht, unterstreicht Hamburg zugleich seinen Anspruch als Metropole«, sagt Finanzsenator Wolfgang Peiner (CDU).

Die Kultursenatorin Karin von Welck (parteilos) findet die Sammlung Tamm »ausgezeichnet«: »Sie ist von seltener Güte und Vielfältigkeit. Und ich freue mich, dass es uns gelungen ist, sie den Menschen der Stadt und ihren Besuchern künftig an so einem traditionsreichen Ort präsentieren zu können.«

Die Fakten sind geschaffen, die Verträge bereits unterschrieben, die Peter Tamm sen. Stiftung hat die Arbeit aufgenommen. Doch langsam beginnt eine Diskussion in der Hamburger Kulturszene und Öffentlichkeit. Vor allem die Broschüre des Autorenkollektivs »Friedrich Möwe« mit dem Titel »Tamm Tamm« lenkte etwas mehr Aufmerksamkeit auf die Museumspläne. Darin heißt es: »Das künftige Tamm-Museum droht durch die vorhersehbare beschönigende Art und Weise, in der die internationale und vor allem deutsche Kriegs- und Rüstungsgeschichte dargestellt werden soll, ein öffentliches Ärgernis zu werden.« Zudem handele es sich bei Tamms Sammlung um »die wohl größte in Hamburg öffentlich zugängliche Ansammlung von Hakenkreuzen«.

Bis Mitte Oktober wollen 121 Künstler die Abgeordneten der Hamburger Bürgerschaft in ihrer Aktion »Künstler informieren Politiker« befragen. Die Hamburger Künstler haben Patenschaften für die Abgeordneten übernommen, schließlich hatten alle vertretenen Parteien – CDU, FDP, Schill-Partei, SPD und GAL – damals dem Projekt zugestimmt, nur einzelne Abgeordnete enthielten sich. Die bildende Künstlerin Cornelia Sollfrank sagt: »Wir haben ihnen unterstellt, dass sie bei der Abstimmung ungenügend informiert waren. Das stellt sich nun als wahr heraus.«

Gleichwohl gibt es in der Bürgerschaft einen Konsens darüber, dass Hamburg dieses Schifffahrtsmuseum brauche. Die Gründe sind mitunter atemraubend: Wilfried Meier, GAL-Abgeordneter, sagte in der kurzen Bürgerschaftsdebatte um die Errichtung des Tamm-Museums im Januar 2004: »Wir sind uns hier im Haus offenbar alle einig: Wenn ein großes Schifffahrts- und Meeresmuseum in Deutschland entstehen soll, gehört es nach Hamburg und nirgendwo sonst hin. Wenn irgendeine Stadt in Deutschland einen praktischen Beitrag dazu geleistet hat, dass praktisch so etwas wie eine Menschheit entsteht durch Handel, durch Verkehr, durch Arbeitsteilung, durch Nachrichten, durch Medien, dann ist wahrscheinlich Hamburg die Stadt, die dazu den größten praktischen Beitrag in Deutschland geleistet hat.«

Es werde nur die Geschichte der Admiräle und Kaiser erzählt, ärgert sich die bildende Künstlerin Hanni Jokinen, die sich ebenfalls an der Befragung beteiligt. »Wo ist der Mensch in der Sammlung, wo die Geschichte von unten?« fragt sie. Das didaktische Konzept des neuen Museums hält sie für völlig veraltet.

Für ihre Kollegin Sollfrank ist das Museum eine »Schande«. Sie kritisiert darüber hinaus die Hamburger Kulturpolitik als neoliberal und sieht in ihr einen »Verfall« fortschrittlicher Kultur- und Kunstauffassungen. Gefördert würden nur noch finanziell risikoreiche Leuchtturmprojekte, etwa die Elbphilharmonie mit 200 Millionen Euro oder eben das Tamm-Museum. Kultur diene nur noch als »Standortfaktor«, um möglichst viele Touristen anzulocken. Gleichzeitig werde die Förderung für Geschichtswerkstätten, Bücherhallen, Frauenkulturprojekte, Filmproduktionen, Medienkunst und kleine Künstlerhäuser stark gekürzt oder sogar komplett gestrichen.

Das Ziel der Künstlerinnen ist es, die öffentliche Diskussion über die Hamburger Kulturpolitik weiter voranzutreiben, die Aktivitäten Peter Tamms genauer unter die Lupe zu nehmen und das Museum in seiner geplanten Form zu verhindern. Sollfrank möchte in ihrem Abgeordnetengespräch auch durchspielen, was wäre, wenn Hamburg sich aus dem abgeschlossenen Vertrag zurückzöge. Unterdessen gibt es in der Hamburger Blinzelbar »Schiffe versenken mit Tamm-Tamm«, eine Fotoausstellung von Judith Haman.

Die Broschüre »Friedrich Möwe: Tamm-Tamm. Eine Anregung zur öffentlichen Diskussion über das Tamm-Museum« ist für fünf Euro beim GNN-Verlag erhältlich.