Koalabär für Deutschland

Regierungsbildung

Ach wie schade, dass es vorbei ist: Nach Wochen der Vier-, Fünf-, Acht- und Hühneraugengespräche erreichte uns die Meldung: Frau Merkel ist Kanzler! Von mir aus hätten die Koalitionsverhandlungen noch Jahre weitergehen können, ja, man hatte sogar das Gefühl, seit Jahren werde im politischen Berlin, oder wie man das nennt, über gar nichts anderes gesprochen. Personal- statt Sachfragen. Wenn ich morgens das Radio einschaltete: Koalitionsblubb. Zeitung und Fernsehen: Koalitionsballerballer. Nachher hab’ ich meist nur noch »Koalabär« verstanden, und das ist doch ein freundliches Wort.

Dieser Stillstand à la Dschungel-Camp – wer ist drinnen, wer ist draußen? – war das Schönste, was Leuten, die sich damit beschäftigen müssen, in den vergangenen Jahren widerfuhr. Und je länger das Gezerre dauerte, umso größer wurde die Hoffnung: Endlich ist das große Leutebescheißprogramm hängen geblieben, Neustart nicht in Sicht. Politik ist, dass Sabine Christiansen nicht allein im Studio sitzen muss.

Was hätte es auch zu hoffen gegeben? Die größte historische Leistung von Rot-Grün war doch, das Land in die allermieseste Stimmung gestürzt zu haben. Reformeinschnitte hier, Kriegseinsatzreform dort. Unter Helmut Kohl konnte man wenigstens hoffen, dass er mal von einer linken Regierung abgelöst werden würde. Nun gab es keine Hoffnung mehr. Und die Sozis haben dafür gesorgt, dass es noch schlechter wird: Merkel plus SPD. Die Polizei trifft auf Familienwerte, so sehen die nächsten Jahre aus.

Die vergangenen Wochen haben gezeigt: Deutschland braucht Bewegung in Sachen Politik so dringend wie ein Loch im letzten Hemd. Stagnation ist das Gebot der Stunde! Die politische Pattsituation zeigte doch glasklar: Politik ist völlig überflüssig.

Was aber Deutschland am allerwenigsten braucht, ist eine Regierung! Ging doch alles ohne: Das Finanzamt will Geld – ganz ohne Regierung. Grundeinkommen? Gibt’s nicht – ganz ohne Antwort auf die K-Frage. Die U-Bahn, Wasser, Gas, Strom, alles wird teurer – auch ohne Kabinett. Pflegenotstand, schwache Binnenkonjunktur – auch ohne Chefs. Mehrwertsteuer kann ich mir auch selbst erhöhen, Jugendliche finden auch ganz ohne Staatsoberhaupt keine Lehrstelle. Und Hartz IV – gäb’s gar nicht ohne Regierung. Koalabär.

Da muss man sich doch angesichts leerer Kassen fragen: Wer kann sich in Zeiten der Globalisierung noch solch teuren Überfluss leisten? Nicht nur Staat und Wirtschaft, auch der einzelne muss schließlich sehen, wie er fit wird für die weltweite Konkurrenz. Erzähl du mir, dass du auch nur einen Euro erübrigen kannst, um FrührentnerInnen wie Merkel, Stoiber oder Struck ihren ausschweifenden Lebensstil zu alimentieren!

Die sachpolitiklose Zeit hat gezeigt: Politik als solche hat abgewirtschaftet, sie ist zu teuer, zu langsam, zu unrentabel. Und die Oppositionsdarsteller? Die Grünen träumen vom biologisch abbaubaren Atomkraftwerk, die FDP vom Nachtwächter, die Linkspartei von der SPD.

Um ihre Wichtigkeit zu beweisen, werden die Parlamentarier nun wieder allerlei »Sach«-Sachen aushecken statt – Koalabär – das Personal zu debattieren. Was sollen wir nun denken? Die Ökonomisierung des Alltags schreitet voran. Jeder sieht, wo er bleibt. Bei der derzeitigen Entwicklung – Rendite minus Arbeitsplätze – bedeutet das wohl: außerparlamentarische Opposition. Das wären dann schlicht alle, die keinen Job im oder beim Bundestag gekriegt haben.

jürgen kiontke