Wandeln und handeln

In St. Louis haben Gewerkschaften die Koalition Change to Win gegründet. Sie planen eine Kampagne in gewerkschaftsfeindlichen Unternehmen in den USA. von eric lee, st. louis
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Mehrere Gewerkschaften im US-amerikanischen Dachverband sind zu dem Schluss gekommen, dass die Gewerkschaften ohne einen radikalen Wandel am Ende sind. Einige der Gewerkschaftsführer sind politische Radikale, andere sind es nicht. Einer der wichtigsten Gewerkschafter führt eine Industriegewerkschaft alten Stils, die in der Vergangenheit ebenso gut die Republikaner wie die Demokraten unterstützen konnte.

Die Gewerkschaften, die sich entschieden haben, im Verband zu bleiben, bezeichnen die Ausgetretenen als eine Bande von Spaltern. Vereint sei ihre Bewegung viel stärker, sagen sie. Doch die »Spalter« sind nicht überzeugt, sie gehen und gründen einen neuen Verband. Die USA hat nunmehr zwei nationale Gewerkschaftszentren.

Das geschieht im Jahr 1935. Die »Spalter« gründen dann den Congress of Industrial Organization (CIO). Unter den unvorstellbar schwierigen Bedingungen der Großen Depression gelingt es ihnen innerhalb weniger Jahre, die Zahl der organisierten Mitglieder der amerikanischen Arbeiterbewegung von zwei auf zehn Millionen zu erhöhen, auch in Sektoren, die als nicht organisierbar galten.

Innerhalb weniger Jahre wird ein Job in einer Autofabrik mit gewerkschaftlicher Organisation für viele Arbeiter zur Eintrittskarte in die Mittelschicht. Zwei Jahrzehnte später sind die Gewerkschaften sehr mächtig geworden, sie organisieren etwa 35 Prozent der Beschäftigten. Und der CIO versöhnt sich mit der American Federation of Labor, beide vereinigen sich 1955 zum AFL-CIO.

Im Sommer sollte eigentlich der 50. Jahrestag der Wiedervereinigung der amerikanischen Gewerkschaften gefeiert werden. Stattdessen gab es eine neue Spaltung. Einige der größten Gewerkschaften in der AFL-CIO, unter ihnen die Teamsters, die United Food and Commercial Workers und die Service Employees International Union (Seiu), verließen den Verband. Am Dienstag der vergangenen Woche trafen sie sich mit der Gewerkschaft Unite Here, die Angestellte im Textil-, Hotel- und Restaurantgewerbe vertritt, einer Landarbeitergewerkschaft und anderen Organisationen zu einer Konferenz in St. Louis, um einen neuen Verband mit dem Namen Change to Win zu gründen.

Die Wahl fiel wohl nicht zufällig auf St. Louis. Der Organisationsgrad in der Stadt liegt mit 22 Prozent erstaunlich hoch, im Durchschnitt sind heutzutage in den USA nur noch acht Prozent der Beschäftigten im privaten Sektor Mitglied einer Gewerkschaft. St. Louis ist eine Gewerkschaftsstadt. Und Change to Win ist angetreten, um das ganze Land zu einer großen Gewerkschaftsstadt zu machen.

Bei einem informellen Treffen mit der Presse wollte Andy Stern, der Präsident der Seiu, keine konkreten Angaben darüber machen, wie viele Arbeiter der neue Verband organisieren will. Die Seiu vertritt unter anderem Beschäftigte im Gesundheitsbereich und im öffentlichen Dienst, sie gehört mit 1,8 Millionen Mitgliedern zu den größten und am schnellsten wachsenden Gewerkschaften der USA. Entgegenkommender in seinen Angaben war Tom Woodruff, der als verantwortlich für diese Erfolge gilt. Er spulte die Zahlen über die Wirtschaftsbereiche ab, in denen die Gewerkschaften von Change to Win aktiv sind. Die Gesamtzahl der Beschäftigten in diesen Sektoren liegt bei 50 Millionen, die Gewerkschaften repräsentieren sechs Millionen von ihnen. Woodruff zufolge ist das ehrgeizige Ziel, die restlichen 44 Millionen zu organisieren.

Ein zentraler Grund für die Spaltung war der Vorwurf, die AFL-CIO unternehme nicht genug gegen den Mitgliederschwund. Die Gewerkschaften von Change to Win haben entschieden, 75 Prozent der Mittel des Verbandes direkt in die Organisierung zu investieren. Die besten Kräfte aus jeder Organisation sollen unter Führung Woodruffs mit gezielten, strategischen Kampagnen bei großen Unternehmen wie Wal-Mart, die bislang keine gewerkschaftliche Organisierung dulden, Mitglieder werben. Für die Organisierung will der Verband jedes Jahr 750 Millionen Dollar ausgeben. Mit einer solchen finanziellen Ausstattung, Profis wie Woodruff und den Erfahrungen der Seiu könnte es gelingen, die Gewerkschaften in den USA wieder wachsen zu lassen.

Aber diese Strategie hat ihren Preis. Die Gewerkschaften von Change to Win konzentrieren sich so stark auf den Aufbau ihrer Organisation, dass sie weniger interessiert an Dingen wie Gesetzgebung und Politik sind, mit denen sich nationale Gewerkschaftszentren traditionell beschäftigten. Sie haben klargestellt, dass sie Politiker unterstützen wollen, die ihnen die Arbeit der gewerkschaftlichen Organisation erleichtern, auch wenn es Republikaner sind. Denn ihrer Ansicht nach ist ohne eine starke Arbeiterbewegung keine andere Strategie möglich. Die Frage sei nicht, was die Gewerkschaften tun sollten, sondern ob es überhaupt Gewerkschaften geben werde.

Es gibt keine einfache Analogie zwischen der Gründung von Change to Win in der vergangenen Woche und der des CIO vor 70 Jahren. Doch Bruce Raynor, ein radikaler Vertreter von Unite Here, der Nachfolgeorganisation einer der wichtigsten Gewerkschaften, die den CIO gegründet haben, sieht das anders. Er wies darauf hin, dass der CIO in den dreißiger Jahren die USA veränderte, indem er dort mächtige Gewerkschaften aufbaute, wo sie zuvor nicht existiert hatten. Und er stellte die derzeitige Kampagne seiner Gewerkschaft beim Uniformhersteller Cintas als ein Beispiel für die heute notwendige Organisierung heraus.

Ein großer Teil der Konferenz wurde von Berichten über aktuelle Arbeitskämpfe dominiert. Gewerkschafter sprachen über einen erbitterten Streit bei First Student, einem Schulbusunternehmen in britischem Besitz, das in Europa die Gewerkschaften bereitwillig anerkennt, sich aber weigert, dies auch in den USA zu tun. Wir hörten von Erfolgen im Kampf um die Organisierung bei DHL USA, dem Logistikdienstleister im Konzern Deutsche Post World Net, und von der Notwendigkeit, in Bastionen der Gewerkschaftsfeindlichkeit wie Federal Express und Wal-Mart einzudringen.

Doch nach Ansicht von Kritikern waren die Arbeiter, die von diesen Konflikten erzählten, nur Statisten in einer sorgfältig geplanten Show, in der es keine wirkliche Demokratie gab und die Basisaktivisten kaum Einfluss hatten. Das dürfte nicht ganz unzutreffend sein.

Als eine junge Schwarze sich als Mitglied der Teamsters in Gulfport, Mississippi, vorstellte, wurde es still im Saal. Gulfport war der von Katrina vielleicht am schwersten getroffene Ort an der Golfküste. Sie erzählte, dass sie an dem Tag, nachdem der Hurrikan das Haus und das Leben ihrer Familie zerstört hatte, nichts von ihrem Unternehmen hörte. Sie hörte nichts von ihrer Regierung. Aber ihre Gewerkschaft war da, fragte, wie sie helfen könnte, und gab die notwendige Unterstützung. »Die Teamsters sind meine Familie«, sagte sie. Und sie versprach, alles zu tun, um ihrer Familie jetzt zu helfen.

Die Regierung hat bereits deutlich gemacht, dass sie den Wiederaufbau in Mississippi für eine neue Offensive der Deregulierung nutzen will. Es gibt in den USA dringenden Bedarf für eine erneuerte Gewerkschaftsbewegung. Vielleicht, aber nur vielleicht, kann Change to Win sie aufbauen.

Eric Lee ist Gründer und Redakteur der gewerkschaftlichen Webseite LabourStart

(www.labourstart.org).