Die Axt im Rucksack

»Ekstraklasa« sind in polnischen Erstligastadien nur noch die Hooligans. von christian helms

In der Fremde sind einfache Kenntnisse der Landessprache gemeinhin von Vorteil, vielfach reicht es jedoch schon, die Namen einiger Nationalspieler nennen zu können, um jede noch so verzwickte Kommunikationssituation zu meistern. Aus einem unbehaglichen Schweigen wird schnell ein Glanzstück der Völkerverständigung, wenn man sich gegenseitig die Namen der einstigen und gegenwärtigen Prominenz der Ballkunst an den Kopf wirft und ab und an den passenden Gesichtsausdruck findet. Ein Innenverteidiger der Landesauswahl verwandelt Besucher schnell in Gäste, ein Mittelstürmer des lokalen Erstligisten sogar in Freunde.

Der Fußballsport verbindet die Menschen, aber offensichtlich gilt das nicht für das Verhältnis zu den Menschen in Polen. Ein Besuch bei Freunden in Schlesien: Dass diese sich noch nie sonderlich für Fußball interessiert haben, fand ich immer schon leicht befremdlich, tat sie aber eher als bedauerliche Ausnahmefälle auf diesem nicht grundlos runden Planeten ab. Egal, was der Gastgeber davon hält, wo ein Urlaub ist, ist auch ein Stadion. Der passionierte Gelegenheitsgroundhopper in mir jubilierte bereits, als er die Landkarte sah: Zabrze, Chorzow, Katowice – lauter alte Bekannte aus dem Uefa-Cup, auch Kraków ist nicht weit entfernt.

Górny Slask bzw. Oberschlesien, das ist in vielfacher Hinsicht das polnische Äquivalent zum Ruhrgebiet. Die einzelnen Städte sind hier sogar komplett zusammengewachsen, die Häuserfronten nach etlichen Jahren zwecklosen Widerstands gegen die Kohle-Industrie zugegebenermaßen noch ein wenig grauer, und viele Menschen trauen sich im Trainingsanzug auf die Straße. Doch während auf Schalke oder in Dortmund im Zwei-Wochen-Rhythmus Zigtausende ihre geliebten Fußballtempel aufsuchen, muss ich mich hier rasch vom Gastgeber belehren lassen: »Normale Leute gehen eigentlich nicht ins Stadion.« Schlimmer noch, auch Freunde und Verwandte winken ab. »Zu gefährlich. Und wenn einer mitbekommt, dass du nicht von hier bist, haben wir ein ernstes Problem.« Gut, über gelegentliche Gewaltexzesse in osteuropäischen Stadien wird ja oft genug berichtet, doch dass schon das Mitführen eines deutschen Staatsbürgers als zu riskant eingestuft werden würde, hatte ich wirklich nicht erwartet. »Nach Sosnowiec können wir sicher nicht, deren Fans sind dafür bekannt, Äxte im Rucksack zu haben.«

In diesen Tagen ist die Republik tapeziert mit den Bildern der Präsidentschaftskandidaten. Besonders überzeugend wirkt dabei Lech Kaczynski, der berüchtigte Bürgermeister von Warschau, der im Sommer durch sein Verbot des Christopher Street Day weit über die Landesgrenzen hinweg für Schlagzeilen sorgte. Doch auch ihm würde es nicht einmal im Traum einfallen, sich den Fußball zu Wahlkampfzwecken auf die Fahnen zu schreiben, diese Taktik führt in Polen schon längst nicht mehr zur breiten Masse. Freilich, sein Hauptkonkurrent Donald Tusk von der etwas liberaleren Bürgerplattform sieht das anders, lässt er sich doch zumindest gelegentlich im Trikot der parlamentarischen Fußballmannschaft ablichten.

Während sich in Deutschland mittlerweile etliche Politiker zum Fußball bekennen, sich liebend gerne volksnah in den Stadien zeigen – an dieser Stelle sollten wir uns inständig bei Gerhard Schröder bedanken, dass er Fußball-WM und Wahlkampf durch die vorgezogenen Neuwahlen zeitlich voneinander entkoppelt hat – und dieser wunderbare Sport sein Schmuddel-Image in den letzten Jahren fast vollständig aus den modernen Arenen verdrängt hat, ist es im östlichen Nachbarland noch immer äußerst unschick, sich mit dem rollenden Lederball zu beschäftigen.

Ganze Bevölkerungsschichten haben sich vom heimischen Vereinsfußball verabschiedet, der prügelnde Mob hat die maroden Spielstätten komplett in Beschlag genommen, und die schlecht ausgestattete Ordnungsmacht kann sich nicht entscheiden, ob sie dem Treiben nun duldend zuschauen oder unter nicht unbeträchtlichen Gefahren für Leib und Leben eingreifen soll. Wohlgemerkt, um Hooligans vor Hooligans zu beschützen. Fremdenfeindliche Übergriffe gehören zum Alltag; wer eine andere Gesinnung hat – oder einfach nur im Weg steht –, muss um sein Leben fürchten.

Und so wendet sich der Blick des polnischen Fußballfans ins Ausland, dorthin, wo die Helden der Nationalelf spielen: Jerzy Dudek, der Schlussmann des FC Liverpool, ist nicht erst seit dem denkwürdigen Champions-League-Finale von Istanbul, in dem er den »Reds« mit drei gehaltenen Elfmetern sensationell zum Gewinn des Henkeltopfs verhalf, ein absoluter Superstar. Ganz nebenbei schuf er mit seinen ungewöhnlichen Bewegungen auf der Torlinie, ursprünglich gedacht, um die Mailänder Schützen zu irritieren, einen der Sommer-Tanztrends in polnischen Diskotheken, den »Dudek-Dance«. Doch das ist eine andere Geschichte. Es gilt: Wer der »Ekstraklasa«, der ersten polnischen Liga, nicht beizeiten den Rücken kehrt, hat kaum Chancen auf Ruhm oder finanziellen Erfolg. Auch Maciej Zurawski, in der polnischen Auswahl im Angriff gesetzt, entschied sich deshalb im Sommer gegen Wisla Kraków und sucht sein Glück nun beim schottischen Traditionsclub Celtic Glasgow. Was der polnischen Liga in Sachen Qualität und Attraktivität – für »normale« Fans wie auch Sponsoren – wiederum alles andere als zuträglich ist.

Man darf sich also ernstlich sorgen, ob die polnischen Kicker je ihrem kontinentalen Schattendasein entkommen werden, und die Frage nach Auswegen aus diesem Dilemma stellen. »Die EU« wird vielfach pauschal als Hoffnung beschworen, wobei die konkrete Rolle des Staatenverbunds allerdings nicht näher beschrieben wird und die Angleichung der Lebensverhältnisse sich doch als extrem langwieriges Projekt erweisen dürfte. »Die WM« erscheint da schon geeigneter: Die Nationalelf hat sich jüngst zum zweiten Mal in Folge für die Endrunde qualifizieren können und weckte damit natürlich sofort die Erinnerungen an die große Fußballvergangenheit des Landes. Die Bronze-Plaketten von 1974 und 1982 lasten schwer auf der heutigen Generation, Grzegorz Lato und Zbigniew Boniek genießen nach wie vor uneingeschränkten Heldenstatus.

Doch selbst für den unwahrscheinlichen Fall, dass Polens WM-Delegation im kommenden Sommer tatsächlich an die Erfolge realsozialistischer Tage anknüpfen können sollte, ist zu befürchten, dass dies nur zum weiteren Ausbluten der Ekstraklasa führen würde. Die Erlöse des unvermeidlichen Ausverkaufs der Turnierstars in euphorischer Stimmung sinnvoll zu investieren, wäre dann das nächste Problem.

Roman Abramowitsch zog bekanntlich die Themse der Weichsel vor; ob das Modell »russischer Investor« überhaupt als erstrebenswerter Weg aus der Krise angesehen werden darf, sei einmal dahingestellt. Bleibt also das Geschehen auf Polens Fußballplätzen mittelfristig ein unterhaltsames Rahmenprogramm für die prügelnde Unterschicht?

Vorerst gilt für den sprachunkundigen Polenreisenden: »Dudek«, »Zurawski« oder »Krzynowek« zeigen sein allgemeines Fußballinteresse, »Lato« oder »Boniek« weisen ihn gar schon als echten Kenner aus. Wer jedoch Spieler eines Erstligisten nennen kann, weist sich unweigerlich als Prolet aus.