Ein Ja für den Ayatollah

Das Verfassungsreferendum im Irak von thomas v.d. osten-sacken

Am Tag vor dem Verfassungsreferendum herrschte in Suleymaniah Normalität. Wurden im Januar die ersten freien Wahlen im Irak in den kurdischen Städten mit Straßenfeiern begrüßt, so stehen die Menschen der neuen Verfassung eher indifferent gegenüber. Entsprechend gering war dann auch die Beteiligung, kaum mehr als die Hälfte aller registrierten Wähler ging am Samstag in die schwer bewachten und gesicherten Wahllokale.

Denn auch wenn zentrale Forderungen der Kurden berücksichtigt worden sind, etwa die Verankerung einer föderalen Struktur des künftigen Irak, fürchten gerade jüngere Menschen in Suleymaniah, dass die Verfassung den von Ayatollah Ali al-Sistani geführten Klerikern und den islamischen Parteien zu großen Einfluss zugesteht. Schließlich unterstützen vor allem die schiitisch-islamischen Parteien den Entwurf; noch am Freitag vor dem Urnengang forderten schiitische Kleriker in Predigten ihre Anhänger auf, mit »Ja« zu stimmen.

Nein, er gehe erst gar nicht wählen, meint Tarik Frood, ein Jurastudent aus Suleymaniah. »Stimme ich mit Ja, unterstütze ich Ayatollah Sistani, stimme ich mit Nein, unterstütze ich Zarkawi.« Doch auch wenn die Verfassung auf wenig Begeisterung stößt, wurde sie in den kurdischen Gebieten mit überwältigender Mehrheit abgesegnet. Anders aber als im Süden, wo sich schon morgens lange Schlangen vor den Wahllokalen bildeten und wie schon im Januar gefärbte Zeigefinger triumphierend in die Kameras gehalten wurden, unterstützt man sie im Nordirak eher aus taktischen Erwägungen.

Das Augenmerk an diesem Tag richtete sich deshalb auch auf den Zentralirak und die arabisch-sunnitische Minderheit. Hatte diese im Januar noch erfolgreich zum Wahlboykott aufgerufen und sich damit weitgehend aus den neuen Institutionen ausgeschlossen, herrschte nun Uneinigkeit. Während die von Musab al-Zarkawi geführte irakische al-Qaida und andere Organisationen des »Widerstands« mit blutigem Terror gegen die Abhaltung des Referendums ankämpften, forderten die sunnitischen Parteien ihre Anhänger zur Ablehnung der Verfassung auf. Ein in letzter Minute im irakischen Parlament beschlossener Kompromiss, der vor allem vorsieht, dass die nächste Nationalversammlung die Befugnis für weitere Verfassungsänderungen haben wird, stimmte lediglich die Islamische Partei um. Sie änderte ihren Kurs und rief zur Unterstützung der Verfassung auf. Ersten Hochrechnungen zufolge wurde der Verfassungsentwurf in den sunnitischen Provinzen Anbar und Salehdin trotzdem mehrheitlich abgelehnt. Doch nur wenn in drei Provinzen mehr als zwei Drittel der Wähler mit Nein stimmen, gilt die Verfassung als nicht angenommen.

Schon die Tatsache aber, dass diesmal namhafte sunnitische Gruppierungen zur Teilnahme am Referendum aufgerufen haben, wurde in Washington begrüßt. Seit langem konzentriert sich die US-amerikanische Irak-Politik auf eine Befriedung des Landes. Die US-Regierung hofft, den Terror des »Widerstands« effektiver bekämpfen zu können, wenn es gelingt, Teile des sunnitischen Establishments in den politischen Prozess einzubinden.

Der Preis für diese Politik allerdings ist hoch, denn alle Forderungen der sunnitischen Organisationen richten sich explizit gegen die progressiven Teile der irakischen Verfassung. Je mehr Zugeständnisse ihnen in Zukunft gemacht werden, desto weniger bleibt erhalten von dem ambitionierten Anliegen einer grundlegenden Transformation des Irak, und um so stärker wird vor allem in den kurdischen Gebieten auch der Unmut über die Regierung in Bagdad wachsen.