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Kunst über alles

Berlin. Die deutsche Hauptstadt ist kulturell gesehen ja schon so einiges: die geilste Partystadt der Welt, der führende Popstandort Deutschlands (Popkomm! Nena!) und Kulisse für jeden zweiten hierzulande gedrehten Film. Aber jetzt ist Berlin auch noch die definitiv führende Kunsthauptstadt. Die Spitzenausstellungen und Großmessen drängeln sich inzwischen so sehr, dass man für die Vernissagen in irgendeiner kleinen Galerie gar keine Zeit mehr hat.

Gleich vier Kunstmessen fanden letzte Woche in Berlin statt, das Art Forum Berlin, Preview Berlin, Berliner Liste 2005 und der Berliner Kunstsalon. Da sollte man unbedingt überall gewesen sein. Außerdem konnte man sich monatelang die Füße in der endlosen Schlange der eben beendeten Goya-Ausstellung platt stehen; man kann sich nun den zweiten Teil von Friedrich Christian Flicks Collection im Hamburger Bahnhof antun, bei der Werkschau vom Immendorff vorbeischauen oder sich schon mal auf die demnächst beginnende Picasso-Schau vorbereiten. Diese verspricht den »Pablo« ganz »privat«, was immer das auch genau bedeuten mag. »Pablo und die Frauen« wahrscheinlich, so was in der Art. (aha)

Hollywood zu Hause

»Das Vierte«. Hollywood wollte man sich schon immer mal direkt ins Wohnzimmer holen. Jetzt ist es möglich, Dank dem neuen Fernsehsender. Seit letzter Woche verspricht »Das Vierte« mit dem schönen Slogan »Wir sind Hollywood«, in Deutschland die tollsten Spielfilme und unglaublichsten Soaps rund um die Uhr zu senden. In Wahrheit gibt es zwar eher abgestandene Hollywood-Ware und vor allem Filme, die unsere Eltern bereits in ihrer Jugend gesehen haben, aber so schlimm ist das auch wieder nicht. »Scarface« von Brian De Palma oder Hitchcocks »Psycho« kann man schließlich immer mal wieder sehen. Bloß sind dies Filme, die jeder vernünftige Haushalt längst auf Video oder DVD besitzt und die man sich so auch bequem ohne Werbeunterbrechung ansehen kann. Warum also sollte man sie sich beim Haussender Hollywoods antun? Und Wiederholungen alter Soaps sind auch nicht wirklich aufregend. (aha)

Trend zum Penis

Lecker. Kein Larry-Clark-Film und kein Terry-Richardson-Foto kommt noch ohne erigierte Schwänze an zarten Jungskörpern aus. Der erigierte Penis, der früher die Grenze zwischen Erotik und Porno markierte und direkt den Weg Richtung Schmuddelkram wies, ist in Kunst, Fashion und Film angekommen. Da passt es nur, dass es mit Lecker endlich ein hübsches Art-Porn-Magazin gibt, in dem süße Jungs in der Wanne rumliegen oder vor ihrem Schrank herumstehen, während ihnen wie nebenbei eine hübsche Morgenlatte gewachsen ist. Das Magazin wird ausschließlich von Mädchen gemacht und möchte endlich auch mal veritablen Indie-Girls etwas zum Gucken bieten. Über Geschmack wird dabei nicht gestritten: »Coolster Typ ever« ist der »coolste Typ ever« Vincent Gallo. Der hat mit seinem letzten Film »The Brown Bunny« auch entscheidend zur Ästhetisierung des angeschwollenen Glieds beigetragen. In dem eben auf DVD erschienenen Film sieht man eigentlich nicht viel mehr als Gallo, der sein bestes Stück mit Stolz spazieren trägt, bis es Chloe Sevigny in den Mund nimmt. www.leckerheft.de. (aha)

Was ist das denn?

»Cremaster Cycle«. Matthew Barney ist nicht nur der Lebensgefährte von Björk, der zu ihr passt wie Oskar Lafontaine zur Linkspartei, der Typ ist vor allem amerikanischer Großkünstler, dessen extrem verschwurbeltes Werk überall in der Welt als wirklich extrem verschwurbelt gefeiert wird. Kern seiner Arbei ist der »Cremaster Cycle«, ein auf fünf Teile angelegter Filmzyklus, gegen den die unverständlichsten Filme von David Lynch wirken wie Blockbuster von Roland Emmerich. In dem Zyklus, der mit dem vierten Teil begonnen wurde und sich dann logischerweise in unlogischer Reihenfolge fortsetzte, geht es um Sex jeglicher Spielart, Symbolismen bis zum Abwinken, Körperverformungen, Perversionen, Metal und alles, was einem sonst noch so gehörig in Schrecken versetzt.

Bislang konnte man den »Cremaster Cycle« nur in geheimen Aufführungen in Kunstgalerien sehen oder man kannte jemanden, der jemanden kannte, der aus irgendeinem Grund Zugang zu diesen Filmen hatte. Nun jedoch tourt der Zyklus ganz offiziell durch die Kinos ausgesuchter Städte Deutschlands. Heute, am 5. Oktober, geht es in Berlin los. (aha)

Wie leben die?

Dummy. Die neue Ausgabe des Berliner »Gesellschaftsmagazins« Dummy macht es einem erst mal nicht leicht. Auf dem Cover sieht man eine junge Frau mit Schmollmund, die gedankenverloren an ihrer MG herumfummelt, und drunter steht: »Juden«. Es müsste natürlich »Israelis« heißen, da hier die Realität in Israel abgebildet werden soll, wo junge Frauen zum dreijährigen Dienst an der Waffe angehalten werden. Aber das wäre Dummy zu langweilig gewesen.

Zumal das Cover ja schon in die richtige Richtung weist. Es geht in der Ausgabe um Juden, vor allem geht es jedoch um Israel. Um den Alltag dort, um die Partyszene in Tel Aviv, um die Bauhausarchitektur, um ein Land im permanenten Ausnahmezustand. Insgesamt ist es eine sehr gute Ausgabe geworden. Sie macht eindeutig Lust auf Israelund enthält beispielsweise eine Reportage, die sich ausdrücklich mit palästinensischen Kleinbauern solidarisiert. Teilweise steht auch Stuss drin, aber wirklich sensationell ist der Comic des israelischen Zeichners Yirmi Pinkus, in dem ein Israeli Klein-Adolf klont, der endlich seine Mutti um die Ecke bringen soll, was dann auch gelingt. Am Schluss heißt es: »Auf diese Weise gelang Klein-Adolf, was Groß-Adolf nie geschafft hatte.« Und dafür kriegt Klein-Adolf auch ein Omelett zum Abendessen. Das ist er, der jüdische Humor. (aha)